"Genetische Untersuchungen haben gezeigt, dass die Pygmäen in Zentralafrika einen gemeinsamen Urahn haben, der vor 60.000 Jahren lebte. Und die unterschiedliche Körpergröße von Populationen geht sicher auf Unterschiede im Wachstumsprozess zurück."
Der Anthropologe Fernando Ramirez Rozzi untersucht die Evolution des Menschen bei der französischen Forschungsorganisation CNRS in Paris. Worüber er und seine Kollegen bislang nur wenig wussten: Wie und wann stellt sich die geringe Körpergröße von Pygmäen im Lauf des individuellen Wachstums ein. Und ist der Prozess derselbe für die genetisch zwar verwandten aber getrennt lebenden Gruppen in Ost- und Westafrika?
Um Antworten zu finden, untersuchten die Forscher das Wachstum von Angehörigen der Baka - einer westafrikanischen Volksgruppe - von der Geburt bis zum 25. Lebensjahr. Der größte Baka, den sie trafen, war mit 1,69 Meter so groß wie Ramirez Rozzi. Im Durchschnitt werden die Baka allerdings nur etwa eineinhalb Meter groß. "Die Babys der Baka sind bei der Geburt so groß und schwer wie die von nicht kleinwüchsigen Populationen. Allerdings verlangsamt sich dann das Wachstum stark bis zum zweiten oder dritten Lebensjahr. In diesem Alter haben sie im Vergleich zu anderen Kindern eine sehr geringe Körpergröße. Danach gleicht ihre Wachstumsrate wieder der einer Standard-Population, bis sie ausgewachsen sind."
Unterschiede zwischen Ost und West
Das Ergebnis überraschte die Wissenschaftler. Bislang hatten sich Studien zum Wachstumsprozess vor allem auf das junge Erwachsenenalter konzentriert. Zwar kommt es auch bei Europäern zu verlangsamtem Wachstum in der Kindheit. Allerdings ist der Effekt bei den Baka viel ausgeprägter. "Mit der Geburt gibt es hormonelle Veränderungen, die das Wachstum beeinflussen. Aber wie dieser Wechsel abläuft, und welche Moleküle dann im Einzelnen die Größenzunahme bedingen, ist auch bei Europäern noch unklar."
Der Wachstumsprozess der Baka unterscheidet sich außerdem klar von Pygmäen aus Ostafrika. Zwei ältere Studien zeigten, dass in den dortigen Gruppen die Neugeborenen mit durchschnittlich 45 Zentimetern und 2,4 Kilogramm sehr klein und leicht sind. Die Kleinwüchsigkeit wird also bereits vor der Geburt im Mutterleib angelegt, nicht erst danach wie bei den Baka. "“Der Prozess, der zur geringen Körpergröße führt, ist also vollkommen unterschiedlich. Dahinter stecken andere Hormone und damit auch andere Gene. Kleinwüchsigkeit hat sich demnach bei den Pygmäen in Ost- und Westafrika unabhängig voneinander entwickelt."
Heutige Pygmäen leben semi-nomadisch, wandern aber nur wenige Kilometer umher. Mit dem Ende der letzten Kaltzeit breitete sich der Regenwald in Zentralafrika aus und wirkte vermutlich als Barriere, die verhinderte, dass sich Gruppen aus Ost- und Westafrika austauschten. Klein zu sein, brachte damals aber offenbar überall Vorteile beim Leben im Dschungel. "Dazu gibt es viele Hypothesen. Eine besagt: Je kleiner du bist, desto leichter kannst du dich im Wald bewegen. Dann der Energieverbrauch: Du brauchst weniger Essen. Und drittens Thermoregulation: Ein kleiner Körper hat im Verhältnis zur Masse eine größere Oberfläche. Dadurch kann man die Körperwärme besser abgeben."