"Wenn an einem ruhigen Abend am Strand plötzlich aus dem Nichts Deine Exfreundin auftaucht mit einer Geschichte über ihren neuen Freund – einen Milliardär und Baulöwen – und dessen Frau und deren Freund und von einem Plan erzählt, den Milliardär zu kidnappen und in die Klapse zu stecken." – "Ich brauch Deine Hilfe Doc." – "Dann solltest Du vielleicht lieber wegsehen."
Wir sind in Gordita Beach, Los Angeles. Doc Sportello ist Privatdetektiv, irgendwie - denn meist ist er bekifft und nimmt die Welt nur durch einen dunstigen Marihuana-Nebel wahr. 1970 ist die Hippie-Welt in L.A. noch in Ordnung. Ebenso die der Baulöwen und Glücksritter.
Kalifornien träumt noch
Die traumatisierenden Manson-Morde sind noch nicht geschehen. Kalifornien träumt noch den Traum von grenzenloser Freiheit und ewiger Sonne für die Surfer. Exfreundin Shasta taucht bei Doc auf wie die obligatorische "Frau in Schwierigkeiten", die bei Raymond Chandler jeweils die Geschichten in Gang setzt. Doch auch, wenn der Plot den wichtigsten Regeln der Krimis der schwarzen Serie entspricht, verweigert sich der Film nach dem Roman von Thomas Pynchon aus dem Jahr 2009 jeglicher Krimilogik. Dieser Ermittler wird nichts wirklich herausfinden und es ist auch egal, ob und wer den Immobilienhai Mickey Wolfman entführt hat und warum.
Doc wacht nach einem Niederschlag neben einer Leiche auf. Immer mehr dubiose Kunden wollen, dass er in dem Umfeld der Entführung ermittelt. Und immer undurchsichtiger wird der Fall, wenn es ihn überhaupt gibt. Keine Hilfe ist auch der leidenschaftliche Cop "Bigfoot", vor dem sich Doc in Acht nehmen und doch mit ihm kooperieren muss, um nicht als Mordverdächtiger zu gelten. Denn auch der ist trotz seines normierten Quadratschädels rechtschaffen verrückt. Schon der Engpass an Pfannkuchen im asiatischen Restaurant macht ihn rasend.
"Moto Panekeku. Moto Panekeku. Hai, Hai, Hai."
Gags anstelle stringenter Handlung
Die irre Handlung dieser überdrehten Posse zu beschreiben hat wenig Sinn. Regisseur Paul Thomas Anderson – sonst eher als ernsthafter Regisseur bekannt – zum Beispiel mit "There Will Be Blood" führt sein Publikum gekonnt an der Nase herum. Anstelle einer stringenten Handlung häuft er Stimmungen und Gags so lange auf, bis man sich dramaturgisch in einem überdrehten Zeichentrickfilm wähnt. Die Reste der Story tauchen - elegant verborgen- nur gelegentlich aus dem Nebel auf bis man einsieht, dass man sie gar nicht braucht, um diesen Film zu verstehen. Spirituelle Erleuchter, Nazi-Gangs und die Polizei sowie die Sonne Kaliforniens, die - manchmal wenigstens - die Hauptfigur Doc aus dem Dauerdrogenrausch aufzuwecken scheint: Paul Thomas Anderson formt filmisch kongenial die Schnitzeljagden nach, auf die Thomas Pynchon seine Leser so gerne schickt.
Um so mehr ist sein Mut zu bewundern, wenn er sein Publikum sehr bewusst auf diese Reise in eine Welt mitnimmt, in der Menschen ihre Identität schneller wechseln als ihre Klamotten. Manch einer mag in dieser vergnüglichen Mixtur Zitate der Kalifornien- und Gangsterfilmklassiker "Tote schlafen fest", "Chinatown" und "The Big Lebowski" entdecken. Dem letzteren Film der Coen-Brüder ist er vielleicht als großer Kino-Spass mit vielen filmhistorischen Referenzen am Nächsten. Anderson verweist auf solche Vorbilder vielleicht ganz besonders, weil der Film in der klassischen 35mm – Fotografie entstanden ist und den Schmutz und die Kratzer nicht digital entfernt hat. Auch hat er nach eigener Aussage gelegentlich Filmmaterial verwandt, dass noch von den Dreharbeiten zu "Magnolia" übrig geblieben war und mit dem man nur fast verblichene Bilder drehen konnte.
"Hab ich Dich getroffen?" –"Doc ist vielleicht kein Guter aber er hat Gutes getan. Viel Glück Doc."
"Inherent Vice" – Natürliche Mängel kann leicht übersehen werden als komödiantische Fingerübung eines großen Regisseurs. Doch der Film ist etwas ganz Besonderes - eine grandiose Leistung im Einfachen, das so schwer zu machen ist: eine veritable Chaos-Komödie.