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Quallen an die Macht

Biologie. - Unsere Meere sind bestimmt von Wirbeltiere. Doch in manchen Regionen wird ihnen von Quallen die Vorherrschaft streitig gemacht. Dass diese in der Tat eine nicht zu unterschätzende Konkurrenz für Fische, schreiben Forscher heute im Fachblatt "Science".

Von Marieke Degen |
    Fische und Quallen leben beide im Ozean. Beide können schwimmen und beide ernähren sich von winzigen Krebstierchen, von Zooplankton. Das ist aber auch schon alles an Gemeinsamkeiten, sagt der Meeresökologe José Luis Acuna von der Universität von Oviedo in Spanien.

    "Fische fahnden mit ihren Augen nach der Beute, und jagen ihr blitzschnell hinterher. Quallen sind evolutionär gesehen viel älter, ihre Jagdmethode ist viel einfacher gestrickt: Sie müssen schon direkt mit der Beute zusammenstoßen. Mit ihren Tentakeln angeln sie dann die Krebschen aus der Strömung hinter sich"

    Fische sind effizient, Quallen eher primitiv. Kein Wunder, dass Fische die Ozeane dominieren. Es gibt aber auch Meeresregionen, in denen die Qualle regiert. Zum Beispiel im Benguelastrom vor der Südwestküste Afrikas. Die Menschen haben hier zu viele Sardinen aus dem Wasser gezogen, und die Quallen haben den Platz der Fische eingenommen. Die Frage ist nur, für wie lange? Acuna:

    "Der Fall im Benguelastrom zeigt, dass Quallen mit Fischen konkurrieren und im Ökosystem eine ganz ähnliche Rolle übernehmen können. Manche glauben, dass Quallen aber längst nicht so erfolgreich jagen können wie Fische. Doch das stimmt nicht: Wir haben diverse Quallen-Studien zusammengetragen und gezeigt, dass Quallen genauso gut jagen und ihr Futter genauso gut verwerten wie Fische."

    Die lahmen Quallen sind also genauso gute Jäger wie die flinken Fische, sagt der Meeresökologe. Im Laufe der Evolution haben sie sich nämlich ein paar Tricks einfallen lassen.

    "Quallen sind ja auf den Körperkontakt mit ihrer Beute angewiesen. Das heißt: Je mehr Körperoberfläche sie haben, desto mehr Beute können sie fangen. Deshalb haben sich im Laufe der Evolution Gewebe entwickelt, das sich mit Wasser füllen lässt und den Körper größer werden lässt - viel größer als sie eigentlich sind. "

    Die Größe hat allerdings auch einen Haken: Große Körper verbrauchen beim Schwimmen viel mehr Energie. Acuna:

    "Wir haben das ganze mal berechnet und gezeigt, dass sich so ein großer Körper für die Quallen trotzdem lohnt. Solange sie ganz, ganz langsam schwimmen und so wenig Energie wie möglich verbrauchen. Und genau das ist der Grund, warum die meisten Quallen so gemächliche Schwimmer sind und diese riesigen Körper voller Wasser haben."

    Könnten Quallen also irgendwann einmal die Macht in den Ozeanen ganz übernehmen? Normalerweise nicht, sagt José Luis Acuna. Fische setzen sich immer durch. Aber wenn die Fischpopulationen geschwächt sind, zum Beispiel durch Überfischung oder Verschmutzung, dann seien die Quallen bereit zur Übernahme. Was das für die Ozeane bedeutet, wissen die Forscher noch nicht.

    "Manche glauben, wenn der Mensch so weitermacht, dann könnten die Ozeane irgendwann wieder so aussehen wie vor 600 Millionen Jahren. Damals hat es in den Meeren vor Quallen nur so gewimmelt."

    Diese Befürchtungen sind dem Meeresökologen aber ein bisschen zu extrem. Ökosysteme sind schließlich immer in Bewegung. Im Benguelastrom bahnt sich möglicherweise schon wieder ein Machtwechsel an: Es gibt dort immer mehr Grundeln, das sind Fische, die Quallen fressen. Vielleicht werden sie irgendwann die Vorherrschaft im Benguelastrom übernehmen.