Heute fällt der Blick auf zwei CD-Aufnahmen mit Streichquartetten des lettischen Komponisten Peteris Vasks, die das, in Riga ansässige Spikeru Quartett vor Kurzem für das Label Wergo eingespielt hat. Die hier fünf eingespielten großformatigen Quartette sind über einen Zeitraum von knapp 30 Jahren entstanden, aber hierzulande eher selten auf den Konzertpodien zu hören. Die durchgehend packende Interpretation gibt vielfältigen Einblick in die meist tief emotionale Klangsprache von Peteris Vasks. Jede inhaltliche Geste lebt in dieser Einspielung durch klangliche Schärfe und rhythmische Präzision.
Als Sohn eines Baptistenpredigers wird Peteris Vasks 1946 im Westen Lettlands geboren, erlernt er mit acht Jahren das Violinspiel und versucht sich zeitgleich mit ersten Kompositionen. In der "Hochphase der Russifizierung", so Vasks, war es unmöglich an einem staatlichen Konservatorium zu studieren und so zieht es ihn ins benachbarte Vilnius nach Litauen zum Kontrabassstudium.
Unterdrückung der heimatlichen Sprache
Erst 1973 beginnt er in Riga, Kompositionsunterricht zu nehmen und schreibt für das Warschauer Herbst-Festival seinen ersten Kompositionsauftrag, "Latvija" eine Kantate für Sopran und Ensemble. Nach einer Gedichtvorlage in lettischer Sprache. Die Unterdrückung der heimatlichen Sprache und die sowjetische Herrschaft prägen Leben und Schaffen des Komponisten nachhaltig. Um der potenziell ideologischen Zensur bei Vokalwerken zu entgehen, konzentriert sich Vasks zunächst auf reine Instrumentalmusik, - für ihn eine "Insel der Freiheit", denn so konnte er den außermusikalischen Inhalt geheim halten. Zum dramatischen Hauptbestandteil seiner Musik gehört Vasks tief empfundener Schmerz über die Unterdrückung seines Volkes und ihrer Identität sowie die Darstellung von Totalitarismus in seiner brutalsten Form. Den Leidensweg des lettischen Volkes in den Kriegsjahren und während der sowjetischen Okkupation beschreibt Vasks verschiedentlich als wesentlichen Beweggrund für sein Komponieren. Künstlerische Inspiration für die Gestaltung geben dabei immer wieder Bartok, Schostakowitsch und die neue polnische Schule.
1977 komponiert Vasks sein erstes Streichquartett, das er 20 Jahre später noch einmal überarbeitet und damit persönliche Botschaften von Menschlichkeit noch transparenter zu offenbaren sucht. Hören Sie zu Beginn einen Ausschnitt aus dem ersten Satz "Intrada", das für den Hörer als albtraumhafte Orientierungslosigkeit erfahrbar werden soll, denn Vasks sucht hier, eigenen Aussagen zufolge das soziale Umfeld verwirrter Verzweiflung abzubilden. Dissonante Akkorde und instabile Tonhöhen- und Rhythmusstrukturen zeichnen beinahe durchgehend den musikalischen Verlauf.
Musik
Peteris Vasks: String Quartets 1, 3 und 4, Quartett Nr. 1, "Intrada"
Peteris Vasks: String Quartets 1, 3 und 4, Quartett Nr. 1, "Intrada"
Aus dem ersten Streichquartett von Peteris Vasks hörten Sie einen Ausschnitt aus dem ersten Satz Intrada, gespielt vom Spikeru Quartett. Das Streichquartett, deren Name sich aus der Spikeri-Konzerthalle in Riga ableitet, hat sich dort 2011 formiert.
Als Mitglieder lettischer Orchester konzentrieren sie sich in der Wahl ihres Repertoires auf Streichquartettkompositionen lettischer Komponisten, die auch teilweise in Vergessenheit geraten oder lange entdeckt geblieben sind. Wie sehr diesem Ensemble die Klangwelten von Peteris Vasks kennt und sich damit interpretatorisch zu identifizieren sucht, belegen die Aufnahmen äußerst überzeugend.
Vision mit Tönen zu berühren
Peteris Vasks spielt in seinen Kompositionen immer wieder mit existentiellen Empfindungen, was in all seinen Streichquartetten erlebbar wird. Seine Vision ist es, mit Tönen zu berühren, um in gebrochene Seelenwelten einzudringen. Erklärtes Anliegen ist es, "zum Gleichgewicht der Welt beizutragen und dabei zu helfen, sie auf dem so steilen Abgang stabil zu halten".
Sein drittes Streichquartett komponiert Peteris Vasks 1995 im Nachsinnen auf das Weihnachtsfest. Das vierteilige Werk erwächst aus der Stille und experimentiert durchgehend mit warmen Klangbildern, deren Expressivität in oft zärtlichen Momenten wurzelt. Doch bei aller klanglichen Vertrautheit zwischen Trauer und Hoffnung stellt der dritte Satz "Adagio" etwas spürbar Dramatisches in den Mittelpunkt des Geschehens. Wie so oft bei Vasks werden außermusikalische Fragen gestellt und hier konkret will er nach der "Möglichkeit von Frieden auf der Welt" suchen.
