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Putschpläne, Festnahmen, Krisengipfel

Wollte das historisch putscherfahrene türkische Militär wirklich die Regierung in Istanbul stürzen? Wollte der Generalstab eine Moschee sprengen lassen, um die Türkei zu destabilisieren? Die Krise bedeutet nichts weniger als einen weiteren Schritt Richtung Demokratie.

Von Kilian Pfeffer | 26.02.2010
    "Jetzt bin ich wieder bei Ihnen" – das waren die Worte des ehemaligen Chefs der türkischen Luftwaffe, Firtina, als er am späten Abend auf freien Fuß gesetzt wurde. Seine Festnahme, so Firtina, sei ein Missverständnis gewesen. Firtina war einer von fast 50 Militärs, die Anfang der Woche festgenommen wurden, weil sie angeblich einen Putsch gegen die Regierung geplant hatten. Zwei weitere ranghohe Generäle sind am Abend freigelassen worden. Wie es heißt, werden die drei nicht angeklagt, gleichwohl werde aber weiter gegen sie ermittelt. Ansonsten befinden sich von den 50 festgenommenen Armeemitgliedern jetzt 31 offiziell in Untersuchungshaft. Es ist das erste Mal in der Geschichte der türkischen Republik, dass die Justiz so massiv gegen das Militär vorgeht. In dieser brenzligen Situation trafen sich gestern der türkische Staatspräsident Gül, Ministerpräsident Erdogan und Generalstabschef Basbug zu einem Krisentreffen, um den Streit zu besprechen. Es sei ein gutes Treffen gewesen, hieß es, Details wurden aber nicht bekannt. Auch der Journalist Avni Özgürel von der linksliberalen Tageszeitung "Radikal" wertet den Krisengipfel positiv:

    "Aus dem Treffen wird eigentlich deutlich, dass das System letzten Endes eben doch funktioniert. Das heißt: In der Türkei hatte es in den letzten paar Tagen eine Anspannung gegeben. Jetzt kann man sagen, dass dieses Bild nicht mehr vermittelt wird, oder sowohl die Politik, als auch das Militär zumindest den Willen bekundet haben, ihren Teil dafür beizutragen. Ich persönlich bin der Meinung, dass dieses Treffen der Türkei den hohen Druck nehmen und für Entspannung sorgen wird."

    Gül, Erdogan und Basbug ließen mitteilen, man habe sich darauf geeinigt, den Streit, Zitat, innerhalb der verfassungsrechtlichen Ordnung und entsprechend der gesetzlichen Vorgaben zu lösen. Das ist auch ein Hinweis darauf, dass ein Militärputsch nicht infrage kommt.
    Das klingt zwar selbstverständlich, ist es aber durchaus nicht in einem Land, in dem das Militär in den vergangenen Jahrzehnten mehrere Male gegen Regierungen geputscht und sie abgesetzt hat.

    Ausgangspunkt des Konfliktes ist ein angeblicher Putschplan mit dem Namen Balyioz, übersetzt Vorschlaghammer. Die linke unabhängige Zeitung "Taraf" hatte Ende des vergangenen Monats enthüllt, dass hochrangige Militärs im Jahr 2003 die damals neu gewählte Regierungspartei AKP absetzen wollten. Durch verschiedene Maßnahmen, so die "Taraf", habe die neu gewählte islamische Partei AKP destabilisiert werden sollen, unter anderem dadurch, dass eine zentrale Istanbuler Moschee in die Luft gesprengt werden sollte. Als Generalstabschef Basbug Ende Januar zu den Berichten Stellung nahm, war er deutlich weniger ruhig als heute, er zitterte vor Wut:

    "Wir Soldaten werfen uns bis heute dem Feind mit dem Ruf Allah, Allah entgegen. Jetzt frage ich Sie: Kann eine Armee, die mit Allah, Allah ihre Heimat verteidigt, eine Moschee in Luft sprengen? Verflucht seien diese Leute."

    Mit diesen Leuten sind hauptsächlich die Enthüllungsjournalisten von "Taraf"gemeint. Die Erklärungen der verantwortlichen Militärs zu Vorschlaghammer: Es sei kein Putschplan gewesen, es habe lediglich im März 2003 ein taktisches Seminar gegeben, in dem verschiedene Szenarien zur Bekämpfung von inneren Feinden durchgespielt worden seien. Doch die Erklärung erschien noch nicht einmal den traditionell armeefreundlichen Oppositionsparteien CHP und MHP ausreichend.

    Putschplan oder nicht – Kolumnisten wie Okay Gönensin von der Zeitung "Vatan" sehen die Auseinandersetzungen mit dem Militär als einen notwendigen Prozess an. Nur so sei es möglich, Diktaturen hinter sich zu lassen und dauerhafte Demokratie zu schaffen, das habe man auch in Ländern wie Spanien oder Griechenland beobachten können, und auch in Lateinamerika:

    "Die lateinamerikanischen Länder haben aber länger gebraucht als wir. Ich sage das, weil gerade die Frage zur Debatte steht, warum man sieben Jahre gewartet hat, um gegen die Putschpläne zu ermitteln. In Lateinamerika hat man 20 Jahre gewartet. Man hat darauf gewartet, dass die Gesellschaft anreift für so etwas. Und dann hat man aber hart zugegriffen, genau wie jetzt bei uns."

    Hartes Zugreifen oder nicht - ein schnelles Ergebnis wird es bei den Prozessen voraussichtlich nicht geben. Vor zweieinhalb Jahren wurden erstmals angebliche Mitglieder eines ultrarechten Geheimbundes mit dem Namen Ergenekon angeklagt. Der Vorwurf: Ergenekon hätte geplant, die Regierung zu stürzen. Der Prozess läuft, bisher gab es noch keine Verurteilung.