Dirk-Oliver Heckmann: Es ist nicht das einzige Thema, bei dem die schwarzgelbe Koalition nicht weiterkommt – aber eines, bei dem der Stillstand für besonders heftige Konflikte sorgt: der Streit um die sogenannte Vorratsdatenspeicherung. Die EU-Kommission hatte bereits vor geraumer Zeit eine Richtlinie verabschiedet, wonach Telekommunikations- und Internetdaten mindestens ein halbes Jahr lang gespeichert werden sollen, um Verbrechen aufklären zu können, das Bundesverfassungsgericht aber verwarf ein entsprechendes Gesetz als verfassungswidrig. Fast zwei Jahre ist das jetzt her, seitdem kommen Union und FDP keinen Schritt weiter. Die Union ist für eine Speicherung, auch ohne konkreten Anlass, FDP-Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger ist dezidiert dagegen. Gestern lief eine Frist ab, die die EU-Kommission Deutschland gesetzt hatte, nun kündigt die EU-Kommission an, möglicherweise vor den Europäischen Gerichtshof zu ziehen. Damit drohten Strafzahlungen in Millionenhöhe. Zum Streit aus Berlin Anja Günther.
((O-Ton))
Heckmann: Anja Günter war das aus Berlin. Und am Telefon begrüße ich Joachim Herrmann von der CSU, den Innenminister Bayerns. Guten Morgen, Herr Herrmann!
Joachim Herrmann: Guten Morgen!
Heckmann: Herr Herrmann, ich weiß nicht, wie oft wir hier im Deutschlandfunk schon mit Ihnen und anderen Unionspolitikern Interviews zum Thema geführt haben, zum Thema Vorratsdatenspeicherung, die Sie ja immer gefordert haben, bisher allerdings erfolglos. Mangelt es Ihnen also an Durchsetzungsfähigkeit?
Herrmann: Nein, wir brauchen eine klare Mehrheit in der Koalition in Berlin. Und da fehlt es im Moment halt noch an Teilen der FDP. Und vor allen Dingen das Bundesjustizministerium ist hier noch nicht dort angekommen, wo wir es brauchen, aber ich bin zuversichtlich, dass wir im neuen Jahr 2012 hier dann jetzt wirklich vorankommen.
Heckmann: Woraus schöpfen Sie diese Zuversicht?
Herrmann: Weil es einfach sachlich notwendig ist, und weil sich diese Koalition in Berlin es nicht auf Dauer leisten kann, etwas, was sicherheitspolitisch dringend notwendig ist, was vom Bundesverfassungsgericht für zulässig erklärt wurde und was klar auch durch eine Richtlinie der Europäischen Union vorgeschrieben ist, all dies einfach nicht zu machen. Diese Koalition ist jetzt angetreten, die innere Sicherheit in Deutschland zu schützen und den Rechtsstaat entsprechend zu wahren. Genau darum geht es, wir brauchen also diese Vorratsdatenspeicherung dringend ...
Heckmann: Ihr Parteifreund – wenn ich da kurz einhaken darf, Herr Herrmann – Hans-Peter Uhl von der CSU lässt sich mit den Worten zitieren: "Wer die fortgesetzte Darstellung des sexuellen Verbrechens an Kindern nicht wirksam bekämpft, macht sich schuldig." Muss sich da die Bundesjustizministerin also angesprochen fühlen?
Herrmann: Ich würde eher nicht die Bundesjustizministerin persönlich angreifen. Wir brauchen hier einen vernünftigen Kompromiss auch in der Koalition. Ich sage immer klar, mir geht es um nichts anderes, als dass wir das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom März jetzt bald vor zwei Jahren einfach abschreiben. Es ist ja nicht so, dass wir irgendeine Maximalposition der Unionsparteien oder dergleichen fordern. Es gibt eine einmütige Haltung, beispielsweise aller Innenminister Deutschlands parteiübergreifend, egal, ob von CDU/CSU, SPD, alle sind der gleichen Meinung, wir brauchen das. Das Bundesverfassungsgericht hat erklärt, was ist nicht zulässig. Und hat gleichzeitig erklärt, was ist zulässig. Das, was das Bundesverfassungsgericht für zulässig erklärt hat, eins zu eins abzuschreiben, wie es im Urteil von Karlsruhe steht – um nichts anderes geht es ja.
