Radfunk - Der Fahrradpodcast
Episode 10 - Radfahren in Zeiten von Corona

Warum ist das Rad das Verkehrsmittel der Stunde? Und wie sollten Städte die Corona-Krise als Chance nutzen? Wie kommen Fahrradläden und der Profiradsport durch die Krise? Und wie fährt man eigentlich Rad in Tokio? Die Corona-Edition des Radfunks.

Von Paulus Müller und Klaas Reese |
Eine Frau fährt auf ihrem Rad mit Mundschutz durch Berlin.
Mundschutz auch auf dem Rad? (imago images / Xinhua)
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn hatte schon recht früh davon gesprochen, das Radfahren in Corona-Zeiten sinnvoll sei - besonders als Alternative zu Bus und Bahn. Hans Klose, Chefarzt der Abteilung Lungenheilkunde am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf stößt ins selbe Horn: "Fahrradfahren ist ja immer ein gutes Verkehrsmittel, weil man damit flink, schnell und flexibel ist und ohne viel Emissionen von A nach B kommt und sich dabei fit hält. Ich glaube, in Zeiten von Corona und erhöhter Ansteckungsgefahr gewinnt das ganze nochmal an Qualität. Erstens muss ich nicht mit vielen Menschen und vielleicht mit Mundschutz reisen. Zweitens halte ich schon aufgrund der Bauweise des Rades Abstandsregeln ein, wodurch die Infektionsgefahr sinkt."
Außerdem sei das Fahrrad, in Zeiten in denen Sportstätten geschlossen und die Bewegungsmöglichkeiten im Home Office eingeschränkt sind, eine gute Möglichkeit, um an die frische Luft und in die Natur zu kommen, fit zu bleiben und sowohl das Herz-Kreislauf-System als auch die Lungenfunktion stärken.
In Berlin wirbt eine Anzeigetafel an einer viel befahrenen Straße dafür mit Rad statt mit dem Auto zu fahren.
Tipp für Autofahrer: Fahr Fahrrad! (imago images / Klaus Martin Höfer)
Doch auch auf dem Fahrrad sollte Abstand gehalten werden, wozu auch Professor Bert Blocken, Gebäudephysiker und Aerodynamiker von der Universität Eindhoven, rät im Gespräch mit dem Deutschlandfunk: "Die Leute wollen wahrscheinlich wissen, welches Infektionsrisiko sie haben. Und dazu muss ich sagen: wir sind keine Virologen, wir sind Aerodynamiker und Ingenieure. Wir haben uns deshalb ausdrücklich dazu entschieden, dass wir keine Aussagen zum Infektionsrisiko machen, außer einer sehr einfachen, und da wird uns jeder zustimmen: Es ist besser, man ist den Tröpfchen nicht ausgesetzt. Es ist ein großer Unterschied jemanden zu überholen und sich nur kurz im Windschatten aufzuhalten oder sich vier Stunden bei einem Lauf oder einer Fahrradtour im Windschatten einer anderen Person zu befinden. Das ist ein Unterschied wie Tag und Nacht. Lasst uns konsequent sein und einen größeren Abstand halten, das kann nur einen positiven Effekt haben! 'Sicher ist sicher!', das ist unsere Botschaft."
Eine Maske sei auf dem Fahrrad nicht notwendig, wenn man alleine fährt. Es brauche nur stets den nötigen Platz, um auch Abstand halten zu können. Deshalb plädiert Lungenarzt Hans Klose dafür dem Radverkehr jetzt mehr Platz einzuräumen: "Aktiv was tun: Hygieneregeln einhalten, möglichst nicht in Gruppen zusammen zur Arbeit fahren in Bahn und Bus, sondern sich fit zu halten, das Fahrrad zu nehmen und damit aktiv seinen Beitrag zu leisten, um besser durch diese Krise durchzukommen. Das gilt für alle Bereiche. Auch für Verkehrsplanung."