Musik
Peteris Vasks: String Quartets 1, 3 und 4, Quartett Nr. 3, "Adagio"
Peteris Vasks: String Quartets 1, 3 und 4, Quartett Nr. 3, "Adagio"
Peteris Vasks möchte in seinen Kompositionen vor allem die Mission seines Vaters fortführen, - das Spenden von seelischem Trost in schweren Zeiten. "Ich habe immer davon geträumt, dass meine Musik einmal an Orten zu hören sein würde, an denen unglückliche Menschen versammelt sind – in Krankenhäusern und Gefängnissen, in überfüllten Straßenbahnen und Bussen - tröstend und fragend."
So entstehen seine Kompositionen meist vor einem tief humanistisch geprägten Hintergrund. Charakteristisch für Vasks’ Kompositionssprache ist der Rückgriff auf das Imitieren von Vogelgesang, Elemente der lettischen Volksmusik sowie aleatorische Episoden, die immer emotional aufgeladen sind. Seine Klänge sollen bewusst zwischen zärtlicher Traurigkeit und liebevoller Hoffnung jonglieren, um das persönlich ambivalente Gefühl gegenüber der Welt artikulieren zu können.
Anlässlich des 90. Geburtstages seiner Mutter komponiert Peteris Vasks 1999 sein viertes Streichquartett. Konzipiert als Spiegel auf ihr Leben, werden aber auch Ereignisse des 20. Jahrhunderts reflektiert. "Elegy", so der Titel des ersten Satzes soll an die Jahre vor den Weltkriegen und zugleich an nostalgische Zeiten erinnern. Hören Sie aus dem ersten Satz "Elegy" einen Ausschnitt,- es spielt das Spikeru-Streichquartett.
Musik
Peteris Vasks: String Quartets 1, 3 und 4, Quartett Nr. 4, "Elegy"
Peteris Vasks: String Quartets 1, 3 und 4, Quartett Nr. 4, "Elegy"
Peteris Vasks meidet grundsätzlich rein illustrative Programmmusik, aber seinen Kompositionen stellt er vielfach Botschaften in Vorbemerkungen voran. Immer wieder lässt er seine missionarischen Gedanken musikalisch durchblicken und vertraut darüber hinaus dem Hörer die Impulse seiner schöpferischen Tätigkeit an. Neben dem Lobgesang auf die Kraft der Liebe, fühlt er sich dazu verpflichtet, auf künstlerischer Ebene seinem Volk Licht ins Leben zu bringen. Verschiedentlich hat er bekräftigt, dass seine Musik die lettische Sprache wiederzugeben sucht, auch mittels Diatonik und vieler Bezugnahmen auf die lettische Folklore.
Pantheistische Liebe zur Natur
Vor der Kulisse einer pantheistischen Liebe zur Natur spielt sein zweites Streichquartett "Sommerweisen" aus dem Jahr 1984. Den stilisierten Vogelstimmen lässt Vasks in seinen Klangsphären immer gerne Raum, weil sie für ihn ein Lob Gottes und der Schöpfung verkörpern. Der zweite Satz "Putni", auf Deutsch die Vögel basiert auf freien Imitationen von Vogelgesängen. Die raffiniert und dicht angelegte Satzstruktur bewegt sich für Vasks zwischen schwachem Flackern und ekstatischen Schwingungen.
Musik
Peteris Vasks: String Quartets 2 und 5, Spikeru String Quartet
Peteris Vasks: String Quartets 2 und 5, Spikeru String Quartet
Zwei sehr kontrastreiche Sätze zeichnen das letzte Streichquartett Nr. 5, das in weiten Teilen intensive Stimmungen abbildet. Vasks komponiert es in den Jahren 2003/04 und notiert im Vorwort der Partitur seine Gedanken zum zweiten Satz, der den poetischen Titel "talu prom ... tik tuvu – so fern ... und doch nah" trägt:
"Der ruhige, gelassenen Gesangsabschnitt des Quartetts; ein versöhnlicher, liebevoller Blick auf die Welt, die von Schmerz und Wiedersprüchen gequält ist. Nach und nach wird der Gesang persönlicher, emotionaler und dramatischer. Die Rhythmik eines Trauermarschs in der Reprise des zweiten Satzes, eine Geste wegen eines bestimmten Verlusts. Das Quartett verklingt in einer Stimmung von Licht erfüllter Traurigkeit. Ein Zyklus ist zu Ende gegangen. Wir werden weiterleben."
Musik
Peteris Vasks: String Quartets 2 und 5, Spikeru String Quartet
Peteris Vasks: String Quartets 2 und 5, Spikeru String Quartet
Das war zum Abschluss noch ein Moment aus dem zweiten Satz des fünften Streichquartetts. Soweit für heute unsere Sendung "Die Neue Platte". Vorgestellt habe ich Ihnen Ausschnitte aus dem gesamten Streichquartettoeuvre von Peteris Vasks, die das lettische Spikeru Streichquartett auf zwei CDs eingespielt hat. Erschienen sind die Aufnahmen anlässlich des 70. Geburtstages des Komponisten beim Label Wergo.
Informationen zu den vorgestellten CDs:
Peteris Vasks: String Quartets 1,3 & 4
Spikeru String Quartet
Wergo CD 7330 2, LC 00846
EAN: 4 010228733020
Peteris Vasks: String Quartets 2 & 5
Spikeru String Quartet
Wergo CD 7329 2, LC 00846
EAN: 4 010228732924
Peteris Vasks: String Quartets 1,3 & 4
Spikeru String Quartet
Wergo CD 7330 2, LC 00846
EAN: 4 010228733020
Peteris Vasks: String Quartets 2 & 5
Spikeru String Quartet
Wergo CD 7329 2, LC 00846
EAN: 4 010228732924