Heckmann: Aber Karlsruhe hat wiederum nicht gefordert, dass eben ein solches Gesetz auf den Weg gebracht werden muss. Frau Leutheusser-Schnarrenberger sagt auch, die entsprechende EU-Richtlinie, die sei gescheitert und werde jetzt überprüft. Und zwar, weil mehr als fünf Länder der Europäischen Union diese Richtlinie eben nicht umgesetzt habe. Insofern gelte jetzt das Motto: Abwarten, an der Überprüfung mitarbeiten und dann die neue Richtlinie umsetzen.
Herrmann: Nicht abwarten! Wir haben es ja schon mit schweren Straftaten zu tun. Wir erleben jetzt, dass beispielsweise die Ermittlungen gegen das Neonazi-Trio in Thüringen, Sachsen, nicht so vorangehen, wie sie vorangehen könnten, wenn wir zum Beispiel jetzt bei der Telekom einfach anfordern könnten, mit wem haben diese Drei in den letzten vier Monaten vor der Entdeckung im November telefoniert? Das ...
Heckmann: Aber die letzten Morde sind ja schon viel früher passiert – Jahre ist es her, dass die letzten Morde offenbar passiert sind. Und Frau Leutheusser-Schnarrenberger sagt, die Versäumnisse sind da viel, viel tiefer gewesen, nämlich bei den Ermittlungspannen der Behörden.
Herrmann: Das ist völlig richtig, aber wenn wir jetzt diese Daten hätten, dann könnten wir das wenigstens jetzt ermitteln. Und noch schlimmer wäre es, wenn irgendwo mal wieder ein Anschlag – egal ob von Neonazis oder von Islamisten – geplant würde und wir mit solchen Verbindungsdaten einen Anschlag verhindern könnten und können es jetzt nicht, weil wir diese Daten eben haben. Man muss den Normalbürgern auch sagen: Es geht um nichts anderes bei dieser Vorratsdatenspeicherung als Daten, die früher von der Bundespost oder der Telekom ganz selbstverständlich allein wegen der Rechnungslegung für ihre Kunden gespeichert wurden, und die inzwischen nicht mehr gespeichert wurden, weil es Flatrate gibt, und deshalb es nicht mehr von Belang ist, wie oft jemand telefoniert hat, dass genau diese Daten wieder so wie früher gespeichert werden. Es geht um überhaupt nichts neues Schlimmes, um irgendetwas, wo ein Bürger fürchten müsste um seine Daten ...
Heckmann: Aber damit werden 80 Millionen Menschen unter Generalverdacht gestellt, sagt die FDP.
Herrmann: Nein, darum geht es überhaupt nicht, hier wird überhaupt niemand unter Generalverdacht gestellt, sondern es bleiben die Daten wohlgemerkt beim Telekommunikationsunternehmen gespeichert. Der Staat bekommt ja die Daten gar nicht. Die bleiben bei der Telekom oder bei Vodafone gespeichert. Und nur, wenn ein Ermittlungsrichter dann im konkreten Fall anordnet, für den und jenen werden jetzt die Daten übermittelt, dann kann sich die entsprechende Sicherheitsbehörde von dem Unternehmen Telekom oder Vodafone für die letzten vier Monate geben lassen, mit wem der telefoniert hat. Nicht der Inhalt der Kommunikation wird gespeichert, sondern nur zum Beispiel, dass ich jetzt von meinem Telefon zu diesem Zeitpunkt jetzt telefoniere mit dem Deutschlandfunk. Nichts, was wir besprochen haben, wird gespeichert und dergleichen. Es wird auch nicht gespeichert, ob ich am Telefon bin oder Sie, sondern nur, dass von meiner Telefonnummer mit Ihrer Telefonnummer zu diesem Zeitpunkt telefoniert worden ist. Um nichts anderes geht es.
