Archiv


Quecksilber gefährdet Polarfüchse

In einigen Regionen des Nordens leben seit Jahren immer weniger Polarfüchse. Eine neue Krankheit könnte sich unter den Raubtieren ausgebreitet haben, lautet eine bisherige Vermutung der Wissenschaft. In einer neuen Studie kommt ein internationales Forscherteam nun zu einem anderen Ergebnis.

Von Michael Stang | 27.05.2013
    Medny ist die zweitgrößte der russischen Kommandeurinseln im Beringmeer. Während sie sich in Längsausrichtung über 65 Kilometer erstreckt, ist sie nur maximal sieben Kilometer breit. Ursprünglich lebten dort weit mehr als 1000 Füchse. Doch in den 1960er-Jahren begann die Fuchspopulation stark zu schrumpfen und hat sich bis heute nicht erholt.

    "Die Jungtiere waren sehr dünn und hatten eine deformierte Haarstruktur. Und es war so gedacht, vielleicht weil, es gab früher Menschen dort und die haben vielleicht Hunde und Nutztiere mitgebracht, dass eine Staupe oder irgendein Virus da wäre. Aber wir haben alles mögliche getestet und nie ein Virus gefunden",

    sagt Alex Greenwood. Der US-Forscher aus New York leitet die Forschungsgruppe Wildtierkrankheiten am Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung in Berlin. Für ihn stellte sich die Frage: Was könnte den Füchsen derart zusetzen, wenn eine infektiöse Krankheit nicht mehr in Frage kommt? Möglicherweise liegt es an der Ernährung.

    "Und es war ganz klar, dass es nur zwei Möglichkeiten zu essen gibt auf dieser Insel für Füchse: das sind Robben oder Seevögel, kein Nagetier und nichts anderes."

    Robben und Seevögel befinden sich am Ende einer langen Nahrungskette. Ihn ihren Körpern haben sich Umweltgifte angereichert. Zunächst testete Alex Greenwood die Füchse auf eine Schadstoffbelastung.

    "Und haben gesehen: Die waren vollgeladen mit Quecksilber. So dass wir dachten: Okay, wir haben unseren ersten Beweis."

    Auch die untersuchten Robben und Seevögel wiesen sehr hohe Werte des Schwermetalls auf. Könnte also die Quecksilberbelastung für den Rückgang der Füchse verantwortlich sein? Es ist bekannt, dass Quecksilber das Immunsystem beeinträchtigt. Um diese These zu überprüfen und Medny nicht nur als Einzelfall vorliegen zu haben, haben Alex Greenwood und seine Kollegen weitere Füchse untersucht. Neben alten Fellproben aus Museen analysierten sie auch Proben aus anderen Umgebungen. Zum einen waren das Tiere der benachbarten Beringinsel und Füchse aus Island. Dort leben zwei Populationen: einmal Tiere aus Küstengebieten, die sich ebenfalls wie die Füchse aus Medney und der Beringinsel von Meerestieren ernähren, zum anderen lebt auf Island eine Inlandpopulation. Auch hier war das Ergebnis eindeutig: Füchse aus Küstengebieten zeigten stets Quecksilberlastungen.

    "Aber die Inlandpopulation war im Prinzip quecksilberfrei. Die Tiere im Inland essen kein oder nur sehr wenig Seevogel, die essen ganz viele Nagetiere."

    Damit war klar, dass die Nahrung die entscheidende Rolle spielt. Und diese Erkenntnis hat Folgen, so Alex Greenwood. Bei der Überlegung, ob eine Tierpopulation irgendwo überleben kann, müssen zukünftig nicht nur Faktoren wie genetische Diversität und Populationsgröße eine Rolle spielen, sondern auch die Belastung sämtlicher Futterquellen muss mit einfließen.

    "Es ist toll, wenn die genetisch divers sind, aber wenn die alle mit Quecksilber vergiftet sind, die sterben sowieso. Man muss wissen, ob die Population gesund ist, ob die nicht kontaminiert ist mit irgendwelchen Umweltverschmutzungen wie Quecksilber, andere Chemikalien."

    Heute leben nur noch rund 400 Füchse auf Medney. Sie haben keine Alternative zu den quecksilberhaltigen Robben und Seevögeln als Nahrungsquelle. Zwar sei die Population auf niedrigem Niveau stabil, so Alex Greenwood, doch könne sie jederzeit ganz einbrechen.