Seit Jahrhunderten zieht Paris junge Menschen mit Talent und Ehrgeiz an. Auch diese Geschichte spielt hauptsächlich in den Straßen dieser Stadt, in den Parks, den Cafés, den Salons und den Schlafzimmern und manchmal auch auf Landgütern, die weniger als eine Tagesreise entfernt lagen.
Vor allem aber spielt sie in der Rue des Moulins Nummer zehn, im Salon des Baron d'Holbach. Der Salon ist Dreh- und Angelpunkt der Geschichte, die Philipp Blom in seinem Buch "Die bösen Philosophen" entwirft. Hier kommen Intellektuelle des 18. Jahrhunderts zusammen, um zu schlemmen, zu trinken und vor allem um offen zu diskutieren. Hier spielen sie mit Gedanken, die die Grundfesten des christlichen Denkens erschüttern sollten. Die "bösen Philosophen", das sind vor allem der Baron d'Holbach selbst und Denis Diderot, die Denker der radikalen Aufklärung. Sie propagieren den Atheismus und entwerfen einen radikalen Materialismus. Der Mensch - nur ein Geflecht von Ursache und Wirkung, von Lust gesteuert. Die Seele - nicht existent.
Für die europäische Ideengeschichte, in der christliches Gedankengut seit dem frühen Mittelalter die unbestrittene Vorrangstellung eingenommen hatte, waren die Diskussionen in der Rue Royale, die auch immer mehr internationale Gäste anzogen, ein absolutes Novum - ein Netzwerk des Unglaubens, das sich über ganz Europa auszubreiten begann. Die
Denkstrukturen der Vergangenheit wurden in intensiven Debatten bis auf die Grundfesten abgetragen. Nun war es an der Zeit, an ihrer Stelle etwas Neues zu errichten.
Im Gegensatz zu Diderot und Holbach bleiben die moderaten Aufklärer wie Voltaire und Rousseau im christlichen Denken verhaftet, so die These von Philipp Blom. Vor allem Rousseau operiere mit Kategorien von Schuld und Sühne, Entsagung und Leibfeindlichkeit, und baue ein quasi-religiöses Gedankengebäude auf, das die Erlösung ins Jenseits verlegt. Nur wer leidet, wird ein guter Mensch, so die Quintessenz. Denktraditionen, die uns auch heute noch prägen, so der Autor.
Dem entgegen stellt Blom die radikalen Aufklärer, die Lust statt Leid in den Mittelpunkt stellen und eine Moralvorstellung entwerfen, die allein auf diesseitigen Überlegungen basiert, jenseits von Kategorien wie Schuld und Verdammnis. Zum universellen Wert des Miteinanders wird bei ihnen das Mitgefühl, das die Menschen bei allem Streben nach der eigenen Lust, an das Wohlergehen aller denken lässt. Philipp Blom fasst die Ideen von Diderot in seinen Worten zusammen:
Unsere Leidenschaft treibt uns dazu, Lust zu suchen, aber das uns angeborene Mitgefühl lässt uns unsere eigene Furcht vor Schmerzen auf andere ausweiten. Das Gute und das Böse werden so zu festen Größen in unserem Selbstbewusstsein. Der Konflikt zwischen der egoistischen Suche nach Lust und unserer emotionalen Identifikation mit den Mitmenschen erlaubt es unserer Vernunft, Situationen abzuwägen, unser eigenes Verlangen als Teil eines größeren Ganzen zu begreifen und so die Waagschale des sozialen Verhaltens in diese oder jene Richtung zu kippen.