Heckmann: Und um gerade dies möglich zu machen, den Sicherheitsbehörden dies möglich zu machen, hat die Justizministerin ein Verfahren vorgeschlagen, das sogenannte Quick-Freeze-Verfahren, demnach werden die Daten ein bis zwei Wochen gespeichert und dann bei einem konkreten Anlass eingefroren und ausgewertet. Weshalb nützt Ihnen das nichts? Weshalb reicht Ihnen das nicht?
Herrmann: Natürlich ist das besser als gar nichts, aber Sie haben es halt eben nur für zwei Wochen. Und erst, wenn Sie jetzt feststellen, jawoll, jetzt muss hier ermittelt werden, dann haben Sie das für die letzten zwei Wochen, aber Sie haben es eben nicht, wie es der EU-Richtlinie entspricht und wie es auch sachlich notwendig ist, für wenigstens drei oder vier Monate. Das ist letztendlich der Punkt.
Heckmann: Besser als gar nichts, sagen Sie. Würden Sie sich dann zur Not auf diesen Vorschlag einlassen?
Herrmann: Nein, die Bundesjustizministerin, die FDP insgesamt, muss sich ein Stück da weiter bewegen. Und ich sage noch mal: Genau dieses Quick-Freeze-Verfahren ist vom Bundesverfassungsgericht bereits in dem Urteil von vor zwei Jahren mit bedacht worden und ausdrücklich als in bestimmten Fällen nicht hinreichend bewertet worden. Es ist schon ungewöhnlich genug, dass sich Karlsruhe damit schon beschäftigt hat, sozusagen prophylaktisch, aber Sie können schon in dem Urteil von vor zwei Jahren nachlesen: Das Quick-Freeze-Verfahren allein reicht in bestimmten Fällen gerade zur Verhinderung von Anschlägen nicht aus.
Heckmann: Die FDP muss sich bewegen, sagen Sie, Herr Herrmann. Jetzt hat Jörg-Uwe Hahn, der hessische Minister, Justizminister und Vorsitzender der Justizministerkonferenz, in den kommenden Tagen von der FDP auch einen Kompromiss vorgelegt. Demnach könnten die Daten dann ohne Anlass gespeichert werden, wie sie das auch fordern, aber in Bezug auf Fristen und betroffene Straftaten solle das so eng wie möglich gefasst werden. Sehen Sie also Bewegung bei der FDP?
Herrmann: Also, ich bin zuversichtlich, dass es hier Bewegung gibt. Ich schätzte gerade Herrn Justizminister Hahn sehr. Und ich bin sicher, wir müssen jetzt im Frühjahr noch mal einen wirklich konstruktiven Anlauf nehmen. Wir brauchen eine vernünftige Regelung. Und die Koalition kann es sich nicht leisten, dass dieses Thema noch ein Jahr letztendlich ungelöst durch die politischen Debatten gezogen wird.
Heckmann: Ein Sprecher der EU-Kommission hat gestern gesagt, die Kommission werde sicherstellen, dass der Bruch des EU-Rechts ein Ende habe und hat auch einen Gang vor den Europäischen Gerichtshof nicht ausgeschlossen. Dennoch sah Frau Leutheusser-Schnarrenberger gestern hier im Deutschlandfunk keinen Grund zur Eile. Ich schlage mal vor, wir hören mal kurz rein.
((O-Ton Leutheusser-Schnarrenberger))
Komplettes Interview mit Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
Heckmann: Also eine sehr gelassene Justizministerin, was mögliche Strafzahlungen angeht. Was sagen Sie zu dieser Gelassenheit?
