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Zur medialen Kritik an der medialen Mode „Putinologie“
Der wilde Wladimir aus Leningrad

Der Krieg gegen die Ukraine hat auch die sogenannte „Putinologie“ wieder nach vorne gebracht: der Versuch, die Persönlichkeit von Russlands Präsident einzuordnen. Ein nicht immer ernst gemeinter Blick auf dieses Genre und die zum Teil zwiespältige Rolle, die Medien dabei spielen.

Eine Kolumne von Arno Orzessek |
Wladimir Putin im Interview mit einem NBC-Journalisten
Seit Jahren versuchen Journalisten und andere Experten, Wladimir Putin kennen zu lernen und zu verstehen - hier ein NBC-Journalist, der Russlands Präsident 2021 interviewt (picture alliance / ASSOCIATED PRESS)
Etwas maliziös verzeichnete der Wiener „Standard“ jüngst, dass die Zahl der „Putin-Kenner, Putin-Versteher und Putinologen“ während des Ukraine-Krieges enorm gestiegen sei. Und er trug seinerseits zusammen, „was wir über Putin wissen“. In puncto Ausbildung hieß es: „Machte den 'Kleinen Spion', 'Großen Spion' und 'Meisterspion'“. Als Putins Hobby gab der „Standard“ an: „Lange Tische sammeln“, Zusatz: „besitzt die weltweit größte Sammlung von 80-Meter-Tischen“. Und das Lebensmotto des Kremlherrschers? „'Nur über deine Leiche.'“
„Wenn es nicht wahr wäre, wäre es lustig, was es auch ist“, postete dazu ein „lee-marvin“. Wir lassen das gern so stehen, wollen jedoch die drei Sorten von Putin-Experten, die der „Standard“ erwähnt, auseinanderklamüsern.

Wladimir Iljitsch oder Wladimir Wladimirowitsch?

Ein Putin-Versteher, in extremo: Gerhard Schröder, ist natürlich pro Putin; ein Putinologe dagegen per se weder 'pro' noch 'contra', sondern jemand, der sich gern als der Putin-Kenner gebärdet, der er nicht ist. Vor diesem Hintergrund hat „Der Freitag“ unter dem Titel „Kleptokrat, Killer, KGB-Agent – oder vielleicht ein Nichts?“ schon vor Jahren eine Untersuchung des britischen „Guardian“ abgedruckt.
Darin dampft Keith Gessen die ganze Putinologie auf sieben ewig wiederkehrende Hypothesen ein, nicht zuletzt: 'Putin ist ein Genie', '...ist krank', '...ist ein Mörder'. Die einzige putinologische Hypothese, die Gessen nicht kritisiert und zugleich als „Höhepunkt“ der Putinologie lobt, ist die siebte: „Putin heißt Wladimir“.

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Gessen erwähnt indessen auch, dass Putin laut einem US-Magazin „nicht zufällig den Namen Wladimir Illjitsch mit Lenin teilt“. Nach dem Hinweis eines Lesers, dass Putin nicht Wladimir Iljitsch heiße, sondern Wladimir Wladimirowitsch, korrigierte sich das Magazin: Es sei ja wohl kein Zufall, dass Putin den Namen Wladimir mit Lenin teile.

„Inside Putins Kopf“

Ja, grinsen Sie ruhig! Aber laut dem Persönlichkeitsprofil des US-Geheimdienstes CIA handelt Putin sehr wohl nach der leninistischen Maxime: „Wenn Du auf Stahl stößt, zieh Dich zurück, wenn Du auf Brei stößt, mach weiter.“ Das berichtet der ZDF-Journalist Elmar Theveßen, im Netz abzugreifen unter der Überschrift „Inside Putins Kopf“. Übrigens eine tolle Formulierung für das Endziel jeder Putinlogie: Zu wissen, was „inside Putins Kopf“ abgeht.
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@mediasres-Kolumnist Arno Orzessek (Erik Zimmermann)
Marina El Gorbach zum Beispiel weiß das. Die ukrainische Regisseurin erklärte im Berliner „Tagesspiegel“, es gehöre zu ihrem Job, „mich in die Psyche meiner Figuren hineinzuversetzen.“ Dergestalt inside Putins Kopf, bemerkte er, Gorbach, dass da einer unbedingt „seinen Platz in der Weltgeschichte“ finden will. Eine Erkenntnis, die vielen Ukrainer leider gerade auch outside Putins Kopf zuteil wird. 

Ein „Zirkel für Putinologie“

Österreichs „Bild“, die „Kronen-Zeitung“, hat die Putinologie als „Wirtshaus-um-drei-in-der-Früh-Analyse“ definiert. Was auf den ersten Blick zur Urszene der Disziplin passt. Im Mai 2000 zitierte der „Tagesspiegel“ einen Bewohner des russischen Dorfes Sagutejewo: Man habe „gleich, als wir nach Neujahr wieder nüchtern waren, einen Zirkel für Putinologie gegründet.“
Allerdings wandte sich der Zirkel der Ahnenforschung zu. Denn in Sagutejewo heißt jeder zehnte Bewohner mit Nachnamen – Putin. Der wilde Wladimir aus dem Kreml aber, der kommt aus Leningrad.