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"R&B mit konkreten Geschichten ausloten"

Immer mehr Art-Rock und Pop-Bands haben Stilelemente des R&B in ihre Musik integriert. Auch der in Brooklyn lebende Arthur Ashin besser bekannt als Autre ne Veut hat nun mit Anxiety ein Meisterwerk der neuen R&B-Schule vorgelegt.

Von Christian Lehner |
    "Ich war einer dieser Teenager, die sich ständig verliebt haben. Ich kann mich noch gut an meine erste Romanze erinnern. Wir sind händchenhaltend im Gras gesessen – völlig unschuldig! Es war einfach wunderbar. Überraschenderweise war da aber auch dieser Schmerz, dieses Gefühl der Beklemmung."

    Liebe, Verlust, Wonne und Schmerz – das sind die zenralen Themen des R&B. In keinem anderen Genre wird so theatralisch geschmachtet, gelitten und zerflossen. R&B ist die Oper des Pop.

    So wie viele Musiker derzeit, ist auch Arthur Ashin angetreten, um die Vorhänge zu entstauben und sterbende Schwäne zu reanimieren. Als Autre Ne Veut versucht er sich an der Modernisierung des R&B:

    "Für mich besteht die Herausforderung darin, die im R&B sehr allgemein gehaltenen Themen mit konkreten Geschichten aufzuladen. Aus den klischeehaften Figuren sollen echte werden. Da ist zum Beispiel diese Liebesgeschichte. Plötzlich ist alles nicht mehr so easy wie am Anfang. Anstatt in den dafür vorgesehenen, musikalischen Formalismus zu flüchten, versuche ich nun diesen Konflikt aufzulösen. Das kann allerdings erst recht zu einer existenziellen Krise führen."

    "Anxiety” heißt das neue, zweite Autre-Ne-Veut-Album. Die Sounds wirken kühl, distanziert, analytisch – konträr zum Inhalt der Texte und Tonalität der Stimme.

    Arthur Ashin kommt von der Psychologie und Musiktherorie. Eine Qualität seines neuen Albums ist die höhbare Lust an der Analyse. Das Forschen kommt den Emotionen jedoch kaum in den Weg – auch dank seiner ausdrucksstarken Falsett-Stimme.

    "Ich habe schon als Kind ernsthaft mit dem Singen begonnen. Was beim R&B oder Soul fasziniert, ist das sich Hingeben. Es klingt so einfach, so natürlich, ist aber extrem schwierig zu bewerkstelligen. Das ist zum Beispiel das Geheimnis einer Patti LaBelle: Ohne formales Training und Disziplin geht gar nichts. Die Kunst ist, gleichzeitig loszulassen zu können, aber dennoch die Kontrolle zu behalten. Nur so kann man all die emotionalen Nuancen in den Vortrag bringen. Es reicht also nicht, bloß laut und theatralisch herumzuknödeln."

    "Anxiety" ist ein Album über Alltagsängste, Beziehungsstress und Entfremdung. Symbolträchtig das Albumcover. Zu sehen sind zwei Museumsarbeiter, die einen Bilderrahmen. Ursprünglich war darin "Der Schrei" von Edvard Munch zu sehen. Doch Ashkins Plattenfirma "Software Records" wollte den drohenden Urheberrechtsstreit vermeiden. Das berühmte Werk verschwand wieder aus der Cover-Montage:

    "In den USA hätten wir es bereits verwenden dürfen. In Skandinavien läuft das Urheberrecht aber erst in zwei Jahren aus. Wir wollten nicht riskieren, dass wir das Album am Ende nicht ausliefern dürfen. Eigentlich wollte ich mit dem Cover ausdrücken, wie das Grundgefühl der Angst über Kunst zur Ware werden kann. Jetzt haben wir schwarze Sticker über das Munch-Bild geklebt. Das hat ja auch einen gewissen symbolischen Wert. Und wer weiß, vielleicht halten die Sticker nicht und das Bild kommt nach einer Weile wieder zum Vorschein."

    "Anxiety" ist ein kleines Meisterwerk des zeitgenössichen R&B. Die geneigte Hörerschaft kann sich den puren Emotionen von Autre Ne Veut hingeben und dabei auch noch analytisch in den Seelen-Spiegel blicken.

    "Es ist schon interessant, dass meine Musik jetzt gar nicht so anders klingt, als zum Beispiel die Platten der jungen R&B-Stars Frank Ocean und Miquel. Die haben aus anderen Gründen begonnen, mit dem Genre zu experimentieren. Wir alle haben unterschiedliche Hintergründe und wohl auch Motive, und doch treffen wir in diesem speziellen Moment anscheinend den gleichen Ton."