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Putin-Kritiker im Netz zum Schweigen bringen?

Das Motto des diesjährigen Petersburger Dialoges zwischen Deutschland und Russland lautet: "Die Informationsgesellschaft vor den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts". Diskussionsbedarf gibt es da womöglich genug, denn in Russland ist seit dem 1. November ein neues Internetgesetz inkraft.

Von Mareike Aden |
    Die dunkelblonde Lockenmähne ist sein Markenzeichen. Schon wegen dieser Haarpracht fällt Ilja Warlamow, Fotograf und einer der bekanntesten Blogger Russlands überall auf: Wenn er wie an diesem Abend Mitte November mit seinem Computer in einem Moskauer Café sitzt oder wenn er sich bei Oppositionsprotesten zwischen Demonstranten und knüppelnde Polizisten schiebt, um das beste Foto von den Festnahmen zu machen. Im vergangenen Winter, als sich die Protestbewegung gegen das System von Wladimir Putin formte, wurde Ilja Warlamow zu einer Art Chronist der Opposition. Er will mit seinen Fotos im Netz das zeigen, was staatlich kontrollierte Medien verschweigen oder verzerren.

    "Früher hat die russische Führung das Internet überhaupt nicht ernst genommen und es ignoriert. Deshalb konnte es sich sehr frei entwickeln und nun ist der politische Teil des russischen Internets sehr oppositionell eingestellt. Seit den Massenprotesten fühlt sich die russische Führung vom Internet bedroht und versucht jetzt, es irgendwie zu regulieren."

    Seit zwei Wochen gelten im russischen Internet neue Regeln: Das neue Jugendschutzgesetz – eine Initiative der Regierungspartei "Einiges Russland" – ist inkraft getreten. Behörden können Internetanbietern nun anordnen, Internetseiten zu blockieren, wenn die Seiten Kinderpornografie beinhalten, Drogenkonsum oder Selbstmord propagieren. Zu entscheiden, ob sie das tun, liegt allein im Ermessen der Behörden, ein Gerichtsbeschluss ist nicht nötig. Kritiker fürchten, dass das Gesetz wegen der schwammigen Kriterien als allgemeines Zensurinstrument missbraucht werden kann.

    "Das stimmt nicht: Zensur ist in unserem Land laut Verfassung verboten", sagt der Abgeordnete Sergej Jelesniak von "Einiges Russland". "Wie alle zivilisierten Länder haben wir das Recht, die Verbreitung von Informationen zu verhindern, die dem Gesetz widersprechen. Und wenn sie schon veröffentlicht sind, sollten wir sie blockieren können. Wir wollen die Gesundheit und Psyche unserer Kinder schützen."

    Im Internet kann jeder vorschlagen, welche Seiten gesperrt werden sollen. Die Liste hat nach zwei Wochen knapp 200 Einträge – und es gibt erste Streitfälle: Der Zugang zum satirischen Onlinelexikon Lurkmore wurde wegen zwei Artikeln über Marihuana vollkommen blockiert. Erst nach einem Aufschrei der russischen Internetgemeinde wurde Lurkmore von der Sperrliste genommen.

    In der Moskauer Vertretung des Internetsuchmaschinenbetreibers Google hat man solche Probleme erwartet. In vielen Verhandlungen habe sie versucht, die Regierung von der Regulierung abzubringen, sagt Marina Junitsch, die bei Google Russland für den Dialog mit staatlichen Behörden zuständig ist. Doch unterdessen fordern einige Abgeordnete schon, all jene zu bestrafen, die die inländischen Blockaden technisch umgehen. Marina Junitsch:

    "Die russische Führung muss sich klar werden, welche Ankündigungen sie noch umsetzen will. Sie muss entscheiden: Geht es weiter Richtung China und Iran oder will Russland ein freies Internet, das Voraussetzung ist für Innovation, für eine sich entwickelnde, moderne Wirtschaft und für Kreativität."

    Bisher versuchen es die Gegner des Gesetzes mit Humor: Sie schlagen vor, den Klassiker "Anna Karenina" von Lew Tolstoj auf die Sperrliste zu setzen, weil die Titelheldin Selbstmord begeht. Aber Sorgen bereitet ihnen, dass das Gesetz schon bald ausgeweitet werden soll: Auch Seiten mit Inhalten, die Behörden als extremistisch einstufen, könnten dann ohne Gerichtsbeschluss blockiert werden. Damit wäre es für die russischen Behörden noch leichter, Putin-Kritiker im Netz nach Belieben zum Schweigen zu bringen.