"Also, das ist die Armis und der Artus, die sind jetzt schon sechseinhalb Wochen. Und dahinten sieht man die Maxi und da oben sitzt glaube ich der Bruder von der Maxi, der Moritz. Die sind jetzt fünfeinhalb Wochen."
Ein weiträumiges Gehege voller Raben am Max-Planck-Institut für Ornithologie in Seewiesen nahe dem Starnberger See. Die Verhaltensbiologin Miriam Sima kennt die zehn herumhüpfenden Jungvögel schon lange und hat sie selbst aufgezogen. Die schwarzen Gesellen fressen ihr noch heute vertrauensvoll aus der Hand und sind alles andere als scheu. Beste Voraussetzungen, um sie im Seewiesener Forschungsprojekt genau beobachten zu können. Sein Ziel ist es, die Evolution der Sprache zu ergründen.
"Und da gibt es verschiedene Hintergrundideen, wie sich Sprache entwickelt hat. Und eine ist eben, dass ein Teil von Sprache sich aus Gesten entwickelt hat, da es in unserem Leben sehr viele Gesten gibt, aber eben auch in der Tierwelt sehr viele Gesten zu beobachten sind."
Gesten ohne Hände und Arme?
Menschenaffen wie Schimpansen oder Bonobos zeigen zum Beispiel mit dem Finger oder strecken die Arme aus, um hochgehoben zu werden. Allerdings sind sie genetisch eng mit dem Menschen verwandt, anders als die Raben. Die Seewiesener Forscher interessiert, ob Raben trotzdem ähnlich wie Menschen und Menschenaffen gestikulieren. Das würde neue Aufschlüsse über ein generelles Kommunikationsvermögen von Lebewesen ermöglichen. Wie aber sollen Vögel, die keine Hände und Arme haben, Gesten benutzen? Ein erstes Ziel der Seewiesener Forschergruppe war, herauszufinden, ob Raben überhaupt Bewegungen zeigen, die sich als Gesten interpretieren lassen. Der Forschungsleiterin der Gruppe, Simone Pika, gelang dabei eine grundlegende Entdeckung. Miriam Sima:
"Wenn Sie Objekte haben und sie wollen zum Beispiel Interaktionen mit einem anderen Individuum, gehen Sie zu diesem anderen Individuum mit dem Objekt und zeigen ihnen das Objekt, indem sie einfach das Objekt im Schnabel haben und sich zum anderen daneben hinstellen und warten. Und das ist einerseits, um den anderen in eine Interaktion zu bekommen oder zu spielen."
Das war in Seewiesen das Startsignal, um systematisch das gestische Repertoire von Raben zu erkunden. Alltagsbeobachtungen wurden dazu genau so herangezogen wie Videoanalysen der Tiere. Tatsächlich fanden die Forscher einige Bewegungen, die die Vögel offenbar zielgerichtet einsetzen.
Flügelbewegungen und Federn aufrichten
"Sie können verschiedene Federn aufstellen, sie machen Flügelbewegungen. Das heißt, sie heben ihre Schultern, senken ihre Schultern, sie können ihre Flügel öffnen, sie können mit dem Schwanz richtig wedeln, sie können den Schwanz heben, die Schwanzfedern sehr schön öffnen. Also da gibt es wirklich ganz viele verschiedene Verhaltensweisen. Das sind die visuellen Signale. Wenn wir jetzt taktile Signale nehmen: Was Sie zum Beispiel machen ist auf anderen vorsichtig - wir nennen es im Moment "nibbeln". Es ist einfach so ein Herumknabbern. Also die Interpretation ist im Moment noch sehr vorsichtig, dass einfach, um Aufmerksamkeit zu bekommen, man den anderen anstupst."
Ohne geteilte Aufmerksamkeit aber ist es überhaupt nicht möglich, miteinander zu kommunizieren. Wobei die jungen Raben erst allmählich lernen, auf was es da alles ankommt.
"Also am Anfang machen sie sicherlich visuelle Signale und achten nicht darauf, ob der andere hinschaut oder nicht hinschaut. Weil sie das einfach noch nicht können, weil sie das einfach noch nicht verstehen."
Offenbar hängt es vom Entwicklungsstand ihrer kognitiven Fähigkeiten ab, wie gut die Raben ihre Gesten einsetzen. In den nächsten Jahren führt Miriam Sima daher Tests durch, die die Intelligenzentwicklung der Vögel bis ins Erwachsenenalter hinein dokumentieren. So möchte sie herausfinden, wie sich ihre Kommunikation parallel zu ihren Intelligenzleistungen verbessert und ob das ähnlich wie bei Menschen und Menschenaffen geschieht. Außerdem wollen die Seewiesener Forscher erste Annahmen darüber testen, was die verschiedenen Schwanz-, Flügel-, Schnabel und Federbewegungen der Raben bedeuten. Offenbar richten sie bestimmte Federn auf, wenn sie aufgeregt sind und ihre Dominanz zeigen wollen. Die Wissenschaftler werden den Tieren diese Bewegungen daher gezielt vorspielen, um herauszufinden, was die Vögel damit zeigen wollen.