"Schröder ist durch seinen Job bei Gazprom und seine Männerfreundschaft mit Putin irgendwie nicht mehr klar", sagte Jo Leinen im DLF. "Die Bilder, die wir gesehen haben, waren ziemlich deplatziert. Man kann nicht so eine Sause machen in einer Zeit, wo ein Land destabilisiert wird, wo Leute erschossen werden und auch gefangen genommen werden, also als Geiseln genommen werden. Also ich habe mich geschämt, als ich die Bilder im Fernsehen gesehen habe."
Der Altkanzler ließ nach Einschätzung Leinens seine gute Beziehung zu Putin für eine Entschärfung des Ukraine-Konflikts ungenutzt. "Schröder hat zu viel Verständnis für Putin; er findet Russland in Bedrängnis", sagte der SPD-Europaabgeordnete. "Wer Putin als einen lupenreinen Demokraten nennt, der ist da nicht mehr frei in seiner Einschätzung der Lage, die in Moskau produziert wird und die sich im Nachbarland Ukraine auswirkt."
"Andere Ex-Präsidenten helfen mit, Krisen zu lösen"
Leinen warf Schröder außerdem vor, seiner Rolle als deutscher Altkanzler nicht gerecht zu werden. "Eine Zurückhaltung, die wäre das mindeste, was man verlangen kann", sagte Leinen. "Andere Ex-Präsidenten helfen mit, Krisen zu lösen. Man hat nicht den Eindruck, dass das bei diesem Geburtstagsfest in Sankt Petersburg der Fall war." Auch diese Feier habe gezeigt, nur weitere empfindliche wirtschaftliche Sanktionen gegen Personen und Unternehmen könnten Moskau zu einem Einlenken bewegen. "Sprechen alleine hilft nicht, wenn einer taub ist und nicht zuhören will."
Das Interview mit Jo Leinen in voller Länge:
Dirk Müller: Richtig sauer soll die Regierung in Moskau sein, sauer darauf, dass der Westen weitere Sanktionen beschlossen hat, Amerikaner wie auch Europäer. Die nächsten Kontosperrungen, die nächsten Einreiseverbote. Die Separatisten im Osten der Ukraine hingegen lassen sich davon merklich nicht beeindrucken. Sie haben weitere wichtige Gebäude gestürmt und fordern die Unabhängigkeit oder auch den Anschluss an Russland.
Der Ukraine-Konflikt und die jüngste Entwicklung im Osten des Landes sowie auch in Moskau – darüber hat meine Kollegin Christiane Kaess mit dem SPD-Europapolitiker Jo Leinen gesprochen.
Der Ukraine-Konflikt und die jüngste Entwicklung im Osten des Landes sowie auch in Moskau – darüber hat meine Kollegin Christiane Kaess mit dem SPD-Europapolitiker Jo Leinen gesprochen.
Christiane Kaess: Herr Leinen, am Abend hat der russische Präsident Wladimir Putin die Hoffnung geäußert, dass die Militärbeobachter von der OSZE, die in der Ostukraine festgehalten werden, frei kommen könnten. Er setze darauf, dass die Gruppe die Region ungehindert verlassen könne.
Putin hat gleichzeitig kritisiert, dass die ukrainische Regierung das Militär ins Land geholt habe. Darüber habe er auch bei seinem Treffen mit Altkanzler Gerhard Schröder am Montag gesprochen. Ihre Einschätzung, Herr Leinen: Hat Schröder auf Putin hinter den Kulissen eingewirkt?
"Ich habe mich geschämt, als ich die Bilder im Fernsehen gesehen habe"
Jo Leinen: Man weiß es nicht. Jedenfalls die Bilder, die wir gesehen haben, waren ziemlich deplatziert. Man kann nicht so eine Sause machen in einer Zeit, wo ein Land destabilisiert wird, wo Leute erschossen werden und auch gefangen genommen werden, als Geiseln genommen werden. Ich habe mich geschämt, als ich die Bilder im Fernsehen gesehen habe.
Kaess: Ist das eine Ohrfeige für die deutsche Außenpolitik gewesen, die ja einen ganz anderen Kurs im Moment fährt?
Leinen: Ja sicher. Schröder ist durch seinen Job bei Gazprom und durch seine Männerfreundschaft mit Putin irgendwie nicht mehr klar, was die Politik notwendig macht, und er ist da meines Erachtens deplatziert. Wer Putin einen lupenreinen Demokraten nennt, der ist da nicht mehr frei in seiner Einschätzung der Lage, die in Moskau produziert wird und die sich im Nachbarland Ukraine auswirkt.
Kaess: Heißt das, als Bundeskanzler besteht auch nach dem Ausscheiden aus dem Amt eine gewisse moralische Verpflichtung?