Aus den Schriften der radikalen Aufklärer meißelt Philipp Blom einen radikalen Humanismus heraus, der auf Solidarität mit dem andern beruht. Wie aber Lust, Mitgefühl und Vernunft zum Leitfaden des Miteinanders werden können, kann auch Diderot nicht beantworten. Seinem Ideal nähert er sich spielerisch, mit ironischen Brechungen, jenseits einer konkreten Systematik. Die Ideen von Lust und Genuss macht Philipp Blom zur Grundlage seines eigenen Schreibens. Statt eine trockene Philosophie- oder Ideengeschichte zu verfassen, entwirft er ein sinnliches Bild vom Leben und Denken im Paris des 18. Jahrhunderts. Die Ideen der Philosophen erklärt er aus ihrem Leben heraus. Die Biografien der Denker, ihre Amouren und Eigenheiten, Leidenschaften und Zerwürfnisse verdichtet er zu komplexen Bildern der Philosophen und bettet ihre Gedanken in die der Zeit. Es ist das Paris des alternden Sonnenkönigs Louis XIV., der nur noch für Etikette und Machterhalt lebt. Die Macht aber liegt in den Händen der katholischen Kirche. Das intellektuelle Leben ist einer strikten Zensur unterworfen und offener Austausch kann nur im Geheimen stattfinden.
Das war das Universum der Mietschreiber und anonymen Autoren, in dem Diderot jahrelang verkehrte. Wie andere auch brannte er darauf, sich einen Namen zu machen, und wie andere wird er sich etwas Geld verdient haben, indem er auch pornografische Geschichten oder anonyme politische Pamphlete gegen Kirche und König verfasste, die dann im Schutze der Nacht auf mobilen Druckerpressen produziert wurden, heimlich. [ ... ] Solche Literatur wurde von Kolporteuren "sous le manteau" verkauft, unter dem Mantel, ein Geschäft, das so riskant und lukrativ war wie der Handel mit harten Drogen heute.
In dieser Atmosphäre ist der Salon d'Holbach nicht nur für Diderot ein sinnliches Refugium, in dem frei diskutiert werden kann. Philipp Blom fächert die Ideen der Salon-Besucher auf und zeichnet die Strömungen nach, die in das Denken der radikalen Aufklärer fließen. Radikal sind sie in ihrem Atheismus wie in ihrer Gesellschaftsanalyse, in der sie jeden absoluten Herrschaftsanspruch und das Recht auf Macht demontieren. Ihre Suche nach einem guten, gerechten Leben, ihr Streben nach Lust und Mitgefühl sind Werte, die auch für uns hoch aktuell sind, wie Philipp Blom schreibt:
Diese Prämisse ist es, die unsere postchristliche Welt transformiert und humaner macht. Sie beruht nicht auf Rousseaus Ekel und Schuld und der daraus erwachsenden Hoffnung auf ein besseres Jenseits, sondern auf erotischem Begehren, Empathie und Solidarität. Aus dieser Einsicht entsteht das, was schon Epikur im antiken Griechenland lehrte: der ständige Versuch, die eigenen Leidenschaften zu verfeinern und zu lenken, anstatt sie zu verleugnen, das eigene Glück in dieser Welt zu finden, der eigenen Umwelt so wenig wie möglich zu schaden und so viel Gutes wie möglich zu schaffen.
Hoch aktuell aber ist auch die Zerrissenheit von Diderot, der sich nach Gott sehnt aber davon überzeugt ist, dass es ihn nicht gibt; der Lust leben will aber trotzdem nach einem guten Leben sucht; der weiß, dass der Mensch mit seinen Leidenschaften viel zu komplex ist, als dass die Welt allein aus der Vernunft heraus geregelt werden könne. Aktuell in einer Zeit, in der wir noch immer nach allgemeingültigen Normen suchen, die nicht in einer jenseitigen Instanz begründet sind. "Die bösen Philosophen" ist ein leichtfüßiges Buch, das unterhaltsam in die analytischen Tiefen der philosophischen Gedanken dringt. Sinnlich führt es durch Leben und Gedankengebäude jener Zeit und eröffnet eine Perspektive, wie lustvolles und gutes, humanes Leben miteinander in Einklang zu bringen sein könnten.
