Putin kommt heute das erste Mal nach drei Jahren wieder nach Deutschland. An dem Treffen mit Bundeskanzlerin Merkel nehmen auch die Staatschefs Frankreichs und der Ukraine, François Hollande und Petro Poroschenko, teil. Im Mittelpunkt steht der Friedensprozess in der Ukraine. Merkel will aber auch den Konflikt in Syrien ansprechen.
Es sei wichtig, die beiden Themen getrennt voneinander zu behandeln, sagte Platzeck im DLF. "Wir werden gar keine Annäherung finden, wenn wir alles gemeinsam besprechen." Das helfe weder den Menschen in Aleppo, noch denen in der Ostukraine, betonte Platzeck.
Der frühere SPD-Politiker lehnte Sanktionen gegen Russland erneut ab. Er halte es für klug, dass Europa auf solche Maßnahmen verzichte. Schärfere Sanktionen führten zu schärferen Reaktionen. Stattdessen sollte Europa darauf achten, dass der Gesprächsfaden mit Russland nicht abreiße.
Das Interview in voller Länge:
Ann-Kathrin Büüsker: Der heutige 19. Oktober stand schon länger als möglicher Termin für ein mögliches Treffen von Deutschland, Frankreich, Russland und der Ukraine, also ein Treffen im Normandie-Format im Raum. Zu Beginn der Woche konnte das in Berlin aber noch niemand so richtig bestätigen. Der Streit über Syrien stand als großes Hindernis im Raum.
Gestern kam sie dann doch, die offizielle Einladung nach Moskau und Kiew und die Bestätigung, dass das Treffen tatsächlich stattfinden wird. Wladimir Putin kommt also zum ersten Mal seit Beginn der Ukraine-Krise nach Berlin, ein Treffen unter schwierigen Vorzeichen, wie wir gehört haben. Darüber möchte ich nun mit Matthias Platzeck sprechen, Vorsitzender des Deutsch-Russischen Forums. Guten Morgen, Herr Platzeck.
Matthias Platzeck: Ich grüße Sie! Guten Morgen, Frau Büüsker.
"Ein solches Gespräch ist trotz allem Gold wert"
Büüsker: Herr Platzeck, gestern Vormittag, da kam erst die Nachricht, dass Russland seine Luftangriffe auf Aleppo eingestellt hat, und etwa eine halbe Stunde später wurde dann das heutige Treffen im Normandie-Format bestätigt. Sehen wir hier ein Zugeständnis aus Moskau?
Platzeck: Ich kann mir zumindest vorstellen, dass das mit handlungsleitend war, dass man auch klimatisch einen etwas besseren Rahmen für diese unheimlich schwierigen Gespräche schaffen wollte. Keiner weiß es genauer, aber es liegt natürlich durchaus nahe, so was anzunehmen. Ich bin sehr froh und schließe mich jetzt Ihrem Korrespondenten an, dass es überhaupt zu diesem Treffen kommt.
Denn eins muss man ganz nüchtern konstatieren: Wäre dieses Normandie-Format jetzt nicht noch mal in die Tat umgesetzt worden, wäre es wahrscheinlich tot, und das hielte ich für verheerend, auch wenn wir uns darauf einstellen müssen, dass in diesem Konflikt, aber auch in den anderen wir nur noch mit Millimeterbewegung nach vorne rechnen können. Hier sind nirgendwo mehr Wunder zu erwarten, die Situation ist so dramatisch, wie sie seit mindestens 25, 26 Jahren nicht war, und da ist ein solches Gespräch trotz allem, dass wir keine hohen Erwartungen haben dürfen, Gold wert.
"Getrennte Themenkreise aufmachen und versuchen, auch getrennt voranzukommen"
Büüsker: Und warum geht das so plötzlich? Warum kann Putin jetzt sagen, okay, wir hören jetzt auf in Aleppo, damit ich nach Berlin kann, um mit Merkel zu reden? Wieso geht das plötzlich?
Platzeck: Ich glaube, das ist kein plötzlich, sondern man darf ja auch nicht vergessen: Das Treffen wäre nicht zustande gekommen, wenn wir nicht den dauernden Kontakt - unter anderem Frank-Walter Steinmeier ist ja da, ich glaube, inzwischen fast singulär in Europa unterwegs - nicht hätten abreißen lassen, auch gerade jetzt in der Rolle als OSZE-Präsident.
Und wenn wir eben gehört haben von den Pilotprojekten, das sind ja alles Dinge, wo man praktisch Waffen auseinanderziehen will an den Hotspots, wo es zu den meisten Verletzungen des Waffenstillstands in der letzten Zeit gekommen ist. Das alles zusammen bietet die Voraussetzung, das kommt jetzt nicht aus dem Nichts, sondern das ist ein im Gesamtprozess, der schwierig und zäh genug ist, ein nächster Schritt.