Leinen: Ja, eine Zurückhaltung. Die wäre das Mindeste, was man verlangen kann. Andere Ex-Präsidenten helfen mit, Krisen zu lösen. Man hat nicht den Eindruck, dass das bei diesem Geburtstagsfest in St. Petersburg der Fall war. Dass Putin sich zu den OSZE-Geiseln äußert, ist wahrscheinlich ganz anderen Dingen geschuldet, dass der Druck international natürlich sehr groß ist, dass die Festnahme von Beobachtern einer Organisation, bei der Russland selber Mitglied ist, auch unerträglich ist. Ich glaube nicht, dass das was mit der Party in St. Petersburg zu tun hatte.
"Zurückhaltung bei Schröder wäre das Mindeste"
Kaess: Sie glauben nicht, dass Schröder auf Putin tatsächlich Einfluss genommen hat?
Leinen: Schröder hat zu viel Verständnis für Putin. Er findet Russland in Bedrängnis, er hat großes Verständnis für das, was Putin macht. Ich kann mir nicht vorstellen, dass das der Auslöser ist. Die Entwicklungen sind ganz andere, dass hinter den Kulissen verhandelt wurde und auch der Druck auf Russland groß wird.
Die nächsten Sanktionen stehen ja im Haus und ich denke, Putin wird abschätzen, was es kostet - diese Geiseln frei zu lassen, kostet nicht viel - und was es bringt, nämlich noch mal Bedenkzeit, damit in der Ostukraine dann auch noch weitere Gebäude und weitere Städte besetzt werden. Ich finde das ein Katz und Maus Spiel, was da betrieben wird. Das hat nichts mit der Geburtstagsparty von Gerhard Schröder zu tun.
Kaess: Aber, Herr Leinen, diese Äußerung, diese jüngste Äußerung von Putin in Bezug auf die OSZE-Geiseln sind ein eindeutiger Hinweis für direkte Verbindungen von Moskau zu den prorussischen Separatisten, die diese OSZE-Militärbeobachter festhalten?
Leinen: Ich bin ganz sicher, dass die Separatisten nicht aus eigenem Antrieb diese Aktionen machen. Man hat nicht solche Waffen als Bürger, man hat auch nicht solche Uniformen. Das ist gelenkt, das ist organisiert und vieles spricht ja dafür, dass es von Russland gesteuert ist.
Kaess: Auch die Geiselnahme?
Leinen: Ja, dieser selbst ernannte Bürgermeister ist ja noch ein Irrlicht besonderer Art. Da weiß ich nicht, ob die sich genau klar waren, wen sie da festgesetzt hatten. Jedenfalls wird damit gespielt und man hat ja auch gehört, die Bedingungen, dass keinerlei Sanktionen mehr gegen Russland verhängt werden, das war alles eine Nummer zu groß und vielleicht haben die Freunde aus Russland dann auch eingewirkt, zumindest diese Geiseln loszulassen, während ja wohl noch ein paar Dutzend andere Personen in der Geiselhaft der Separatisten sind.
"Separatisten handeln nicht aus eigenem Antrieb"
Kaess: Was muss der Westen jetzt tun?
Leinen: Wir sollten nach wie vor Angebote machen, dass man spricht über die Ukraine. Aber sprechen alleine hilft dann auch nicht, wenn einer taub ist und nicht zuhören will. Ich hoffe, dass diese Eskalation nicht wesentlich weiter geht. Ansonsten stehen ja auch weitere Sanktionen an und ich glaube schon, dass die auch treffen.
Kaess: Aber, Herr Leinen, macht sich die EU nicht mittlerweile unglaubwürdig damit, immer wieder Wirtschaftssanktionen anzudrohen, aber letztendlich keinen konkreten Schritt weiterzugehen?
Leinen: Natürlich ist der Preis auch im Westen dann zu zahlen, weil viele Firmen ja auch in Russland investiert haben und niemand einen Wirtschaftskrieg will. Aber ich denke, da ist noch Luft drin, auch Personen mit ihren Konten, mit ihren Reisewünschen zu brandmarken.
Die russische Elite in St. Petersburg und in Moskau, die hat ja das meiste Geld im Westen auch untergebracht, weil sie dann ihren eigenen Banken nicht traut. Sie haben auch Villen und Vermögen im Westen. Ich glaube, das tut schon weh und auf diesem Weg muss der Westen weitermachen, weil wir keine militärische Lösung haben. Wir haben nur diese Art des Drucks gegen Personen und vielleicht eines Tages notgedrungen auch gegen Unternehmen.
Müller: Meine Kollegin Christiane Kaess im Gespräch mit dem SPD-Europapolitiker Jo Leinen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.