Herrmann: Zum einen ist es natürlich nicht okay, wenn man einfach geltendes EU-Recht nicht umsetzt. Das andere ist aber: Ich habe nicht in erster Linie die Sorge vor den Strafzahlungen der EU, das wäre schon peinlich genug, sondern ich habe Sorge, dass es zu Anschlägen in unserem Land kommen könnte. Und wir sie nicht verhindern können, weil wir genau auf solche Telekommunikationsdaten nicht zugreifen können. Noch einmal, es geht nicht darum, dass insgesamt eine große Zahl von Bundesbürgern hier insgesamt künftig diese Daten in irgendeiner Weise den Sicherheitsbehörden offenbaren müssen, sondern es geht um wenige Fälle schwerer Kriminalität – die hat das Bundesverfassungsgericht definiert – wo ein Ermittlungsrichter entsprechend anordnet, und wo dann entsprechend auf einzelne Daten zugegriffen werden kann. Und das ist notwendig und sinnvoll im Interesse unserer Sicherheit und unseres Rechtsstaates, und genau das müssen wir jetzt auch umsetzen.
Heckmann: Der neue FDP-Generalsekretär Patrick Döring, der hat gesagt, die Zusammenarbeit innerhalb der Koalition sei erkennbar schwerer, als wir uns das zu Beginn der Legislaturperiode vorgestellt haben. Können Sie dieses Kompliment zurückgeben?
Herrmann: Ich habe von Herrn Döring gestern mit Interesse die Äußerung vernommen, dass er behauptet, es gäbe in Unionsparteien insgesamt einen Linksruck. Und deshalb sei es schwieriger geworden. Ich kann für mich als Innenminister jedenfalls in Anspruch nehmen, in unserer Sicherheitspolitik gibt es mit Sicherheit keinen Linksruck, sondern da gibt es eine konsequente Arbeit für die Sicherheit der Menschen in unserem Land. Und die FDP könnte gerade in diesem Bereich der Sicherheitspolitik ihren Beitrag dazu leisten, dass das, was sinnvoll und notwendig ist, ganz einfach getan wird, dann braucht man keine solchen philosophischen Diskussionen mehr führen.
Heckmann: Der bayrische Innenminister Joachim Herrmann von der CSU war das hier im Deutschlandfunk. Herr Herrmann, danke Ihnen für das Interview!
Herrmann: Ich danke Ihnen auch, einen schönen Tag!
Heckmann: Das wünsche ich Ihnen auch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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Interview: "Verengter und falscher" Blick auf Vorratsdatenspeicherung - Bundesjustizministerin über die fehlende Daten über die Zwickauer Zelle
Kommentar: Die EU-Frist läuft ab
((O-Ton))
Heckmann: Anja Günter war das aus Berlin. Und am Telefon begrüße ich Joachim Herrmann von der CSU, den Innenminister Bayerns. Guten Morgen, Herr Herrmann!
Joachim Herrmann: Guten Morgen!
Heckmann: Herr Herrmann, ich weiß nicht, wie oft wir hier im Deutschlandfunk schon mit Ihnen und anderen Unionspolitikern Interviews zum Thema geführt haben, zum Thema Vorratsdatenspeicherung, die Sie ja immer gefordert haben, bisher allerdings erfolglos. Mangelt es Ihnen also an Durchsetzungsfähigkeit?
Herrmann: Nein, wir brauchen eine klare Mehrheit in der Koalition in Berlin. Und da fehlt es im Moment halt noch an Teilen der FDP. Und vor allen Dingen das Bundesjustizministerium ist hier noch nicht dort angekommen, wo wir es brauchen, aber ich bin zuversichtlich, dass wir im neuen Jahr 2012 hier dann jetzt wirklich vorankommen.
Heckmann: Woraus schöpfen Sie diese Zuversicht?
