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Quäkertum
Schweigen statt Dogmen

Das Quäkertum hat in Deutschland nur rund 250 Mitglieder. Teils gilt es als christliche Freikirche, doch einige Quäker verstehen sich weder als christlich noch als Kirche. An die Stelle von Gebeten und Ritualen tritt bei den Quäkern das gemeinsame Schweigen.

Von Christian Röther |
Jutta Herminghaus und Florian Bechtel vor dem Quäker Nachbarschaftsheim in Köln
Jutta Herminghaus und Florian Bechtel vor dem Quäker Nachbarschaftsheim in Köln (Deutschlandradio / Christian Röther)
Das deutsche Verb "quäken" ist lautmalerisch und beschreibt eher unangenehme Geräusche – etwa, wenn jemand rumquäkt. Die Quäker allerdings haben mit diesem Quäken so gar nichts zu tun. Ihre Andachten klingen so:
[Stille]
Florian Bechtel: "Wir sitzen alle gemeinsam im Kreis bei so einer Andacht, und versuchen gemeinsam zu hören, was steht jetzt gerade - was ist wichtig. Und versuchen zu hören auf das, was das Licht uns sagt. Das Göttliche kann, wenn es das will, jederzeit durch und mit jedem Menschen sprechen."
Jutta Herminghaus: "Manche sagen, eine Viertelstunde Schweigen, bevor der Erste einen Beitrag leisten darf. Andere sagen, eine halbe Stunde Schweigen. Und andere Gruppen sagen, eine ganze Stunde Schweigen und erst danach sprechen."
Bechtel: "Und wenn ich dann das Gefühl habe, so, ich möchte jetzt was sagen, dann kann jeder und jede aus dem Kreis etwas sagen. Die Worte, die dann gesagt werden, sind wichtig, und die müssen gesagt werden. Deswegen ist es dann auch wichtig, dass es gehört wird und innerlich angenommen und mitgenommen wird."
Keine Taufe, keine Priester, keine Dogmen
Florian Bechtel und Jutta Herminghaus gehören zur Quäkergruppe in Köln. Er wurde in eine Quäker-Familie geboren, sie entdeckte das Quäkertum, als sie evangelische Theologie studierte:
"Und da fand ich dann bei den Quäkern all das, was ich eigentlich immer gesucht habe. Also zum Beispiel: kein Glaubensbekenntnis. Dass die Frauen wirklich schon von Anfang an im 17. Jahrhundert gleichberechtigt waren und predigen durften."
Das Gebäude, in dem sich das Kölner Quäker Nachbarschaftsheim befindet, wurde in den 1970er Jahren gebaut
Das Gebäude, in dem sich das Kölner Quäker Nachbarschaftsheim befindet, wurde in den 1970er Jahren gebaut (Deutschlandradio / Christian Röther)
Das Quäkertum ist Mitte des 17. Jahrhunderts in England entstanden. Es ist aus dem Christentum hervorgegangen, hat aber viele kirchliche Bräuche und Traditionen verworfen – nicht nur das Glaubensbekenntnis.
Herminghaus: "Es gibt bei den Quäkern sehr wenige Rituale. Zum Beispiel gibt es die Taufe als Aufnahmeritual nicht. Vielleicht schließt das ein bisschen an diese calvinistische Vorstellung an, dass die Taufe eigentlich im Geist passiert und nicht durch Wasser vollzogen werden muss."
Bechtel: "Es gibt kein Dogma, es gibt keine Vorschrift. Sondern, jeder versucht, ein guter Mensch zu sein."
Herminghaus: "Für mich war bei den Quäkern eigentlich wichtig das, was nicht da war."
Entscheiden durch Schweigen
Es gibt auch keine Priester, keine Pastorinnen, keine formale Hierarchie.
Herminghaus: "Wir sind alle füreinander verantwortlich und sind alle dafür verantwortlich, dass in unserer Gemeinde auch das Seelsorgeamt wahrgenommen wird – und wenn ich das nur für eine Person spüre. Wenn ich zum Beispiel sehe, da ist eine bestimmte Person, die bedarf jetzt meiner besonderen Fürsorge, dann kann es sein, dass ich diese eine Person vielleicht jeden Tag oder jede Woche anrufe. Aber das heißt nicht, dass ich dann für die ganze Gemeinde zuständig bin."