Cordula Echterhoff: Philipp Blom: Böse Philosophen. Ein Salon in Paris und das vergessene Erbe der Aufklärung. Hanser Verlag, 400 Seiten, 24,90 Euro
ISBN: 978-3-446-23648-6
Vor allem aber spielt sie in der Rue des Moulins Nummer zehn, im Salon des Baron d'Holbach. Der Salon ist Dreh- und Angelpunkt der Geschichte, die Philipp Blom in seinem Buch "Die bösen Philosophen" entwirft. Hier kommen Intellektuelle des 18. Jahrhunderts zusammen, um zu schlemmen, zu trinken und vor allem um offen zu diskutieren. Hier spielen sie mit Gedanken, die die Grundfesten des christlichen Denkens erschüttern sollten. Die "bösen Philosophen", das sind vor allem der Baron d'Holbach selbst und Denis Diderot, die Denker der radikalen Aufklärung. Sie propagieren den Atheismus und entwerfen einen radikalen Materialismus. Der Mensch - nur ein Geflecht von Ursache und Wirkung, von Lust gesteuert. Die Seele - nicht existent.
Für die europäische Ideengeschichte, in der christliches Gedankengut seit dem frühen Mittelalter die unbestrittene Vorrangstellung eingenommen hatte, waren die Diskussionen in der Rue Royale, die auch immer mehr internationale Gäste anzogen, ein absolutes Novum - ein Netzwerk des Unglaubens, das sich über ganz Europa auszubreiten begann. Die
Denkstrukturen der Vergangenheit wurden in intensiven Debatten bis auf die Grundfesten abgetragen. Nun war es an der Zeit, an ihrer Stelle etwas Neues zu errichten.
Im Gegensatz zu Diderot und Holbach bleiben die moderaten Aufklärer wie Voltaire und Rousseau im christlichen Denken verhaftet, so die These von Philipp Blom. Vor allem Rousseau operiere mit Kategorien von Schuld und Sühne, Entsagung und Leibfeindlichkeit, und baue ein quasi-religiöses Gedankengebäude auf, das die Erlösung ins Jenseits verlegt. Nur wer leidet, wird ein guter Mensch, so die Quintessenz. Denktraditionen, die uns auch heute noch prägen, so der Autor.
Dem entgegen stellt Blom die radikalen Aufklärer, die Lust statt Leid in den Mittelpunkt stellen und eine Moralvorstellung entwerfen, die allein auf diesseitigen Überlegungen basiert, jenseits von Kategorien wie Schuld und Verdammnis. Zum universellen Wert des Miteinanders wird bei ihnen das Mitgefühl, das die Menschen bei allem Streben nach der eigenen Lust, an das Wohlergehen aller denken lässt. Philipp Blom fasst die Ideen von Diderot in seinen Worten zusammen:
Unsere Leidenschaft treibt uns dazu, Lust zu suchen, aber das uns angeborene Mitgefühl lässt uns unsere eigene Furcht vor Schmerzen auf andere ausweiten. Das Gute und das Böse werden so zu festen Größen in unserem Selbstbewusstsein. Der Konflikt zwischen der egoistischen Suche nach Lust und unserer emotionalen Identifikation mit den Mitmenschen erlaubt es unserer Vernunft, Situationen abzuwägen, unser eigenes Verlangen als Teil eines größeren Ganzen zu begreifen und so die Waagschale des sozialen Verhaltens in diese oder jene Richtung zu kippen.
