In einer der beliebtesten Talksendungen auf dem Staatsender "Rossija 1" spielt die Moderatorin offen durch, wie ein russischer Atomschlag gegen Europa ablaufen würde: Nach ihren Worten bräuchte eine Atomrakete von Kaliningrad nach Berlin nur 106 Sekunden und nach Paris 200 Sekunden.
Sendungen, in denen die Größe und Macht Russlands gefeiert und die Gegner diffamiert und abgewertet werden, sind in den russischen Programmen an der Tagesordnung. Sie werden auch von russischsprachigen Bürgern in der EU geschaut.
Russische Staatssender verbreiten Desinformation
Arthur Leonhardt kommt aus einer Spätaussiedlerfamilie, wanderte als Kind mit seinen Eltern aus Russland nach Deutschland ein. Heute ist er Rechtsanwalt in Frankfurt am Main und engagiert sich dort mit Gleichgesinnten gegen den Krieg. Er beschreibt, welches Bild diese Sender über den Krieg in der Ukraine verbreiten.
"Die Ukraine wird, wenn man es einfach sagen soll, seit acht Jahren mit Dreck übergossen. Man hat zum Teil in diesen russischen Staatsmedien mehr über die Ukraine als über Russland gehört. Also, wie schlecht die Ukraine ist, und warum Russland denn bitte nicht so werden soll wie die Ukraine. Da werden Russen diskriminiert. Das ist Nazi-Staat, ist ein Faschistenstaat. Sie wollen sich der Nato anschließen, sie wollen russisches Territorium erobern."
TV-Programme erreichen vor allem älteres Publikum
Ein Teil des russischsprachigen Publikums in Europa hat die Propaganda, die aus dieser Berichterstattung spricht, bereits verinnerlicht. Die Fernsehprogramme erreichen vor allem die Älteren, die noch aus der Sowjetunion eingewandert sind. Sie haben ihre damals mitgebrachten Sehgewohnheiten beibehalten. Prof. Jannis Panagiotidis ist Migrationsforscher an der Uni Wien. Er beschäftigt sich mit der Geschichte und Kultur der rund 2,5 Millionen Spätaussiedler in Deutschland.
"Es gibt aus der Zeit vor dem Krieg Zahlen aus dem Integrationsbarometer, die nahelegen, dass etwa ein Viertel der Menschen mit diesem Hintergrund wahrscheinlich solchen prorussischen Positionen zuneigen. Dieses Viertel sind diejenigen, die angegeben haben, dass sie russischen Medien vertrauen. Und die Überlegung ist dann, dass diejenigen, die diesen Medien vertrauen, eben auch die entsprechenden Narrative, die dort verbreitet werden, sich aneignen. Einschließlich der Unterstützung eines großrussischen Kurses oder jetzt eben auch eines Kriegskurses."
EU-Kommission will drei russische Inlandssender verbieten
Das wären in Deutschland rund 650.000 Menschen. Wie viele Menschen in der gesamten EU sich in erster Linie über staatsnahe russische Sender informieren, ist nicht bekannt. Aber die EU-Kommission hat das Problem der Beeinflussung durch russische Sender inzwischen erkannt. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen will erstmals drei russische Inlandssender verbieten. Vor dem Europaparlament kündigte sie vergangene Woche an:
"Wir verbieten die Ausstrahlung von drei großen staatlichen Rundfunkanstalten in Europa. Ihnen wird nicht mehr erlaubt, ihre Programme in Europa zu verbreiten. Egal auf welchem Weg, über Kabel, Satelliten, das Internet oder Apps auf dem Smartphone. Wir haben festgestellt, dass diese Fernsehprogramme Sprachrohre Putins sind, die seine Lügen und Propaganda aggressiv verbreiten. Wir werden ihnen nicht mehr länger erlauben, das zu tun."
"RTR Planeta", "Russia 24" und "TV Centre" im Fokus
In der EU diskutiert wird ein Verbot der Sender "RTR Planeta", "Russia 24" und "TV Centre". Das neue Sanktionspaket muss noch vom EU-Rat, also allen Regierungen der 27 Mitgliedsstaaten, beschlossen werden.
Die EU-Kommission verfährt bei den geplanten Verboten der drei russischen Inlandssender nach demselben Prinzip wie bei den beiden russischen Auslandssendern "RT" und "Sputnik": Sie will sie nach den Regeln des Binnenmarktes verbieten, also nach denselben rechtlichen Regeln wie sie etwa russischen Fluggesellschaften oder Banken den Zugang zum europäischen Markt untersagt.
Kritik an Vorgehen der EU
Kritiker sehen darin einen rechtsstaatlich strittigen Weg, weil die EU mit diesem Schritt mehr als bisher in medienpolitische Belange eingreift und somit die Meinungs- und Pressefreiheit einschränken könnte.
Rechtsstaatlich weniger angreifbar wäre es, die Sender medienrechtlich zu überprüfen und dann anhand transparenter Prinzipien zu entscheiden, ob sie wegen Verbreitung staatlicher Desinformation verboten werden sollen.
Doch um Sender aus Drittstaaten wegen zu viel Staatsnähe verbieten zu können, fehlt den meisten staatlichen Medienaufsichtsbehörden in Europa eine wichtige Voraussetzung: die eigene Staatsferne. Das meint Tobias Schmid. Er ist Direktor der Landesmedienanstalt Nordrhein-Westfahlen.
Fehlende rechtliche Grundlage für Verbot der Sender?
"Zum einen wäre es wahrscheinlich erstrebenswert, wenn wir das Staatsferne-Prinzip, das wir in Deutschland haben, auf ganz Europa ausweiten können, denn dann hätte man die Grundlage, um staatlich gesteuerte Inhalte zu unterbinden. Und zum anderen wird an der Situation deutlich, dass wir einen Mechanismus brauchen, dass wir im Krisenfall rechtswidrige und demokratiegefährdende Inhalte, basierend auf den Entscheidungen der staatsfernen Medienaufsichtsbehörden, in der Verbreitung vor allem über den Satelliten, vorübergehend unterbinden können. Und da ist die Europäische Kommission gefordert, die dafür eine gesetzgeberische Lösung finden muss."
Die Regulierungslücke bei Sendern aus Drittstaaten ist seit vielen Jahren bekannt, geschehen ist bislang nichts. Stattdessen versucht die EU-Kommission den Weg über direkte Senderverbote. Der Gedanke daran weckt bei Arthur Leonhardt gemischte Gefühle. Er ist gegen die Verbreitung von Propaganda – sieht aber keine Lösung darin.
"Man musste sich dann auch eingestehen, dass vielleicht in den letzten 20 bis 30 Jahren auch Integrationsversäumnisse leider vorgefallen sind. Und die gilt es jetzt zu berichtigen. Und das kann man, glaube ich, nicht tun, indem man von heute auf morgen Sender abschaltet."