Archiv

Quantenkosmos
Die Sippschaft von Schrödingers Katze

Das wohl prominenteste Sinnbild der absurden Quantenwelt ist Schrödingers Katze – ein Gedankenexperiment, bei dem das arme Tier zugleich lebendig und tot ist. Doch nun konnte ein internationales Forschungsteam diese Kuriosität sogar noch steigern.

Von Frank Grotelüschen |
Vier kleine Kätzchen, fotografiert am 28.06.2015 in einem Garten in Sieversdorf im Landkreis Oder-Spree (Brandenburg). Foto: Patrick Pleul
Schrödingers Katze hat Zuwachs auf Quantenebene erhalten (picture alliance/dpa/Patrick Pleul)
"Seit 1935 geschlossene Box geöffnet: Schrödingers Katze ist eindeutig tot." So witzelte vor einiger Zeit "Der Postillion", ein Satire-Portal im Internet. Der Gag beweist: Auch außerhalb der Physik hat es Schrödingers Katze zu einiger Berühmtheit gebracht.
"Schrödingers Katze geht zurück auf Erwin Schrödinger. Das war einer der Väter der Quantenmechanik."
Sagt Martin Ringbauer, Physiker an der Universität Innsbruck. 1935 hatte Erwin Schrödinger eine Idee, wie man die Merkwürdigkeiten der damals noch jungen Quantenmechanik veranschaulichen könnte – und zwar mit einem drastischen Beispiel.
Schwebezustand zwischen tot und lebendig
"Die Idee ist: Eine Katze ist in einer Box, und in der Box ist auch ein Atom, das eine gewisse Wahrscheinlichkeit hat, radioaktiv zu zerfallen. Dann gibt's ein Gerät, das falls das Atom zerfällt, dann wird da Gift freigesetzt und dann stirbt die Katze leider."
Mit der Zeit gerät das radioaktive Atom in einen seltsamen Zustand, so wollen es die Regeln der Quantenphysik. Mathematisch gesehen befindet sich das Atom dann in einer Art Schwebezustand zwischen Zerfallensein und Nichtzerfallensein. Auf die Alltagswelt übertragen würde das bedeuten, dass auch die Katze in einem Schwebezustand wäre - ein Schweben zwischen tot und lebendig.
"Das bedeutet natürlich nicht, dass die Katze beides gleichzeitig ist. Sie ist weder tot noch lebendig noch beides gleichzeitig. Sondern es ist ein neuartiger Zustand, der ein Quantenzustand ist. Sprich: Solange man nicht hinschaut, bleibt dieser Quantenzustand erhalten. Wenn man nachschaut, findet man die Katze entweder in dem einen oder anderen Zustand."
Quantenschweben zwischen vier Zuständen
Klingt fast schon esoterisch, doch mittlerweile lassen sich diese Schwebezustände sogar technisch nutzen, etwa beim Quantencomputer. Anders als herkömmliche Computer rechnet der nicht mit Bits, also mit Nullen und Einsen, sondern mit Qubits, mit Schwebezuständen zwischen Null und Eins. Doch es blieb nicht bei Schrödingers Katze. Im Jahr 2001 stieß ein Physikteam auf einen nahen Verwandten.
"Das ist der sogenannte Kompass-Zustand, wo man vier Möglichkeiten hat. Diese vier Möglichkeiten sind genauso wie Nord, Ost, Süd, West, die Hauptrichtungen vom Kompass, ausgerichtet."
Ein Quantenschweben nicht zwischen zwei Zuständen wie bei Schrödingers Katze, also zwischen tot und lebendig, sondern zwischen vier: Bildlich gesprochen wäre eine Quanten-Kompassnadel irgendwie verschmiert und würde in alle vier Richtungen gleichzeitig zeigen – in Nord, Ost, Süd und West. Doch jüngst konnten Ringbauer und seine Kollegen noch einen draufsetzen - und zwar mit einem originellen Experiment.
Photonen auf dem Mini-Trampolin
"Wir hatten eine Membran. Das kann man sich als Trampolin vorstellen, das ist ungefähr einen Millimeter groß ist."
Auf diesem Mini-Trampolin ließen die Fachleute einzelne Lichtteilchen auf und ab hüpfen, einzelne Photonen.
"Was passiert, wenn wir mit einem einzelnen Photon die Membran anstoßen, dann kurz warten, dann nochmal anstoßen und dann wieder kurz warten und nochmal anstoßen? Und da sind wir auf eine ganze Familie von Zuständen gestoßen."
Bei jedem dieser Photonenhüpfer geriet das Trampolin ins Schwingen, sodass sich die Schwingungen von aufeinanderfolgenden Hüpfern überlagerten. Und in ebendiesen Überlagerungen haben die Fachleute eine neue Klasse von Quantenzuständen erkannt – im Fachjargon Hyperwürfel genannt. Ein Beispiel dafür ist ein 4D-Würfel – ein abstrakter Würfel, der nicht im dreidimensionalen Raum existiert, sondern im vierdimensionalen. Das Besondere ist nun: Anders als bei Schrödingers Katze kann ein Quantenteilchen bei einem Hyperwürfel nicht nur zwei Zustände annehmen, sondern deutlich mehr.
Mögliche Anwendungen in der Medizin
"Beim vierdimensionalen Würfel wären es dann schon ziemlich viele. Da hat man acht Zustände ganz außen. Und nahe der Mitte gibt's dann nochmal acht Zustände. Es wird dann schon sehr kompliziert."
Klingt zunächst wie ein weiteres Absurdum der Quantenmechanik. Doch in Zukunft könnten die neuen Verwandten von Schrödingers Katze einen ganz praktischen Nutzen haben - etwa bei der Entwicklung hochempfindlicher Magnetsensoren.
"Die Motivation dahinter ist aus der Medizin und der Materialforschung. Wenn man so etwas wie Magnetresonanztomografie hat oder Ströme im Gehirn messen will, braucht man sehr gute Magnetfeldsensoren. Wenn man da an Genauigkeit gewinnen kann, kann man die Auflösung von solchen medizinischen Methoden verbessern."
Eine Forschungsrichtung, die das Team um Martin Ringbauer nun einschlagen will.