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Rachenkrebs durch Viren

Rachenkrebs ist eine Erkrankung, die durch den betroffenen Schauspieler Michael Douglas der Öffentlichkeit bekannt wurde. Spezialisten aus dem deutschsprachigen Raum trafen sich kürzlich beim ersten Workshop zur experimentellen und klinischen Forschung in der Kopf-Hals-Onkologie in Leipzig.

Von Hartmut Schade | 15.02.2011
    Seit einigen Jahren treffen HNO-Ärzte in ihren Sprechstunden auf Krebspatienten, die nicht in das klassische Bild des Tumorkranken passen, sagt Professor Andreas Dietz vom Universitätsklinikum Leipzig.

    "Man hat zum Beispiel in den USA, da hat man gesehen, dass die Patienten jünger sind, dass sie weniger mit Tabak und Alkohol zu tun haben, teilweise gar nicht und dass das eine völlig andere Gruppe von Patienten ist, wie wir sie bisher kennen."

    Auf der Suche nach dem Auslöser der Krebserkrankung stießen die Mediziner auf einen alten Bekannten: die humanen Papillomviren, kurz HPV. Dass sie Gebärmutterhalskrebs auslösen, wussten die Ärzte. Nun werden sie auch als Verursacher von Zungen- oder Rachentumoren diskutiert, sagt Andreas Dietz.

    "Also da haben sich einfach die wissenschaftlichen Erkenntnisse verdichtet. Beispielsweise wissen wir schon seit Ende oder Mitte der 90er-Jahre, dass das eine Rolle spielt. Aber Sie wissen, eine Schwalbe macht noch keinen Sommer. Und es hat sich gerade in den letzten fünf Jahren extrem verdichtet, dass verschiedene internationale Gruppen auch hier vergleichbare Ergebnisse gefunden haben."

    Kontrovers diskutiert wird der Übertragungsweg. Sind es tatsächlich bestimmte Sexualpraktiken? Schließlich ist ein Hauptlebensraum der Papillomviren der Genitalbereich. Eine amerikanische Studie kam zu dem Schluss,

    "dass zum Beispiel häufig wechselnde Geschlechtspartner ein Risikofaktor ist, gerade mit diesen HPV-assoziierten Rachenkarzinomen mehr zu tun zu haben. Ist im Moment weltweit Gegenstand von Untersuchungen."

    Es sind nicht allein die HPV-Viren, die für mehr Zungen und Rachentumore sorgen. Die Mediziner entdeckten einen weiteren Mitspieler: die Tumorstammzelle, sagt die Lübecker HNO-Professorin Barbara Wollenberg.

    "Tumorstammzellen bedeutet, dass es seit Neuem, seit 2007, bekanntermaßen Zellen gibt, die - jede Zelle für sich genommen – einen neuen Tumor induzieren könnten. Es war lange Zeit umstritten, dass das in HNO-Karzinomen eine große Rolle spielen könnte. Inzwischen kann man eigentlich es als bewiesen ansehen, dass es diese Zellen gibt."

    Die Therapie hat mit dem neuen Wissen über das Entstehen von Mund-und Rachentumore nicht Schritt gehalten, bedauert Barbara Wollenberg.
    "Oh, aktuell bedeutet das nicht wirklich viel. Wir sind zurück an der Basis, sag ich jetzt mal, um zu klären, wer sind eigentlich die auslösenden Faktoren, wer ist die auslösende Zelle, wir reden Zellen untereinander, bevor wir mit neuen Biologicals, also neuen biologischen Therapiemaßnahmen eingreifen können."
    Das Konzept einer Vorsorgespritze, wie bei dem ebenfalls durch HPV ausgelösten Gebärmutterhalskrebs, lässt sich nicht einfach auf Rachentumore übertragen und würde auch nur einigen helfen. So bleibt es derzeit bei der Triade von Chirurgie, Bestrahlung und Chemotherapie. Doch auch da sieht Barbara Wollenberg noch Forschungsbedarf.

    "Eines, was immer gern übersehen wird, ist der qualitative Outcome für diesen Patienten, der Lebensqualität am ende einer solchen Behandlung. Und hier gibt es auch bei den Strahlentherapiestudien zu wenig Daten um eigentlich die Qualität diese Therapieform zu evaluieren."

    Auch für jene 42 Prozent der Patienten, die laut Statistik nach Bestrahlung oder Operation länger als fünf Jahre überleben, bedeuten dies eine massive Einschränkung ihrer Lebensqualität – ob beim Reden, Essen, Schmecken oder Luftholen.