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Qualität ohne Quote

Es hätte so ein großes Fernsehjahr werden sollen. Das Jahr der Rückkehr der guten deutschen Fernsehserie. Sat.1 hatte fast ein Dutzend neuer Serien angekündigt, modern sollten sie sein und hochwertig. RTL hatte eine neue Fiction-Chefin bekommen, die versprach, das Publikum ernst zu nehmen. Die ARD hatte eine Nachfolgeserie für das vielfach preisgekrönte "Berlin, Berlin" entwickelt. Jetzt musste nur noch das Publikum einschalten, und alles wäre gut gewesen.

Von Stefan Niggemeier |
    Doch das Publikum schaltete nicht ein. 2006 wurde zu einem verheerenden Jahr für die deutsche Fernsehserie. Auf Sat.1 ging Sönke Wortmanns Fußballerserie "Freunde fürs Leben" ebenso unter wie die Historienserie "Unter den Linden" und der Serienthriller "Blackout". RTL sah sich gezwungen, ausgerechnet seine höchstgelobten Serien "Abschnitt 40" und "Die Sitte" abzusetzen, weil kaum noch jemand zusah, und die Krimi-Reihe "Doppelter Einsatz" überlebte wohl nur, weil davon ohnehin immer nur eine Handvoll Folgen pro Jahr laufen. Die ARD stellte entsetzt fest, dass die Quote des "Berlin, Berlin"-Nachfolgeformats "Ein Engel für Amor" gerade einmal halb so hoch war, wie für eine Fortsetzung nötig gewesen wäre. Und auch die feine und witzige Multikulti-Patchwork-Familienserie "Türkisch für Anfänger" schaffte es nur mit Müh und Not, in eine zweite Staffel gehen zu dürfen - trotz mauer Zuschauerresonanz; allein aufgrund der guten Kritiken und mangels öffentlich-rechtlicher Alternativen, die beim jungen Publikum besser ankommen.

    Irgendwas ist so richtig schief gelaufen in diesem Jahr im deutschen Fernsehen, und das einfachste wäre natürlich, den Zuschauern die Schuld zu geben. Schließlich trug die meiste Serienkost, die sie verachteten, doch ausdrücklich den "Qualitäts"-Stempel, und manches davon sogar zu recht. Aber auch am anderen Ende des Spektrums, jenseits der Hochglanzproduktionen, bei der Massenware, wurden die Fernsehsender nicht glücklich. 2005 sah es noch so aus, als ob die Telenovela irgendwelche südamerikanischen Zauberkräfte hätte und auch von deutschen Zuschauern in fast beliebiger Dosis begehrt würde. Auch das ist vorbei. Das ZDF trauert um "Tessa", die eigentlich ein "Leben für die Liebe" leben wollte, das aber weitgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfand. Die ARD ging mit dem Versuch, in "Das Geheimnis meines Vaters" das Genre mit einer Art Krimi zu kreuzen, baden. Pro Sieben verbannte "Lotta in Love" vom Vorabend in irgendeinen Senderandbereich, wo die Geschichte über die nächsten Monate unauffällig zuende erzählt wird. Und Sat.1 hat sich entschieden, dass eine Telenovela sterben muss, damit die andere leben kann - naja, wenigstens eine Chance aufs Überleben hat: Die "Schmetterlinge im Bauch" flattern nur noch ein paar Wochen.

    Dabei lässt sich ziemlich leicht formulieren, was die deutschen Fernsehzuschauer tatsächlich sehen wollen: Im Privatfernsehen Krimis mit drei Buchstaben im Titel, in denen Kriminologen in rasanten Schnitten nicht nach Motiven, sondern nach entlarvenden Schusswinkeln, Mikroben oder Staubkörnchen suchen. Mit anderen Worten: Alles, was irgendwie halbwegs nach CSI klingt oder aussieht. Und bei ARD und ZDF: biedere Familiengeschichten, am besten mit ein süßen Tier in der Hauptrolle, gerne auch einem ganzen Zoo.

    Schwer zu sagen, was das für die Programmpolitik der Sender in den nächsten Jahre bedeutet. Aber vermutlich: nichts gutes. Vor allem die totale Bauchlandung, die Sat.1 mit dem vierteiligen Thriller "Blackout" erlebte, eine komplexe, düstere Geschichte mit hervorragenden Schauspielern, dürfte es ähnlichen Projekten in nächster Zeit schwer machen. Die Quoten zeigten, dass die Menschen dem Programm nicht einmal eine Chance gaben, ihnen zu gefallen. Sie schalteten nicht während der Folge aus - sie schalteten erst gar nicht ein. Längere Handlungsstränge scheinen gerade nicht das zu sein, was die Menschen vom Fernsehen erwarten. Vielleicht ist das nur eine Phase. Vielleicht ist es aber schon Ausdruck des Trends, dass das Fernsehen immer mehr zum Nebenbeimedium wird. Das im Hintergrund läuft, während man ganz andere Sachen macht. Und auf das man sich, wenn überhaupt, für eine Stunde einlässt. Oder für einen "Tatort", eineinhalb.

    Immerhin, einige große Events haben funktioniert, "Dresden" im ZDF und "Die Sturmflut" auf RTL. Und auch bei großen Spielfilmen über das Leben im Dritten Reich schalteten die Menschen ein. Aber für das Alltagsfernsehen sieht es schlecht aus.

    Der Gameshow war auch eine Renaissance vorhergesagt worden, vor diesem Jahr - aber auch das erledigte sich schnell. Der Aufsteiger des Jahres ist eine kleine Sendung im Vorabendprogramm von Vox mit schlichtem Konzept: fünf Leute, die einander nicht kennen, bekochen sich reihum gegenseitig bei sich zuhause. Hinterher bewerten sie, wie gut es den anderen gelungen ist, "Das perfekte Dinner" zu veranstalten. Es ist die vielleicht redundanteste Sendung im Deutschen Fernsehen. Wenn eine Kandidatin, zum Beispiel, kein Fleisch mag, kündigt der Sprecher das an, dann sagt es die Kandidatin in die Kamera, dann sehen wir die Kandidatin am Tisch, wie sie es allen anderen erzählt, dann kommentieren es alle andere am Tisch, dann kommentieren es alle anderen in die Kamera, und wenn man Pech hat, fasst der Sprecher das unmittelbar danach noch einmal zusammen. Es reicht völlig, während der dreiviertelstündigen Sendung drei, viermal auf den Bildschirm zu blicken, um einen Eindruck von der Tischdekoration zu bekommen oder zu sehen, wie der Braten im Ofen verbrennt. Aber eigentlich ist "Das perfekte Dinner" das ideale Fernsehprogramm für Leute, die beim Fernsehen ganz etwas anderes tun.

    War sonst noch was? Ach ja: Eine Fußball-WM, diverse Tanz- und Eislaufshows mit Menschen, die weder tanzen noch eislaufen können, mehrere immer noch erfolgreiche Casting-Shows - und die triumphale Rückkehr des Hape Kerkeling als Dauergast auf unseren Bildschirmen. Und das in einer Dreifachrolle: als Bestsellerautor, als Moderator und Entertainer und als "Horst Schlämmer", der Parodie eines schmierigen Lokaljournalisten. Und manchmal, wenn man sieht, mit welcher Begeisterung Kerkeling aufgenommen wird und mit welcher Perfektion er das Medium beherrscht, kommt man kurz ins Grübeln, warum wir eigentlich nur einen solchen Star haben. Andererseits: Gut, dass wir einen solchen Star haben.