Am 7. November demonstrieren zehntausende Menschen gegen die Corona-Maßnahmen der Bundesregierung, viele davon ohne Mundschutz und ohne Abstand einzuhalten. Am Abend kommt es dann zu gewaltsamen Angriffen auf die Polizei. Unter den vermummten Angreifern: Hooligans aus dem Umfeld ostdeutscher Fußballvereine und rechtsextreme Kampfsportler.
"Wir können jetzt schon sagen, dass die bundesweite Hooligan-Szene sehr deutlich dort vertreten gewesen ist und zwar als Rammbock, als Sperrspitze, um insbesondere die Polizeiabsperrung zu überwinden", so die erste Einschätzung von Thüringen Verfassungsschutzpräsidenten Stephan Kramer im DLF-Sportgespräch.
Querdenken-Bewegung hat sich radikalisiert
Die Querdenken-Bewegung habe sich seiner Ansicht nach in den vergangenen Monaten radikalisiert. Die Teilnahme von Hooligans und Kampfsportlern könnte auch zu neuen Maßnahmen durch den Verfassungsschutz führen. "Die Hooligan-Szene an sich gehörte bisher nicht zum Beobachtungsspektrum des Verfassungsschutzes", so Kramer. "Nicht, weil die nicht gefährlich sind, sondern, weil es sich hierbei bisher in der Regel um Gruppierungen gehandelt hat, die um der bloßen Gewalt Willen unterwegs sind. Aber wir stellen schon seit einiger Zeit fest, dass auch eine politische Motivation sie immer deutlicher wird."
Kramer verwies dabei auch auf die bestehenden rechten Strukturen in seinem Bundesland, das die Keimzelle für die rechtsterroristische Vereinigung NSU war. "Das ist ja alles nicht vorbei, sondern im Grund sind das Generationen von Rechtsextremen, die hier tätig sind." Daher laute seine Arbeitshypothese auch weiterhin, dass er es mit rechtsterroristischen Strukturen zu tun habe – auch im Bereich des Kampfsports.
Anknüpfung an "sozialdarwinistische" Ideologien
Auch der Extremismusforscher Robert Claus, der seit Jahren die Strukturen im rechten Kampfsport analysiert und darüber das Buch "Ihr Kampf" geschrieben hat, sieht bei den Hooligans und Kampfsportlern eine Anknüpfung an "sozialdarwinistische" Ideologien. Schon in der Hitlerjugend wurde das Boxen massiv gefördert. In den vergangenen 20 Jahren seien Sportarten wie Mixed Martial Arts groß geworden.
"Der gesamte Markt an Fitnessstudios ist enorm gewachsen. Und daran wollen Neonazis teilhaben", sagt Claus. Dabei versuchten die Rechtsextremen, anschlussfähig an den Mainstream zu sein. "Auf den T-Shirts steht nicht: ‚Volk kämpft um Raum‘ oder ähnliches. Sondern da steht ganz oft ‚Willen, Disziplin, Fleiß‘. Das heißt, man versucht, an den Werten eines neoliberalen Fitnessmarktes anzudocken und diesen Markt zu nutzen, um die eigene Gewalt zu professionalisieren."
Auch Stephan Kramer geht es bei rechtem Kampfsport darum, "ein Gemeinschaftgefühl zu vermitteln, Nachwuchs zu gewinnen und letztendlich zu einer physischen Aufrüstung beizutragen, um den Rechtsstaat und die Polizei herauszufordern und einzuschüchtern." Kramer verweist zudem auf die lange Historie.
Das Training für den "Straßenkampf", die Vernetzung mit Gleichgesinnten und die wirtschaftlichen Einnahmequellen durch den Kampfsport seien für die Szene gleich wichtig, so Extremismusforscher Claus.
Verfolgung der Szene ist schwierig
Eine Verfolgung der Szene sei durch diese Vielschichtigkeit schwieriger, meint Verfassungsschützer Kramer. Es seien keine Amateure mehr unterwegs, sondern die Szene gehe sehr strukturiert und teilweise klandestin vor. "Umgekehrt sind die Finanzströme [in der Szene] natürlich auch genau ein Dreh- und Angelpunkt, wo wir auch ansetzen." Mögliche Fälle von Steuerhinterziehung könnten helfen, Netzwerke aufzuklären.