Reihe "Wir sind die Sonstigen – kleine Religionen in Deutschland"
In Deutschland leben Christinnen und Christen, Konfessionslose und Religionsfreie, Muslime und Jüdinnen, Buddhistinnen und Hindus. Und "Sonstige". So werden kleinere Religionsgemeinschaften in Statistiken oft bezeichnet. Doch wer verbirgt sich dahinter? Wir haben Drusen und Jainas getroffen, ein daoistisches Zentrum und einen Sikh-Tempel besucht, mit Mandäern, Jesidinnen und Bahá’i gesprochen – und nach langer Suche sogar jemanden gefunden, der sein Leben am Shintoismus ausrichtet.
Das Quäkertum kennt nur ein einziges offizielles Amt: den Schreiber oder die Schreiberin. In Köln ist Florian Bechtel der Schreiber und damit zuständig für Organisatorisches. Wer dieses Amt bekommt, das entscheidet die Gruppe im Konsens. Generell sollen alle Entscheidungen der Quäker einstimmig getroffen werden:
"Wenn wir finden, okay, das ist gut, das kann ich mittragen, schweigen wir alle, und dann ist das so gut. Und wenn jemand aber sicher fühlt, das ist nicht gut, dann spricht die Person auch."
"Quäker" war ein Spottname
Der Name "Quäker" kommt von der englischen Bezeichnung "Quaker", und die wiederum von dem englischen Verb "to quake". Das bedeutet "zittern". Die Quäker sind also im Wortsinne "die Zitternden". Ursprünglich war das eine Spottbezeichnung, weil einige Quäker anfangs bei den Andachten in Ekstase geraten sein sollen.
Herminghaus: "Ich habe das einmal erlebt bei einem Quäker - der gehört zur Deutschen Jahresversammlung, stammt aber aus England - der bei einem seiner Beiträge so ergriffen war, dass er wirklich gezittert hat. Da habe ich dann verstanden, was das war damals, dieses Quäken, dieses Erzittern."
Bechtel: "Eine andere Herkunft dieses Namens, die wohl auch gültig ist, war, dass - die Quäker haben ja immer den Kriegsdienst verweigert, und sie sind deshalb als Feiglinge bezeichnet worden - dass daher die Bezeichnung 'quaker' kommt: die Wankelmütigen, die Feiglinge halt."
Nur 250 Quäker in Deutschland
Florian Bechtel trägt ein T-Shirt mit einer weißen Friedenstaube – Ausdruck des Pazifismus der Quäker. Anfangs wurden sie in England unterdrückt und verfolgt wegen ihrer abweichenden religiösen Lehre. Viele zog es über den Atlantik in die "neue Welt", die mehr religiöse Freiheiten versprach. Der berühmteste von ihnen war wohl William Penn, nach dem heute der US-Bundesstaat Pennsylvania benannt ist.
Der Stich nach einem Originalgemälde von Godfrey Kniller zeigt William Penn, den Quäker und Gründer der amerikanischen Bundesstaaten Pennsylvania und Philadelphia. Er wurde am 14. Oktober 1644 geboren und starb am 29. Juli 1718.
Der Stich nach einem Originalgemälde von Godfrey Kniller zeigt William Penn, den Quäker und Gründer der amerikanischen Bundesstaaten Pennsylvania und Philadelphia. (picture-alliance / dpa)
Inzwischen nennen sich die Quäker auch selbst Quäker, neben der Eigenbezeichnung "Religiöse Gesellschaft der Freunde." Weltweit gibt es nach eigenen Angaben knapp 400.000 Quäker, in Deutschland sind es nur rund 250 Personen – und nochmal ungefähr so viele sogenannte "Freunde der Freunde".
Herminghaus: "Man wird eigentlich erst aufgenommen, wenn man an mehreren Bezirksversammlungen teilgenommen hat, schon an mehreren Jahresversammlungen teilgenommen hat. Eigentlich wird erwartet, dass man die Quäker auch von innen her richtig kennengelernt hat, bevor man seinen Aufnahmeantrag stellt."
Friedensnobelpreis für Quäker-Hilfswerke
Bechtel: "Dann wird die Person, die diesen Antrag gestellt hat, in der Regel zuhause besucht von mehreren Quäkern, die sie kennen oder auch nicht kennen. Und wenn die Leute, die die Person besucht haben, sagen: Jo, passt zu uns - und letztendlich wird dann der Deutschen Jahresversammlung, wenn wir uns einmal im Jahr gemeinsam treffen, gesagt: Okay, folgende neue Mitglieder. Und deswegen können wir sehr genau sagen, wer ist Quäker und wer nicht."