Herrmann: Weil es einfach sachlich notwendig ist, und weil sich diese Koalition in Berlin es nicht auf Dauer leisten kann, etwas, was sicherheitspolitisch dringend notwendig ist, was vom Bundesverfassungsgericht für zulässig erklärt wurde und was klar auch durch eine Richtlinie der Europäischen Union vorgeschrieben ist, all dies einfach nicht zu machen. Diese Koalition ist jetzt angetreten, die innere Sicherheit in Deutschland zu schützen und den Rechtsstaat entsprechend zu wahren. Genau darum geht es, wir brauchen also diese Vorratsdatenspeicherung dringend ...
Heckmann: Ihr Parteifreund – wenn ich da kurz einhaken darf, Herr Herrmann – Hans-Peter Uhl von der CSU lässt sich mit den Worten zitieren: "Wer die fortgesetzte Darstellung des sexuellen Verbrechens an Kindern nicht wirksam bekämpft, macht sich schuldig." Muss sich da die Bundesjustizministerin also angesprochen fühlen?
Herrmann: Ich würde eher nicht die Bundesjustizministerin persönlich angreifen. Wir brauchen hier einen vernünftigen Kompromiss auch in der Koalition. Ich sage immer klar, mir geht es um nichts anderes, als dass wir das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom März jetzt bald vor zwei Jahren einfach abschreiben. Es ist ja nicht so, dass wir irgendeine Maximalposition der Unionsparteien oder dergleichen fordern. Es gibt eine einmütige Haltung, beispielsweise aller Innenminister Deutschlands parteiübergreifend, egal, ob von CDU/CSU, SPD, alle sind der gleichen Meinung, wir brauchen das. Das Bundesverfassungsgericht hat erklärt, was ist nicht zulässig. Und hat gleichzeitig erklärt, was ist zulässig. Das, was das Bundesverfassungsgericht für zulässig erklärt hat, eins zu eins abzuschreiben, wie es im Urteil von Karlsruhe steht – um nichts anderes geht es ja.
Heckmann: Aber Karlsruhe hat wiederum nicht gefordert, dass eben ein solches Gesetz auf den Weg gebracht werden muss. Frau Leutheusser-Schnarrenberger sagt auch, die entsprechende EU-Richtlinie, die sei gescheitert und werde jetzt überprüft. Und zwar, weil mehr als fünf Länder der Europäischen Union diese Richtlinie eben nicht umgesetzt habe. Insofern gelte jetzt das Motto: Abwarten, an der Überprüfung mitarbeiten und dann die neue Richtlinie umsetzen.
Herrmann: Nicht abwarten! Wir haben es ja schon mit schweren Straftaten zu tun. Wir erleben jetzt, dass beispielsweise die Ermittlungen gegen das Neonazi-Trio in Thüringen, Sachsen, nicht so vorangehen, wie sie vorangehen könnten, wenn wir zum Beispiel jetzt bei der Telekom einfach anfordern könnten, mit wem haben diese Drei in den letzten vier Monaten vor der Entdeckung im November telefoniert? Das ...
Heckmann: Aber die letzten Morde sind ja schon viel früher passiert – Jahre ist es her, dass die letzten Morde offenbar passiert sind. Und Frau Leutheusser-Schnarrenberger sagt, die Versäumnisse sind da viel, viel tiefer gewesen, nämlich bei den Ermittlungspannen der Behörden.
Herrmann: Das ist völlig richtig, aber wenn wir jetzt diese Daten hätten, dann könnten wir das wenigstens jetzt ermitteln. Und noch schlimmer wäre es, wenn irgendwo mal wieder ein Anschlag – egal ob von Neonazis oder von Islamisten – geplant würde und wir mit solchen Verbindungsdaten einen Anschlag verhindern könnten und können es jetzt nicht, weil wir diese Daten eben haben. Man muss den Normalbürgern auch sagen: Es geht um nichts anderes bei dieser Vorratsdatenspeicherung als Daten, die früher von der Bundespost oder der Telekom ganz selbstverständlich allein wegen der Rechnungslegung für ihre Kunden gespeichert wurden, und die inzwischen nicht mehr gespeichert wurden, weil es Flatrate gibt, und deshalb es nicht mehr von Belang ist, wie oft jemand telefoniert hat, dass genau diese Daten wieder so wie früher gespeichert werden. Es geht um überhaupt nichts neues Schlimmes, um irgendetwas, wo ein Bürger fürchten müsste um seine Daten ...
