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Putin-Rede
"Im Osten nichts Neues"

Der CDU-Europaabgeordnete Michael Gahler kann in der Rede von Russlands Präsident Putin an die Nation nur wenig Neues entdecken. Gahler sagte im Deutschlandfunk, Putin habe sich in vielerlei Hinsicht verkalkuliert und versuche nun ein Ablenkungsmanöver, wenn er die russische Wirtschaft stärken wolle.

Michael Gahler im Gespräch mit Bettina Klein |
    Michael Gahler.
    Der CDU-Europaabgeordnete Michael Gahler (dpa/EPA/T. Mughal)
    Dass Russlands Präsident Wladimir Putin seine allgemeine Kooperationsbereitschaft angeboten habe, hält der CDU-Europaabgeordnete Michael Gahler für kein großes Zugeständnis. Auch die EU sei kooperationsbereit, allerdings auf der Grundlage des Minsker Protokolls. Das war im September zwischen der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), der Ukraine und Russland ausgehandelt worden und sieht unter anderem eine Waffenruhe sowie deren Überwachung vor.
    "In Bezug auf die Ukraine-Krise vermisse ich eigentlich die Ankündigung, dass er bereit ist, zum Beispiel der OSZE tatsächlich den Zugang zur Grenze Ukraine/Russland zu gewähren, wie es eigentlich auch im Minsker Protokoll vorgesehen ist", sagte Gahler im Deutschlandfunk. Außerdem habe Putin auch nicht angekündigt, die Unterstützung der Rebellen im Osten der Ukraine einzustellen.
    Gahler: Putin versucht Ablenkungsmanöver
    Gahler sagte, Putin habe sich in vielerlei Hinsicht verkalkuliert: was die Kosten der Krim betreffe, dass der Osten der Ukraine nicht wie die Krim mit wehenden Fahnen zu ihm überlaufe; er habe die Fähigkeit des Westens und der EU unterstützt, gemeinsame starke Sanktionen zu beschließen und schließlich auch die Auswirkungen der Sanktionen selbst.
    Gahler hält es für ein Ablenkungsmanöver, wenn Putin nun davon rede, dass die russische Wirtschaft durch eigene Anstrengungen gestärkt werden könnte: "Was will er denn tun? Er ist jetzt nicht bekannt als der wirtschaftspolitische Experte." Putin habe ein Jahrzehnt lang Geld nur in alte Industrien wie Öl und Gas gesteckt und nicht in die Zukunft.

    Das Interview in voller Länge:

    Bettina Klein: Wir können nun Michael Gahler erreichen, CDU-Europaabgeordneter, Mitglied im Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten des Europaparlaments. Guten Tag, Herr Gahler.
    Michael Gahler: Guten Tag, Frau Klein.
    Klein: Sie haben ein paar Eindrücke gewinnen können von dieser Rede von Wladimir Putin heute. Was war für Sie die wichtigste Botschaft?
    Gahler: Ich sage mal, im Osten nichts Neues. Das heißt, in Bezug auf die Ukraine-Krise vermisse ich eigentlich die Ankündigung, dass er bereit ist, zum Beispiel der OSZE tatsächlich den Zugang zur Grenze Ukraine-Russland zu gewähren, wie es eigentlich auch im Minsker Protokoll vorgesehen ist. Und die anderen Forderungen, den Stopp der Unterstützung der Rebellen dort, das hat er natürlich auch nicht genannt. Dass er allgemein kooperationsbereit ist, das sind wir auch, aber natürlich auf Grundlage dessen, was unter anderem im Minsker Protokoll verabschiedet worden ist.
    Putin hat sich in vielem verkalkuliert
    Klein: Sie haben gesagt, nichts Neues. Nun war das die erste Rede zur Lage der Nation, nachdem diese ganze Situation dort eskaliert ist im Jahre 2014. Hat sich gar nichts verändert Ihrer Meinung nach?
    Gahler: Na ja, wenn er sakrale Begründungen für die Annexion der Krim bemühen muss, das finde ich schon fast abenteuerlich. Dann könnten wir viele Begründungen für Gebietsveränderungen herbeiführen. Ich glaube, er hat sich in vielem in diesem gesamten Jahr verkalkuliert: einmal, was die Kosten der Krim betrifft. Dann hat er geglaubt, dass der Donbass oder die Ostukraine ihm ebenso wie die Krim vielleicht mit wehenden Fahnen entgegenläuft; das ist auch nicht der Fall gewesen, deswegen musste er umschalten und auf diese angeblichen Rebellen zurückgreifen und eigene Truppen dort hinschicken. Dann hat er sich verrechnet in Bezug auf die Fähigkeit des Westens und der EU, insgesamt doch gemeinsame starke Positionen einzunehmen, und auch die Wirkungen der Sanktionen, die hat er unterschätzt. Und ich glaube, es ist ein Stück weit auch natürlich ein Ablenkungsmanöver von den tatsächlichen Effekten der Sanktionen, wenn er davon redet, dass dann auch die russische Wirtschaft durch eigene Anstrengungen gestärkt werden könnte.
    Klein: Herr Gahler, bleiben wir mal kurz beim Punkt "den Westen unterschätzt". Sie haben die Kontroversen hier in Deutschland sicherlich auch darüber verfolgt. Nun muss man sagen, weder die deutsche Diplomatie, noch die europäische Politik konnten ja substanziell bisher etwas an der Krise verändern, und wir reden darüber seit fast einem Jahr. Sehr stark ist der Westen nicht gewesen?
    Gahler: Ich bin positiv angetan, dass wir eine gemeinsame Position erreicht haben. Und täuschen Sie sich nicht: Wenn wir das insgesamt sehen in der Gesamtsicht, vom Rubel-Absturz über Börsen-Crash über die Investitionen, die nicht mehr getätigt werden, das Geld, was abgezogen wird, die Entwicklungen auch der Preise in Russland, und dann kommt zusätzlich der Rückgang der Ölpreise. Da ist doch einiges zusammengekommen, wo er letztlich, denke ich, im eigenen russischen Interesse eher über kurz als über lang einlenken sollte - ich glaube, auf der Basis des Minsker Protokolls. Wir haben derzeit die OSZE-Tagung in Basel. Die OSZE sollte eigentlich der gemeinsame Rahmen sein, in dem man zu Lösungen kommen kann und wo er auch spät vielleicht halbwegs gesichtswahrend noch hinter einer OSZE-Fassade das umsetzen kann, was in Minsk vereinbart worden ist.
    Er kann Modernisierung leider nicht
    Klein: Aber, Herr Gahler, Sie setzen jetzt, wenn ich es richtig verstehe, auf eine wirtschaftliche Destabilisierung Russlands. Nun hat sich gerade Wladimir Putin in diesem Punkt doch sehr optimistisch gezeigt. Er will mehr tun, um die Wirtschaft anzukurbeln. Also, es sieht nicht danach aus, dass das irgendwie größere Konsequenzen jetzt haben wird, was die Sanktionen angeht.
    Gahler: Er will mehr tun. Was will er denn tun? Ich sage mal, er ist jetzt nicht bekannt als der wirtschaftspolitische Experte. Überhaupt nicht! Seine einzige Idee über die Jahrzehnte oder das Jahrzehnt, wo er regiert, ist gewesen, die Erdöl- oder Gaseinnahmen in die marode Industrie zu stecken, statt wirklich die Modernisierungspartnerschaft anzunehmen, die ihm die Europäische Union, die ihm Deutschland, sage ich mal, wie sauer Bier angeboten hat. Er kann Modernisierung leider nicht. Er kann nur Geld in alte Industrien stecken, aber das Geld fehlt ihm jetzt ganz konkret, weil der Ölpreis und der Gaspreis sinken, und er kommt da in riesige Schwierigkeiten, und das ist eher das Pfeifen im Wald oder Optimismus predigen, aber ohne wirkliche Substanz dahinter.
    Annexion der Krim wird niemals anerkannt
    Klein: Schauen wir noch mal kurz auf den Westen. Inzwischen ist ja auch die Rede davon, man werde oder sollte Putin und Russland doch die Krim nun zubilligen - das sei eine Art Realpolitik - und außerdem auch keine Mitgliedschaft der Ukraine in der EU und der NATO anstreben. Unterstützen Sie diesen Kurs?
    Gahler: Zunächst mal werden wir rechtlich die Annexion der Krim niemals anerkennen, und das ist auch richtig. Wir werden sicherlich nicht operativ, denke ich mal, die Rückgabe der Krim jetzt kurzfristig verlangen als eine Vorbedingung neben anderen. Das sehe ich realistisch so. Aber rechtlich werden wir das unter keinen Umständen anerkennen und zu gegebener Zeit wird die Krim, sage ich mal, Magnettheorie. Das was positiver und attraktiver ist, wird dann das auch wieder anziehen. Dann wird das so geschehen.Und was die EU angeht? Wir haben ja keine EU-Beitrittsperspektive direkt der Ukraine angeboten, aber unser umfassendes Assoziations- und Freihandelsabkommen. Das ist ein Abkommen, was sowohl im rechtsstaatlichen Bereich als auch im wirtschaftlichen Bereich auf Modernisierung und auf Erneuerung setzt, und das ist die Perspektive, die wir der Ukraine bieten. Wir sollten derzeit nicht die NATO-Mitgliedschaft in eine vordringliche Kategorie setzen. In Krisenzeiten erweitert man nicht. Aber es ist ein unabhängiger Staat, der frei seine Zukunft wählen kann, aber die NATO-Mitgliedschaft steht jetzt sicherlich nicht auf der Tagesordnung.
    Klein: Sagt Michael Gahler, CDU-Europaabgeordneter, Mitglied im Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten des Europaparlaments, in einer ersten Reaktion auf die Rede von Wladimir Putin. Ich danke Ihnen für das Gespräch, Herr Gahler.
    Gahler: Bitte sehr!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.