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Rachmaninow: Klavierkonzerte Nr. 1 & 3

Auch der junge russische Pianist Nikolai Lugansky wagt sich mit seiner neuen CD auf ein Terrain, wo an Vergleichsaufnahmen kein Mangel herrscht: Bei Warner Classics spielte er die Klavierkonzerte 1 und 3 von Sergej Rachmaninow ein. Orchestraler Partner, den man im Unterschied zur vorigen Aufnahme auch in allen Einzelheiten wahrnehmen kann, ist hier das City of Birmingham Symphony Orchestra, einst von Simon Rattle auf allerhöchste Höhen geführt, inzwischen mit dem aus Finnland stammenden Sakari Oramo als Chef.

Ludwig Rink |
    Musikbeispiel:

    Sergej Rachmaninow - Anfang des 1. Satzes aus: Konzert für Klavier und Orchester d-moll, op. 30

    Wie bei allen hochvirtuosen Konzerten stellt sich gerade bei Rachmaninows Klavierkonzerten die Frage: Dient der Pianist dem Komponisten oder ist es umgekehrt? Geht es ihm um die Sache, d.h. darum, eine umfangreiche und hochkomplexe Partitur im Ganzen und mit allen ihren Einzelheiten zu durchleuchten und zu einer sprechenden, möglichst werktreuen Wiedergabe zu bringen, oder dient ihm das vom Komponisten zusammengetragene musikalische Material in erster Linie zur Darstellung seiner eigenen technischen und musikalischen Möglichkeiten? Lugansky hat sich eindeutig für die sachgerechte, dem Werk dienende Rolle entschieden. Mit stupender Technik, alles noch deutlich leichtfüßiger als sein Kollege Lang Lang, führt er den Hörer durch die drei Sätze, als sei es ein einfacher Sonntagsspaziergang. Und - alles erscheint logisch, völlig natürlich, wird schon direkt beim ersten Hören klar. Hochwach machen Dirigent Oramo und sein Orchester alle Tempoveränderungen mit, reagieren auf Akzente und besondere Phrasierungen, als würden sie Bälle auffangen.

    Musikbeispiel:

    Sergej Rachmaninow - Anfang des 3. Satzes aus: Konzert für Klavier und Orchester d-moll, op. 30

    Nikolai Luganskys Entscheidung für Rationalität, Sachlichkeit und Klarheit ist natürlich angesichts der Klavierkonzerte Rachmaninows ein gewisses Wagnis. Zu sehr gehört zur vielbeschworenen russischen Seele dieser Musik eben auch die Vorstellung eines sozusagen undurchdringlichen Dickichts, einer nicht fassbaren Unmäßigkeit, einer unergründlichen Tiefe. Doch Lugansky und Oramo gelingt das Paradox: Sie leuchten in jeden Winkel der Partitur, zeigen alle Verstrickungen, gehen mit viel Verstand an die Sache und doch hinterlässt ihre Interpretation beim Hören keine rationale Kälte, sondern eine ungeheurer vielschichtige, umso tiefere Wirkung. Rachmaninows 3. Klavierkonzert erscheint befreit von der Patina, die sich im Laufe der Jahre auf ihm abgesetzt hat und erstrahlt in neuem Glanz.

    Musikbeispiel:

    Sergej Rachmaninow - Ende des 3. Satzes aus: Konzert für Klavier und Orchester Nr. * d-moll, op. 30