Sigrid Fischer: Wie fügen sich Kleider, Körper und Bewegungen in Räumen und zu unterschiedlichen Anlässen zu Konstellationen, die man als "Queer" bezeichnen könnte? Und welche Aspekte von "Queerness" lassen sich in modischen Praktiken im Alltag und auf der Bühne entdecken? Unterscheiden die sich voneinander?
Mit solchen Fragen wollen Autorinnen und Autoren in wissenschaftlichen Texten das Thema "Queerness" der Modeforschung eröffnen. Maria Weilandt ist eine von ihnen. Sie ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Künste und Medien der Uni Potsdam. Guten Tag Frau Weilandt.
Maria Weilandt: Guten Tag.
Fischer: Sie wollen in diesem Buch Queerness nicht vorab Definieren. Es ist ein schillernder Begriff, der unterschiedlich ausgelegt wird. Worauf könnten wir uns da einigen, damit das Gespräch doch irgendwie eine Richtung hat.
"Queer hat ganz viele Facetten"
Weilandt: Das ist gleich die schwierigste Frage zu Beginn. Queer hat ganz viele Facetten. Einerseits ist es eine Identitätsbezeichnung aus der LBGTTIQ, also der Lesbisch-, Schwul-, Trans-, Inter-Community. Andererseits gibt es etwas, dass sich "Queer Studies" nennt. Beziehungsweise "Queer-Theory", also die akademische Beschäftigung mit Queerness. Die Queer Studies haben sich Anfang der 90er entwickelt in den USA aus den Lesbian-and-Gay-Studies.
Ganz allgemein gesagt könnte man sagen, dass sie sich damit beschäftigen, dass Sexualität, dass Gender, dass Identität von Machtrelationen durchzogen sind. Um Vorstellungen von so etwas wie Zweigeschlechtlichkeit, also der Vorstellung, dass es zwei Geschlechter gibt: Frau und Mann. Und nichts darüber hinaus oder dazwischen. Und auch die Vorstellung, dass Heterosexualität die Norm ist, dass das das Normale ist. Dass das Identitätsentwürfe unterdrückt.
Fischer: Im Buch fallen Begriffe wie genderneutral oder Uneindeutigkeit. Sie sprechen von Mode jenseits der Zweigeschlechterordnung. Sie sagen aber im Buch auch: Das Queere entzieht sich immer wieder, kaum, dass man es zu fassen glaubt. Der Begriff an sich, das hat auch irgendwie etwas "Fashionables". Eignet er sich auch dazu, fashionable zu sein? Er hat ja auch etwas Trendiges, etwas Modisches.
Weilandt: Ja, ganz sicher. Grade in den letzten Jahren begegnet man dem Ganzen ganz oft. In der Mode, aber auch in anderen Bereichen, da ist dann immer die Frage, was im Mainstream, was modisch geworden ist, ob das letztendlich immer noch Queer ist. Das muss man sich ganz genau im Einzelfall angucken, oder, ob das zum Teil "nur" Imagekampagnen für bestimmte Marken sind.
"Mode ist kein Kleidungsstück"
Fischer: Warum finden sie überhaupt diese Frage spannend, "Ist Mode Queer"?
Weilandt: Die ist aus verschiedenen Gründen spannend. In der wissenschaftlichen Beschäftigung mit Mode, als auch mit Queerness, setzt man sich mit Fragen nach Gender, nach Sexualität, mit Begehren auseinander. Nach Identität auch, Mode ist ja auch etwas, womit wir Identität schaffen. Deswegen passen die Konzepte gut zusammen. Es hat sich gezeigt in den Diskussionen, die dem Band vorangegangen sind, dass es da ganz viele Fragen gibt, die man stellen kann. Es gibt ganz viele Anknüpfungspunkte, ganz viel Stoff zum Diskutieren.