Mehr Platz für Radfahrer

Dieser Forderung nach mehr Platz für Radfahrer schließen sich viele Initiativen und Organisationen an. In Zeiten von Corona sei es wichtig, sich zu bewegen, weshalb man das Verkehrsmittel Rad stärken solle, sagt Anika Meenken, Sprecherin für Radverkehr beim Verkehrsclub Deutschland. "Aber die Flächen sind sehr ungerecht verteilt. Es ist viel mehr Platz für den PKW reserviert – ob jetzt fahrend oder ruhend." Die Radwege hingegen seien so eng, dass man sich nicht überholen könne – vor allem wenn man jetzt noch extra Abstand halten solle. Nach dem Vorbild von Bogota oder New York sollte es deshalb nach Meinung von VCD-Sprecherin Meenken auch in Deutschland, wie in Berlin schon geschehen, mehr Pop-Up-Bike-Lanes geben. Dafür bräuchte es dazu aus Sicht von Meenken mehr Tempo-30-Zonen, um die Fahrradfahrer zu schützen. Als Verkehrs- bzw. Pilotversuch könnten solche Veränderungen schnell und unbürokratisch umgesetzt werden. "Krisensituationen sind immer Umbruchsituationen. Ich wünsche mir deshalb mehr Home Office, mehr Videokonferenzen, um Wege zu vermeiden und dass mehr Menschen Spaß am Radfahren haben", so Meenken.
Anika Meenken, Sprecherin des Verkehrsclubs Deutschlands, fährt mit dem Fahrrad durch eine von Bäumen gesäumte Straße und lächelt in die Kamera.
Anika Meenken, Sprecherin des Verkehrsclubs Deutschlands, spricht sich für fahrrad- und fußgängerfreundliche Lösungen aus. (VCD / Katja Täubert)
Spaß am Radfahren haben vor allem viele Menschen, die sich im Frühjahr ein neues Fahrrad kaufen. Doch aufgrund der Pandemie blieben die Fahrradgeschäfte in den letzten Wochen geschlossen. "Kontaktlose Annahme" lautete das Zauberwort für den Fahrradhändler Mathieu aus dem "Fahrradladen Prinzenstraße", denn so konnte das Geschäft auch ohne den Verkauf durch Reparaturen Umsatz generieren. Dadurch, dass die Radläden jetzt wieder geöffnet haben dürfen, sieht der Zweiradmechaniker positiv in die Zukunft: "Wenn der Lockdown bis zum Herbst gedauert hätte, dann wäre es schlimm geworden. Aber die Leute, die sich vor zwei, drei Wochen ein Rad kaufen wollten, haben den Wunsch einfach aufgeschoben oder haben das durch das Internet substituiert." Ob die Wochen ohne Verkaufsmöglichkeit einen Unterschied gemacht haben, das werde sich erst am Jahresende zeigen.

Geistertour de France?

Auch der Profi-Rennradsport wird am Ende des Jahres Bilanz ziehen und sehen, welche Rennen überhaupt stattfinden konnten. Matthias Friebe aus der Deutschlandfunk-Sportredaktion ist skeptisch, ob das in dieser Saison noch viele sein werden, denn aktuell sei es unvorstellbar, dass zum Beispiel durch Frankreich, ein Land, in dem die Krankenhäuser überlastet sind, eine ein dreiwöchiges Radrennen führt, denn selbst ohne Zuschauer an der Strecke oder im Zielbereich sei die Ansteckungsgefahr groß: "Eine Tour ohne Zuschauer, eine Geistertour, ist schwer vorstellbar. Da fehlt mir die Fantasie, wie man das organisieren will bei einem Tross von rund 4500 Menschen."
"Die Tour de France ist ein Nationalheiligtum wie der Eiffelturm oder der Louvre. Sie ist der Tourismusfaktor für Frankreich", sagt Friebe. Eine Absage der "Tour de France" ist ebenso wie der Vuelta in Spanien und der Giro d'Italia ist bisher nicht verplant. Die Veranstalter hoffen auf eine Lösung, auch weil die Radrennteams 80 Prozent ihres Werbewerts aus der Tour erzielen.
Rennradprofi Tanja Erath sitzt auf ihrem Rennrad vor blauem Himmel und trägt eine verspiegelte Sonnenbrille.
Rennradprofi Tanja Erath - Warten auf das nächste Rennen (Privat: Tanja Erath)
Tanja Erath, Radrennprofi im Rennstall Canyon/SRAM Racing, hat dennoch wenig Zukunftssorgen. Die ausgebildete Medizinerin hat ein zweites Standbein, falls keine Rennen mehr stattfinden, und sie beobachtet, dass viele Sponsoren in der Krise kreativ sind, um weiterhin Umsätze zu machen.