Aus den Schriften der radikalen Aufklärer meißelt Philipp Blom einen radikalen Humanismus heraus, der auf Solidarität mit dem andern beruht. Wie aber Lust, Mitgefühl und Vernunft zum Leitfaden des Miteinanders werden können, kann auch Diderot nicht beantworten. Seinem Ideal nähert er sich spielerisch, mit ironischen Brechungen, jenseits einer konkreten Systematik. Die Ideen von Lust und Genuss macht Philipp Blom zur Grundlage seines eigenen Schreibens. Statt eine trockene Philosophie- oder Ideengeschichte zu verfassen, entwirft er ein sinnliches Bild vom Leben und Denken im Paris des 18. Jahrhunderts. Die Ideen der Philosophen erklärt er aus ihrem Leben heraus. Die Biografien der Denker, ihre Amouren und Eigenheiten, Leidenschaften und Zerwürfnisse verdichtet er zu komplexen Bildern der Philosophen und bettet ihre Gedanken in die der Zeit. Es ist das Paris des alternden Sonnenkönigs Louis XIV., der nur noch für Etikette und Machterhalt lebt. Die Macht aber liegt in den Händen der katholischen Kirche. Das intellektuelle Leben ist einer strikten Zensur unterworfen und offener Austausch kann nur im Geheimen stattfinden.
Das war das Universum der Mietschreiber und anonymen Autoren, in dem Diderot jahrelang verkehrte. Wie andere auch brannte er darauf, sich einen Namen zu machen, und wie andere wird er sich etwas Geld verdient haben, indem er auch pornografische Geschichten oder anonyme politische Pamphlete gegen Kirche und König verfasste, die dann im Schutze der Nacht auf mobilen Druckerpressen produziert wurden, heimlich. [ ... ] Solche Literatur wurde von Kolporteuren "sous le manteau" verkauft, unter dem Mantel, ein Geschäft, das so riskant und lukrativ war wie der Handel mit harten Drogen heute.
In dieser Atmosphäre ist der Salon d'Holbach nicht nur für Diderot ein sinnliches Refugium, in dem frei diskutiert werden kann. Philipp Blom fächert die Ideen der Salon-Besucher auf und zeichnet die Strömungen nach, die in das Denken der radikalen Aufklärer fließen. Radikal sind sie in ihrem Atheismus wie in ihrer Gesellschaftsanalyse, in der sie jeden absoluten Herrschaftsanspruch und das Recht auf Macht demontieren. Ihre Suche nach einem guten, gerechten Leben, ihr Streben nach Lust und Mitgefühl sind Werte, die auch für uns hoch aktuell sind, wie Philipp Blom schreibt:
Diese Prämisse ist es, die unsere postchristliche Welt transformiert und humaner macht. Sie beruht nicht auf Rousseaus Ekel und Schuld und der daraus erwachsenden Hoffnung auf ein besseres Jenseits, sondern auf erotischem Begehren, Empathie und Solidarität. Aus dieser Einsicht entsteht das, was schon Epikur im antiken Griechenland lehrte: der ständige Versuch, die eigenen Leidenschaften zu verfeinern und zu lenken, anstatt sie zu verleugnen, das eigene Glück in dieser Welt zu finden, der eigenen Umwelt so wenig wie möglich zu schaden und so viel Gutes wie möglich zu schaffen.
Hoch aktuell aber ist auch die Zerrissenheit von Diderot, der sich nach Gott sehnt aber davon überzeugt ist, dass es ihn nicht gibt; der Lust leben will aber trotzdem nach einem guten Leben sucht; der weiß, dass der Mensch mit seinen Leidenschaften viel zu komplex ist, als dass die Welt allein aus der Vernunft heraus geregelt werden könne. Aktuell in einer Zeit, in der wir noch immer nach allgemeingültigen Normen suchen, die nicht in einer jenseitigen Instanz begründet sind. "Die bösen Philosophen" ist ein leichtfüßiges Buch, das unterhaltsam in die analytischen Tiefen der philosophischen Gedanken dringt. Sinnlich führt es durch Leben und Gedankengebäude jener Zeit und eröffnet eine Perspektive, wie lustvolles und gutes, humanes Leben miteinander in Einklang zu bringen sein könnten.
Cordula Echterhoff: Philipp Blom: Böse Philosophen. Ein Salon in Paris und das vergessene Erbe der Aufklärung. Hanser Verlag, 400 Seiten, 24,90 Euro
ISBN: 978-3-446-23648-6