In den vergangenen Jahren haben die Behörden zudem verstärkt versucht, rechtsextreme Kampfsport-Events zu verhindern. Dies gelangt zum Beispiel mit dem "Kampf der Nibelungen", der 2018 im sächsischen Ostritz 850 Besucher angezogen hatte, ein Jahr später aber verboten wurde. Die diesjährige Veranstaltung mit mehreren Kämpfen an einem improvisierten Set, die gestreamt wurde, konnten die Behörden jedoch nicht untersagen. "Das schmerzt mich sehr", sagt Stephan Kramer, in dessen Bundesland der Kampfsportclub liegt, der Hauptaustragungsort gewesen ist. Selbst wenn der Verfassungsschutz Kenntnis von solchen Veranstaltungen erhalten würde, seien aber die rechtlichen Hürden für ein Verbot sehr hoch, insbesondere, wenn es sich um ausgewiesene Privatveranstaltungen handle.
Es gebe eine enge Abstimmung mit der Polizei, der Justiz und den Ordnungsbehörden. "Aber das stellt sich manchmal vor Ort eben dann auch als sehr schwierig heraus. Ich will das gar nicht schönreden. Das ist unbefriedigend", so Kramer. Es gelinge aber trotzdem immer öfter, Veranstaltungen zu verbieten. Und man werde weiterhin alle Möglichkeiten des Rechtsstaats nutzen.
Kampfsportverbände zu zersplittert
Auch die Kampfsportverbände hätten Möglichkeiten, gegen Rechtsextreme vorzugehen, meint Robert Claus. Es sei aber ein Problem, dass die Branche sehr zersplittert ist und es anders als im Fußball sehr viele verschiedene Verbände und andere Organisationen gibt, die teilweise auch nicht unter das Dach des organisierten Sports fallen. Claus plädierte daher dafür, dass der Deutsche Olympische Sportbund Mixed Martial Arts als Sport anerkennen sollte. "Denn wie will man Prävention in einem Sport fördern, den man nicht mal als Sport anerkennt?" Gerade Prävention sei aber ein Schlüssel. "Welche Rolle spielt Gewaltprävention in der Ausbildung von Trainern? Welche Rolle spielt Antidiskriminierung in den Leitbildern? Gibt es einheitliche Zertifizierungen von Gyms?" Diesen Fragen müssten sich die Verbände und die einzelnen Gyms stellen. Zudem sei es notwendig, die Events und Gyms zu stärken, die solche Konzepte schon entwickelt hätten.
Gleichzeitig betonte Claus, dass alleine eine Aufnahme von Kampfsportverbänden in die organisierte Struktur des Sports kein Allheilmittel sei. Zum Beispiel hätten sich zwei Mixed Martial Arts Verbände vom Kampf der Nibelungen distanziert. "Der Boxverband hat das nicht getan. Das heißt, dort kann man auch mal drüber reden: Wie scharf wird eigentlich politisch Kante gegen Rechtsextremismus gezeigt?" Claus fordert außerdem, dass sich auch die Sportpolitik eingehender mit der Frage beschäftigt, welche gesellschaftliche Rolle der Kampfsport habe.
Auch Stephan Kramer wünscht sich, dass der Bereich Prävention von der Politik stärker in den Blick genommen wird. "Die Politik reagiert meistens erst dann, wenn irgendwie Blut auf der Straße liegt." Mit Blick auf die Entwicklungen in der vergangenen Zeit mahnte Kramer, dass der Rechtsextremismus es geschafft habe, ganz massiv soziale Räume zu erobern. Dazu gehöre insbesondere auch der Sportbereich. Dies wird sich laut dem Verfassungsschützer in naher Zukunft weiter verstärken: "Es wird sich weiter radikalisieren und wir werden vermutlich in den nächsten Wochen und Monaten noch mehr schlimme Auseinandersetzungen auf den Straßen erleben."