Dennoch fehlen der Deutschen Meisterin in der Mannschaftsverfolgung ihre Teamkolleginnen, schon weil sie es vermisst im Training Ortsschildersprints zu fahren. Aktuell fährt Erath zu 98 Prozent auf dem Heimtrainer in ihrer Wohnung, obwohl sie im Gegensatz zu einigen Kollegen im europäischen Ausland in Deutschland draußen trainieren darf. Das habe mehrere Gründe: "Zum einen die Solidarität mit meinen Teamkolleginnen, die im richtigen Lockdown sind in Italien und Spanien. Zum anderen möchte ich die Chance zu stürzen und in der Notaufnahme zu enden, so gering wie möglich halten. Und die Chance ist auf der Rolle einfach geringer als draußen."
Erath beobachte, dass auf Deutschlands Straßen viele Autofahrer besonders aggressiv fahren und die Vielzahl der Radfahrenden eng überholen. Da sei das Fahren "auf der Rolle" deutlich entspannter und böte durch Online-Wettbewerbe eine hohe Motivation.
Rennradprofi Tanja Erath sitzt auf ihrem Rennrad im Zimmer und blickt auf einen Bildschirm, um ihre Konkurrenten und die Strecke bei einem Online-Wettrennen zu sehen.
Rennradprofi Tanja Erath: "98% Training drinnen" (Privat: Tanja Erath)
Amateurrennradfahrern empfiehlt Erath: "In den Abfahrten nichts riskieren. Es ist eine komische Stimmung, Autofahrer überholen noch enger. Auf kleinere Straßen umsteigen und kein Risiko eingehen sind zwei wichtige Tipps."

"Da muss ich mich jetzt ein bisschen zusammenreißen"

Thomas Peveling, Präsident des Radsportverbandes NRW, sieht neben den unentspannten Autofahrern auch andere Probleme für den Amateurradsport: "Es gibt sicher einige angespannte Situationen bei Vereinen. Böse ist es immer, wenn Rennen und große Veranstaltungen geplant wurden, für die auch schon Kosten angefallen sind, denen jetzt keine Einnahmen mehr gegenüberstehen werden. Zumal ja auch die Situation sehr unsicher ist, ob dieses Jahr überhaupt noch Veranstaltungen stattfinden können."
Andere Sportarten, etwa die Fußball-Bundesliga, waren sehr schnell ziemlich laut in ihren Forderungen nach Unterstützung der Profis. Peveling reagiert darauf kopfschüttelnd: "Da muss ich mich jetzt ein bisschen zusammenreißen, um bei einem Sport, der wie der Fußball, nicht gerade an Finanzmitteln leidet, dort nicht ungerecht zu werden. Mit Sicherheit ist dort auch ein Riesen-Kostenapparat dabei. Nichtsdestotrotz fand ich in der Kürze der Zeit sehr verwunderlich wie schnell dort nach Zuwendungen gerufen wurde, wo in anderen Sportarten man sich erstmal darauf konzentriert hat, den Sportbertrieb umzustellen und überzuführen in Modelle und Wege, die der Krise angepasst sind. Insofern kann ich schon sagen: ein leichtes Befremden war da zu spüren."

Radfahren im Regen

Befremdlich war für Kathrin Erdmann, Korrespondentin in Japan, als ihr in Tokio beim Fahrradkauf mitgeteilt wurde, dass Frauen bei Regen nicht Fahrrad fahren. Ebenso ungewöhnlich ist es für Europäer, dass man in einer der größten Städte der Welt sein Fahrrad nicht einfach an der Straße abstellen darf. Hohe Strafen drohen, weshalb Erdmann ihr Rad in der Nähe ihrer Arbeit für eine Gebühr abgibt. Fahrradfahren sei aber in Tokio dennoch der schönste Weg sich fortzubewegen, auch für Touristen. Insbesondere zur Zeit der Kirschblüte sei die tägliche Radtour nach Hause "ein kleines Glück".