Heckmann: Aber damit werden 80 Millionen Menschen unter Generalverdacht gestellt, sagt die FDP.
Herrmann: Nein, darum geht es überhaupt nicht, hier wird überhaupt niemand unter Generalverdacht gestellt, sondern es bleiben die Daten wohlgemerkt beim Telekommunikationsunternehmen gespeichert. Der Staat bekommt ja die Daten gar nicht. Die bleiben bei der Telekom oder bei Vodafone gespeichert. Und nur, wenn ein Ermittlungsrichter dann im konkreten Fall anordnet, für den und jenen werden jetzt die Daten übermittelt, dann kann sich die entsprechende Sicherheitsbehörde von dem Unternehmen Telekom oder Vodafone für die letzten vier Monate geben lassen, mit wem der telefoniert hat. Nicht der Inhalt der Kommunikation wird gespeichert, sondern nur zum Beispiel, dass ich jetzt von meinem Telefon zu diesem Zeitpunkt jetzt telefoniere mit dem Deutschlandfunk. Nichts, was wir besprochen haben, wird gespeichert und dergleichen. Es wird auch nicht gespeichert, ob ich am Telefon bin oder Sie, sondern nur, dass von meiner Telefonnummer mit Ihrer Telefonnummer zu diesem Zeitpunkt telefoniert worden ist. Um nichts anderes geht es.
Heckmann: Und um gerade dies möglich zu machen, den Sicherheitsbehörden dies möglich zu machen, hat die Justizministerin ein Verfahren vorgeschlagen, das sogenannte Quick-Freeze-Verfahren, demnach werden die Daten ein bis zwei Wochen gespeichert und dann bei einem konkreten Anlass eingefroren und ausgewertet. Weshalb nützt Ihnen das nichts? Weshalb reicht Ihnen das nicht?
Herrmann: Natürlich ist das besser als gar nichts, aber Sie haben es halt eben nur für zwei Wochen. Und erst, wenn Sie jetzt feststellen, jawoll, jetzt muss hier ermittelt werden, dann haben Sie das für die letzten zwei Wochen, aber Sie haben es eben nicht, wie es der EU-Richtlinie entspricht und wie es auch sachlich notwendig ist, für wenigstens drei oder vier Monate. Das ist letztendlich der Punkt.
Heckmann: Besser als gar nichts, sagen Sie. Würden Sie sich dann zur Not auf diesen Vorschlag einlassen?
Herrmann: Nein, die Bundesjustizministerin, die FDP insgesamt, muss sich ein Stück da weiter bewegen. Und ich sage noch mal: Genau dieses Quick-Freeze-Verfahren ist vom Bundesverfassungsgericht bereits in dem Urteil von vor zwei Jahren mit bedacht worden und ausdrücklich als in bestimmten Fällen nicht hinreichend bewertet worden. Es ist schon ungewöhnlich genug, dass sich Karlsruhe damit schon beschäftigt hat, sozusagen prophylaktisch, aber Sie können schon in dem Urteil von vor zwei Jahren nachlesen: Das Quick-Freeze-Verfahren allein reicht in bestimmten Fällen gerade zur Verhinderung von Anschlägen nicht aus.
Heckmann: Die FDP muss sich bewegen, sagen Sie, Herr Herrmann. Jetzt hat Jörg-Uwe Hahn, der hessische Minister, Justizminister und Vorsitzender der Justizministerkonferenz, in den kommenden Tagen von der FDP auch einen Kompromiss vorgelegt. Demnach könnten die Daten dann ohne Anlass gespeichert werden, wie sie das auch fordern, aber in Bezug auf Fristen und betroffene Straftaten solle das so eng wie möglich gefasst werden. Sehen Sie also Bewegung bei der FDP?