Die Deutsche Jahresversammlung ist der bundesweite Zusammenschluss der Quäker. Sie wurde 1925 gegründet. Damals, in der Weimarer Republik, entstanden in einigen deutschen Städten Quäkergruppen. Heute gibt es sie in über 30 Städten.
Nach beiden Weltkriegen kamen Quäker aus England und den USA nach Deutschland, um humanitäre Hilfe zu leisten. Unter anderem dafür erhielten Quäker-Hilfswerke 1947 den Friedensnobelpreis. Spätestens seitdem sind die Quäker für ihre Mitmenschlichkeit bekannt. Florian Bechtel drückt es so aus:
"In jedem Menschen ist irgendetwas Göttliches. Und wir versuchen, wenn wir einen anderen Menschen sehen - auch wenn der ein Arsch ist - irgendwie trotzdem das Positive in diesem Menschen zu sehen, das Göttliche in diesem Menschen zu sehen."
"Die Welt zu einem besseren Ort machen"
Wichtig ist für viele Quäker deshalb, Gutes zu tun. Florian Bechtel engagiert sich bei der Freiwilligen Feuerwehr und hat vor ein paar Jahren Hilfsgüter für ein Flüchtlingslager in Griechenland gesammelt und dort hingefahren:
"Der Effekt von Laberei ist eben begrenzt. Der Effekt ist viel größer mit dem, was man tatsächlich tut."
Herminghaus: "Es gibt auch Quäker, die sagen, es kommt nicht darauf an, dass ich ein besserer Mensch werde. Aber ich kann versuchen, die Welt zu einem besseren Ort zu machen."
Christlich oder post-christlich?
In Köln haben die Quäker in den 70er Jahren ein soziales Zentrum gebaut: das Quäker-Nachbarschaftsheim im Stadtteil Ehrenfeld. Es wird heute nicht mehr von den Quäkern betrieben, doch die Kölner Quäker-Gruppe trifft sich hier noch immer – jeden letzten Sonntag im Monat zur Andacht in einem schlichten Mehrzweckraum. Es kommen immer so zehn bis fünfzehn Personen, sagt Florian Bechtel. Manche Quäker verwenden als Symbol einen acht-zackigen Stern. Hier in Köln findet sich nichts dergleichen – und auch kein christliches Kreuz.
Herminghaus: "Das Quäkertum ist auf Basis des Christentums entstanden. Das kann man sicherlich sagen. Viele Quäker versuchen, sich eher der Stimmung in der urchristlichen Gemeinde anzunähern. Ich glaube, die meisten Quäker sehen es auch wirklich so, dass - wenn sie einen christlichen Bezug haben, dass sie Jesus einfach als ein Vorbild ansehen in seiner Vorbildfunktion."
Das Quäkertum unterteilt sich in drei Hauptströmungen: Evangelikale, Konservative und Liberale. Die evangelikalen Quäker trifft man vor allem in den USA. Für sie spielen Christentum und Bibel nach wie vor eine wichtige Rolle. Konservative Quäker setzen die Bibel an die zweite Stelle. Wichtiger ist, was sie selbst religiös empfinden – die eigene Erfahrung mit dem "Inneren Licht". Dieses göttliche Licht ist bei allen Quäkern sehr wichtig.
Zwei Quäker, drei Meinungen
Bei den Liberalen spielt die Bibel hingegen teils gar keine Rolle mehr. Manche verstehen sich auch nicht als christlich. Auch Jutta Herminghaus ist liberale Quäkerin:
"Für die Quäker gilt eigentlich die Bibel als eine Quelle, die Weisheiten enthalten kann, aber es gibt auch viele andere Schriften, die Weisheiten enthalten können - also auch aus anderen Religionen, aus philosophischen Richtungen."
Teils werden die Quäker zu den evangelischen Freikirchen gezählt. Manche Gruppen in den USA nennen sich auch selbst "Freundeskirche". Jutta Herminghaus hat kein Problem mit dem Begriff Kirche: "Kirche ist ja eigentlich nur die Ekklesia. Das griechische 'Ekklesia' ist die 'Versammlung'. Und in dem Sinne sind wir Kirche."
Florian Bechtel allerdings kann einer Kirche nichts abgewinnen: "Also ich würde - verstehe mich überhaupt nicht als Kirche."
Auch das sei typisch Quäker, meinen die beiden: Wenn man mit Zweien von ihnen spricht, bekomme man drei Meinungen. Doch genau dieses Undogmatische, das schätzen Quäker an ihrer Religion.