Und ich glaube auch, dass die Themen durchaus getrennt besprochen werden sollen. Wir werden gar keine Annäherung finden, wenn wir alles gemeinsam besprechen. Es wird ja gesagt, dass das heute erst mal dem Ukraine-Konflikt dient (natürlich dann auch über Syrien gesprochen wird).
Aber wenn wir dann Bedingungen der Art stellen, nur wenn ihr euch da bewegt, kann hier was passieren, werden wir weder den Menschen in der Ostukraine, noch den Menschen in Aleppo helfen können. Deshalb halte ich es für einen klugen Ansatz, so schwer es fällt, wenn man alle Bilder vor Augen hat, hier getrennte Themenkreise aufzumachen und zu versuchen, auch getrennt voranzukommen.
"Die Gesamtlage auch in Europa ist hoch explosiv"
Büüsker: Aber dennoch ist ja Syrien im Prinzip das, was gerade am meisten drängt.
Platzeck: Wissen Sie, natürlich drängt es am meisten, das ist überhaupt keine Frage. Aber das heißt doch nicht, dass man bei den Bemühungen, den Minsk-Prozess ein Stückchen voranzubringen, in irgendeiner Form nachlassen darf. Immerhin ist hier eine Konfrontation vorhanden, die auch jederzeit sich ausweiten kann.
Und Herr Ischinger, der Chef der Münchner Sicherheitskonferenz, hat ja nicht umsonst gesagt, wir sollen nicht unterschätzen, die Gesamtlage auch in Europa ist hoch explosiv, so explosiv, wie sie noch nie in den letzten Jahrzehnten war. Deshalb verdient auch dieser Konflikt, wenn er auch in der öffentlichen Wahrnehmung ein Stück nach hinten gerückt ist, dringend unserer Aufmerksamkeit und möglichst kleiner Schritte nach vorne zur Lösung.
Büüsker: Aber hat nicht unser Korrespondent Klaus Remme es gerade ganz richtig formuliert, dass er sagt, der Westen setzt seine Glaubwürdigkeit aufs Spiel, wenn er sich da heute mit Putin an einen Tisch setzt und sagt okay, wir gucken jetzt mal auf die Ukraine, und über Syrien, da reden wir vielleicht in einer Woche noch mal drüber?
Platzeck: Frau Büüsker, wissen Sie, ich sage jetzt mal: Glaubwürdigkeit hin oder her. Wenn wir wollen, dass das Leid von Menschen wenigstens gemildert wird, wenn wir wollen, dass Kriegsgefahren - und um die geht es hier - ein Stück zurückgefahren werden, dann muss man manche Dinge auch hinten anstellen.
Waffenruhe in Ostaleppo: "Für die Menschen ein ganz kleiner Schritt nach vorne"
Ja, es ist in einer gewissen Weise mutig, es zu diesem Gespräch kommen zu lassen. Auf der anderen Seite ist es total richtig. Was wäre denn richtiger? Nicht miteinander zu reden, sich nicht zu treffen und keinen Schritt voranzukommen und die Situation weiter eskalieren zu lassen, kann nicht richtiger sein, als diesen Versuch zu unternehmen.
Und Sie sehen ja, Sie haben es in Ihrer Anmoderation gesagt: Wenn es einen Zusammenhang gibt, dann wäre das doch schon gut. Es heißt für die Menschen, es ist ja nicht nur die Waffenruhe, die acht Stunden, die angekündigt wurden, sondern Schoigu hat ja gestern gesagt, wir lassen jetzt schon die Waffen schweigen in Ostaleppo, das ist doch für die Menschen erst mal ein ganz kleiner Schritt nach vorne, dass man Zivilisten vielleicht versorgen kann, dass man Verletzte versorgen kann und und und. Von daher: Es bleibt total richtig, dass man sich trifft und dass man den Versuch unternimmt, die Fäden, die es da noch gibt, untereinander nicht abreißen zu lassen. Die Situation ist schlimm genug.
Büüsker: Herr Platzeck, aber dann muss man, denke ich, feststellen, dass der Westen in eine Art Bittstellerfunktion kommt und Russland die Fäden in der Hand hat?
Platzeck: Sie heben jetzt darauf ab, dass wir in einer anderen Situation wären, wenn zum Beispiel neue Sanktionen verhängt worden wären.
"Für die Menschen hat sich wenig bis gar nichts durch die Sanktionen verbessert"
Büüsker: Zum Beispiel.