Herrmann: Also, ich bin zuversichtlich, dass es hier Bewegung gibt. Ich schätzte gerade Herrn Justizminister Hahn sehr. Und ich bin sicher, wir müssen jetzt im Frühjahr noch mal einen wirklich konstruktiven Anlauf nehmen. Wir brauchen eine vernünftige Regelung. Und die Koalition kann es sich nicht leisten, dass dieses Thema noch ein Jahr letztendlich ungelöst durch die politischen Debatten gezogen wird.
Heckmann: Ein Sprecher der EU-Kommission hat gestern gesagt, die Kommission werde sicherstellen, dass der Bruch des EU-Rechts ein Ende habe und hat auch einen Gang vor den Europäischen Gerichtshof nicht ausgeschlossen. Dennoch sah Frau Leutheusser-Schnarrenberger gestern hier im Deutschlandfunk keinen Grund zur Eile. Ich schlage mal vor, wir hören mal kurz rein.
((O-Ton Leutheusser-Schnarrenberger))
Komplettes Interview mit Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
Heckmann: Also eine sehr gelassene Justizministerin, was mögliche Strafzahlungen angeht. Was sagen Sie zu dieser Gelassenheit?
Herrmann: Zum einen ist es natürlich nicht okay, wenn man einfach geltendes EU-Recht nicht umsetzt. Das andere ist aber: Ich habe nicht in erster Linie die Sorge vor den Strafzahlungen der EU, das wäre schon peinlich genug, sondern ich habe Sorge, dass es zu Anschlägen in unserem Land kommen könnte. Und wir sie nicht verhindern können, weil wir genau auf solche Telekommunikationsdaten nicht zugreifen können. Noch einmal, es geht nicht darum, dass insgesamt eine große Zahl von Bundesbürgern hier insgesamt künftig diese Daten in irgendeiner Weise den Sicherheitsbehörden offenbaren müssen, sondern es geht um wenige Fälle schwerer Kriminalität – die hat das Bundesverfassungsgericht definiert – wo ein Ermittlungsrichter entsprechend anordnet, und wo dann entsprechend auf einzelne Daten zugegriffen werden kann. Und das ist notwendig und sinnvoll im Interesse unserer Sicherheit und unseres Rechtsstaates, und genau das müssen wir jetzt auch umsetzen.
Heckmann: Der neue FDP-Generalsekretär Patrick Döring, der hat gesagt, die Zusammenarbeit innerhalb der Koalition sei erkennbar schwerer, als wir uns das zu Beginn der Legislaturperiode vorgestellt haben. Können Sie dieses Kompliment zurückgeben?
Herrmann: Ich habe von Herrn Döring gestern mit Interesse die Äußerung vernommen, dass er behauptet, es gäbe in Unionsparteien insgesamt einen Linksruck. Und deshalb sei es schwieriger geworden. Ich kann für mich als Innenminister jedenfalls in Anspruch nehmen, in unserer Sicherheitspolitik gibt es mit Sicherheit keinen Linksruck, sondern da gibt es eine konsequente Arbeit für die Sicherheit der Menschen in unserem Land. Und die FDP könnte gerade in diesem Bereich der Sicherheitspolitik ihren Beitrag dazu leisten, dass das, was sinnvoll und notwendig ist, ganz einfach getan wird, dann braucht man keine solchen philosophischen Diskussionen mehr führen.
Heckmann: Der bayrische Innenminister Joachim Herrmann von der CSU war das hier im Deutschlandfunk. Herr Herrmann, danke Ihnen für das Interview!
Herrmann: Ich danke Ihnen auch, einen schönen Tag!
Heckmann: Das wünsche ich Ihnen auch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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