Fischer: Sie gehen in dem Buch davon aus, dass Mode selbst nicht Queer ist. Das queere Potenzial zeigt sich in modischen Praktiken. Ist das nicht immer so, dass jedes Individuum, jede Gruppe, wenn sie von modischen Normen, vom Mainstream abweichen will, selbst kreativ werden muss? Und dadurch ihre Mode, die entsteht, identitätsstiftend wird? Das ist nicht speziell "Queeres" oder?
Weilandt: Nein, nicht unbedingt. Queer ist dann eine Richtung, ein Aspekt des Ganzen. Wenn man Mode betrachtet, sind immer die Praktiken das Interessante. Mode, kann man sagen, ist letztendlich nicht ein Kleidungsstück. Alles, was drumherum passiert, vom Design, über die Modenschau bis zu dem, was die Menschen daraus machen, wie die das tragen, wie die das kombinieren, wie sie sich zeigen darin, diese Praktiken sind das Interessante.
Vorbild: Show-Welt
Fischer: Welche kann man da beobachten?
Weilandt: Zum Beispiel, wenn man sich Queer-Fashion-Weeks anschaut oder Rainbow-Fashion-Weeks. Da gibt es so einiges, was in den letzten Jahren entstanden ist, vor allem in den USA noch. Da gibt es bestimmte Designerinnen und Labels, die von sich sagen, sie machen "Genderless Clothing".
Fischer: In der Show- und Kunstwelt ist es schon immer üblich, mit den Gendergrenzen zu spielen, wir haben hier gestern in der Sendung über Pete Burns gesprochen, der Sonntag gestorben ist. Der "Dead or Alive" Frontmann und schillernde 80er-Jahre Figur, die nicht nur Frauenkleider trug, sondern auch den Körper transformieren, den Unterschied zwischen Mann und Frau verwischen wollte.
David Bowie, Lady Gaga, die leben sowas vor. Sie haben das Beispiel Leigh Bowery im Buch, ein Model und australischer Performancekünstler. Der auch gespielt hat, mit Kostümen und Inszenierung. Das heißt: Die Show-Welt lebt so etwas vor. Und man denkt immer: Es ist Inszenierung.
Weilandt: Das kommt darauf an, was man unter Inszenierung versteht. Ich würde das nicht negativ sehen. In der Show-Welt gibt es manchmal einen größeren Raum dafür, wo man mehr ausprobieren kann, mehr kreativ sein kann. Da muss man auch wieder schauen. Das ist einerseits diese Persona, die man erschafft als Star vielleicht. Auf der anderen Seite ist dann das, was man auf der Straße macht und machen kann. Und, wo da wieder Grenzen sind.
"Wir stellen uns unsere Outfits ganz stark nach Vorbildern zusammen"
Fischer: Interessant wird es dann wieder in der Mainstream-Mode in der Alltagsmode, das schreiben sie. Klar, da sind die Gendernormierungen klar. Da gibt es Kollektion für Frauen und die für Männer. Gibt es nicht immer auch den Wunsch in jedem von uns nach Individualität, nach Unterscheidbarkeit. Man macht ja wieder was mit dieser Mainstream-Mode oder?
Weilandt: Das ist wahr. Das ist auch eine Frage, die sich in der Modeforschung verschiedene Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen, zum Beispiel Elena Esposito in Italien, gestellt haben. Klar streben wir alle nach Individualität. Aber Individualität findet in der Mode innerhalb der Grenzen dessen statt, aus dem wir auswählen können.
Wir haben nur eine bestimmte Auswahl und stellen uns unsere Outfits ganz stark nach Vorbildern zusammen, nach dem, was wir in den Medien sehen, was in der Werbung präsentiert wird. Und dann fühlen wir uns ganz individuell, sind dann aber doch in der Masse.
Fischer: Auf Laufstegen sieht man seit Jahren auch Genderbending. Männer in Frauenmoden oder wo Mode entworfen wird, die Geschlechtergrenzen verwischt. Das heißt: Die Modewelt hat Transgender schon als Thema und hat das entdeckt. Warum greift die das auf?