Platzeck: Ja klar! Frau Büüsker, da bin ich wirklich ganz anderer Meinung, wird Sie auch vielleicht nicht wundern, weil ich versuche, auch in der Situation, in der wir jetzt uns befinden, so nüchtern wie irgend möglich zu bleiben, soweit einem das als Mensch - und jeder hat ja da ähnliche Empfindungen - überhaupt gegeben ist.
Und da muss ich einfach konstatieren: Wir haben jetzt seit fast zwei Jahren Sanktionen unterschiedlichster Art, die einen wegen der Krim, die anderen wegen der Ostukraine. Wenn ich solche Sanktionen verhänge, muss ich ja ein Ergebnis im Auge haben. Welches Ergebnis kann ich verzeichnen nach diesem Zeitraum?
Ich muss feststellen, dass die Verhältnisse zwischen den handelnden Staaten dramatisch schlechter geworden sind, dass die militärische Gefahr dramatisch sich erhöht hat und dass für die Menschen wenig bis gar nichts durch die Sanktionen sich verbessert hat. Wenn ich in der Situation mit dem Ergebnis konfrontiert bin und dann sage, und der nächste Schritt sind jetzt weitere Sanktionen, dann ist das doch deutlich hinterfragbar.
Deshalb finde ich es sehr klug und sehr weitsichtig, dass Europa darauf verzichtet hat und klar mit dem sehr, sehr schwierigen Auftrag in die nächsten Tage und Wochen geht, über Gespräche, über Verhandlungen zu versuchen, die Situation ein Stück weit zu verbessern.
"Schärfere Sanktionen hätten eher zu schärferen Reaktionen geführt"
Büüsker: Herr Platzeck, man könnte aber auch die Frage stellen, ob die Sanktionen vielleicht zu lasch waren.
Platzeck: Das würde eine halbe Stunde wahrscheinlich mindestens dauern.
Büüsker: So viel Zeit haben wir leider nicht.
Platzeck: Ich glaube, man muss sich ganz genau angucken, mit wem haben wir es hier zu tun. Wer Russland sein Politikverständnis, seine Art, Politik zu machen und zu gestalten und wahrzunehmen und zu rezipieren, wer ein bisschen sich damit beschäftigt hat, der weiß, dass auch schärfere Sanktionen eher zu schärferen Reaktionen geführt hätten.
Wir müssen ja konstatieren, auch in Russland hat der Nationalismus in der letzten Zeit deutlich zugenommen, die militärische Komponente hat zugenommen und und und. Und wenn Sie sagen, schärfere Sanktionen: Ich bin mir sicher, dann hätten wir schärfere Reaktionen erlebt.
Das kann nicht der Weg sein, das sollte er auch nicht sein, und von daher ist der jetzt eingeschlagene Weg mühsam, auch weil er nicht verkünden lässt wahrscheinlich, dass da der Erfolg und jener Erfolg am Wegesrand liegt, weil das sehr lange dauern wird, aber es ist der richtige Weg.
Ziel in der Ostukraine: "Militärisch ein Stück Entspannung hinzukriegen"
Büüsker: Wir haben jetzt darüber gesprochen, was Europa tun kann. Lassen Sie uns auf die andere Seite blicken. Was möchte Putin? Warum kommt er heute nach Berlin?
Platzeck: Ich gehe schon davon aus, um bei dem Hauptthema, bei dem angesetzten Thema Ostukraine zu bleiben, dass der russische Präsident möchte, dass man hier auf Sicht zumindest zu einer Entspannung der Situation kommt. Wir haben einen Kernkonflikt hier laufen, dass aus dem Minsker Abkommen zwei Pakete, wenn ich es mal so sagen soll, ableitbar sind:
einmal das politische, das heißt Wahlen in diesen abtrünnigen Regionen, Föderalisierung des ukrainischen Staates, und es gibt das Sicherheitspaket, Sicherung der Grenze zum Beispiel durch ukrainische Kräfte. Und beide Seiten nehmen sich so eins raus: Die Russen wollen vor allen Dingen das politische Paket umgesetzt wissen und die ukrainische Seite sagt, politisches Paket erst, wenn das Sicherheitspaket umgesetzt ist.
Und da den Knoten ein Stück weit zu zerschlagen, unter anderem so klein das praktisch klingt, das was Frank Steinmeier als OSZE-Präsident ja versucht, diese Modellregion deutlich ins Werk zu setzen, um militärisch ein Stück Entspannung hinzukriegen, da könnte man heute vielleicht auch ein Stück vorankommen, und das wäre gut, wenigstens diesen Konflikt auf Sicht ein ganz klein bisschen zu entschärfen.
Büüsker: … sagt Matthias Platzeck, Vorsitzender des Deutsch-Russischen Forums. Herr Platzeck, vielen Dank für das Gespräch heute Morgen hier im Deutschlandfunk.
Büüsker: Danke Ihnen auch, Frau Büüsker.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.