Weilandt: Das ist eine allgemeine Entwicklung, die man in der Gesellschaft grade sehen kann. Queerness, allgemein Differenz, da gibt es ein Interesse dran. Das wird grade gehypet. Da gibt es gerade eine Mode - nicht "die Mode" – eine Mode in die Richtung. Bei den großen Labels, bei den mittleren Sparten, bei der Fast-Fashion. Da gibt es leider wenig Experimente. Darum geht es bei Queerness auch: um das Experimentieren. Um den Normbruch, darum, etwas einzubauen, was nicht den Erwartungen entspricht.
Fischer: Andererseits dachte ich, als ich das las: Diese Baggy-Pants aus der Rapper Szene, Sneakers ohne Schnürsenkel, dieser Knastlook. Das war ja auch alles mal subkulturelle Mode. Ist es nicht immer so, dass da etwas in der Subkultur entsteht, auf der Straße, irgendwo, und dann setzt sich die Industrie drauf. Weil sie sieht: Oh, das können wir "entdecken"?
Weilandt: Das stimmt schon, da wird dann vieles aufgegriffen von der Mainstream-Mode und dann wird ganz häufig dieser politische Impetus, den das Ganze noch hatte, als es um Kulturen und kleinere Gruppen ging, das wird dann abgezogen.
Problem der "Vereinnahmungen vom Modesystem"
Fischer: Dann wird das von der Modeindustrie vereinnahmt?
Weilandt: Das ist das große Problem. Wo sind Vereinnahmungen vom Modesystem und wo kann man noch Queerness entdecken. Das heißt, wo geht es wirklich noch darum, Mode zu entwerfen oder modische Praktiken auszuleben, die sich gegen hetero Normativität wenden, gegen Zweigeschlechtlichkeit wenden, die auf eine Öffnung hin ausgerichtet sind.
Fischer: Ich bin in ihrem Buch über einen Satz gestolpert: "Wenn man Mode als Dynamik der Veränderung betrachtet, dann kann sie queeres Potenzial haben." Und dann dachte ich, warum sagen sie "Wenn"? Ist Veränderung nicht generell ein Kennzeichen von Mode?
Weilandt: Mode hat immer mit Veränderung zu tun. Mode verändert sich ständig, manchmal auch in einem Kreislauf. Da kommen Sachen wieder, das kennen wir alle. Wenn man sagt: Mode verändert sich ständig, alles ist im Fluss, es kommen immer neue Impulse rein, dann heißt das auch, da ist Raum da für queere modische Praktiken. Das haben wir gesucht in unseren Beiträgen. Da haben wir uns auf die Suche begeben und haben drüber geredet. Was gibt es? Und ist das Queer oder nicht?
"Mode funktioniert als Zeichen"
Fischer: Kleidung ist natürlich Kommunikation, Sprache, ist Zeichensystem. Man kann sich mitteilen, man kann auch eine Haltung ausdrücken. Würden sie sagen, bei queerer Mode ist das der Fall? Ist das auch eine Haltung und einen Lebensstil ausdrücken oder ist es "Stil", wenn man das so trennen kann?
Weilandt: Mode funktioniert als Zeichen, leider nicht als eindeutiges Zeichen. Wenn ich das jetzt definiere, das ist jetzt der "Queere Stil" und mache das lesbar für alle, dann ist es in unserem Verständnis von Queerness nicht mehr Queer in dem Moment. Weil es eine Norm geworden ist. Weil man sagen kann: Das Zeichen bedeutet Queer. Und Queerness ist gerade als Begriff so schwierig und so spannend, weil es darum geht, dass es nicht festgelegt ist. Immer, wenn es eine Festlegung gibt, entwickelt sich der Begriff weiter. Er nimmt eine neue Kurve, geht in eine neue Richtung.
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