22.000 Vollzeitstellen, inklusive Teilzeitstellen sogar 26.000 Jobs, stehen bei der angeschlagenen Lufthansa zur Disposition - die Hälfte davon in Deutschland. Zahlen, die zeigen, wie schwer die Coronakrise die Fluggesellschaft trifft. Der Flugbetrieb ruht fast vollständig. Um überleben zu können, ist die Fluggesellschaft auf staatlich Hilfe angewiesen. Die Bundesregierung hilft der Airline mit einem Rettungspaket im Umfang von neun Milliarden Euro, dem die Aktionäre aber noch zustimmen müssen.
Dafür sei eine "signifikante Senkung der Personalkosten" nötig, erklärte Lufthansa-Vorstandschef Carsten Spohr nach einem Treffen mit Gewerkschaftsvertretern. Betriebsbedingte Kündigungen will das Luftfahrtunternehmen durch Kurzarbeit und Krisenvereinbarungen aber nach eigenen Angaben möglichst vermeiden. Doch "ohne signifikante Senkung der Personalkosten während der Krise verpassen wir die Chance eines besseren Re-Starts und riskieren, dass die Lufthansa Group deutlich geschwächt aus der Krise hervorgeht", betonte Spohr. Der Luftfahrtexperte Heinrich Großbongardt teilt diese Einschätzung.
Der Obmann der Unionsfraktion im Wirtschaftsausschuss des Bundestags, Andreas Lämmel (CDU), verteidigte im Dlf-Interview die Staatshilfen. Er betonte, dass der Stellenabbau eine Entscheidung der Geschäftsführung sei und im Prinzip nichts mit der Staatshilfe zu tun habe.
Das Interview mit Heinrich Großbongardt in voller Länge:
Dirk Müller: Massenentlassungen – war Ihnen das von Anfang an klar?
Heinrich Großbongardt: Ja. Die Luftfahrtindustrie ist betroffen wie keine andere von der Coronakrise, von den Auswirkungen. Und wir dürfen nicht vergessen: Die Luftfahrt war in den vergangenen Jahren ein ganz, ganz starker Jobmotor, und jetzt geht es, so bitter das ist, in die andere Richtung.
"Schnell wieder in die Gewinnzone kommen"
Müller: Trotz der neun Milliarden, die die Steuerzahler aufbringen müssen, um Lufthansa zu retten?
Großbongardt: Trotz der neun Milliarden, denn die Lufthansa muss ein Teil des Geldes ja ohnehin zurückzahlen, großer Teil sind Kredite. Das heißt, die Lufthansa muss sehen, dass sie ganz schnell wieder in die Gewinnzone kommt. Sie kann sich ja nicht weiter Milliardenverluste leisten. Da ist die Reduzierung der Mitarbeiterzahl auf das, was dem tatsächlichen Flugbetrieb entspricht, natürlich ein ganz wichtiger Hebel.
Müller: Dann war das von Anfang an völlig naiv, unter anderem auch von der Opposition, es hat aber auch Kritik innerhalb der SPD gegeben, dass man bei den Verhandlungen mit der Lufthansa nicht definitiv darauf gedrängt hat, dass man beim Thema Stellenabbau mitreden möchte, wenn man schon beteiligt ist.
Großbongardt: Das war naiv, kann man vielleicht, muss man gar nicht so sehen. Denn es gibt ja einen direkten Zusammenhang zwischen, ich sage mal, dem, was geflogen wird, der Zahl der Flugzeuge, die in Betrieb sind, und der Zahl der Mitarbeiter, die man braucht. Wenn ich einen Airbus A320 aus dem Betrieb rausnehme, den nicht mehr brauche, den langfristig parke oder eine A380 zum Beispiel, da gehen mal gerade 80, 100, 120 Arbeitsplätze verloren, die direkt am Betrieb dieses Flugzeuges - Piloten, Flugbegleiter, Techniker - dranhängen.
Lufthansa reduziert Flotte um mehr als ein Viertel
Müller: Da fällt mir das Wort der Kanzlerin ein, wenn ich Ihnen genau zuhöre: Sie sagen, also dieser Schritt ist alternativlos, damit Lufthansa überlebt.
Großbongardt: Der Schritt ist alternativlos, damit Lufthansa überlebt. Wir werden in der nächsten Zeit, wenn der Flugbetrieb wieder losgeht, werden wir einen heftigen Preiskampf sehen in Europa. Die Billigfluggesellschaften, die anderen Airlines, werden natürlich sich um jeden Passagier reißen, den es da gibt. Das heißt, da lassen sich auch keine höheren Erträge durchsetzen, obwohl natürlich die Kosten steigen.
Müller: Wir hatten Zahlen gehört von Carsten Spohr, Chef der Lufthansa, von 6.000, 7.000, 8.000, 10.000 ist, glaube ich, so das Höchstgebot gewesen, jetzt 26.000, wenn die Zahl denn realisiert wird. Das sind Zahlen, die gestern Abend wohl bei einem Treffen mit den Gewerkschaften und dem Konzern gefallen sind. Also noch mal die Frage: alternativlos auch in dieser Höhe?
Großbongardt: Alternativlos also auch in dieser Höhe. Die Lufthansa wird ja 2022, nach dem, was der Konzern im Augenblick schätzt, 200 Flugzeuge weniger betreiben als heute. Das ist mehr als ein Viertel. Das wird Auswirkungen haben, das muss Auswirkungen haben, weil man ansonsten überhaupt nicht wettbewerbsfähig sein kann.
Müller: Geht das auch auf die Entscheidung der Europäischen Kommission zurück, die darauf bestanden hat, dass bestimmte Startrechte entzogen werden?
Großbongardt: Nein, überhaupt nicht. Das geht einfach darauf zurück, dass wir weniger fliegen werden, dass auch nach Schätzungen des Luftfahrtverbandes IATA frühestens 2023, Ende 2023, wir wieder auf dem Niveau sind, was die Zahl der Passagiere angeht, das wir vor der Coronakrise hatten.
"Erholung wird sehr langsam gehen"
Müller: Das ist für Sie ausgemachte Sache, dass im nächsten Jahr immer noch nicht alle fliegen, die sonst immer geflogen sind?
Großbongardt: Das ist ausgemachte Sache. Die Erholung wird sehr langsam gehen. Wir dürfen nicht vergessen, wir haben die Coronakrise in Europa leidlich im Griff, aber in vielen anderen großen Volkswirtschaften, in Russland, in den USA, in Brasilien, in Indien, in vielen anderen Gegenden ist man weit, weit davon entfernt, da eskaliert die Krise gerade noch teilweise. Das hat natürlich Auswirkungen auf das Reiseverhalten, das hat Auswirkungen auf die wirtschaftliche Tätigkeit. Das werden wir im Luftverkehr spüren.
Müller: Jetzt werden viele, Herr Großbongardt, vielleicht heute Morgen auch aufgehorcht haben beim Themenkomplex Lufthansa - wir haben ja auch schon darüber ausführlich berichtet, die Nachrichten haben das auch getan –, dass die Piloten der Lufthansa beispielsweise bis zu 45 Prozent verzichten wollen in ihrem Gehaltskanon, in ihrem Gehaltsniveau. Das ist ja eine erstaunlich hohe Zahl. Das bringt alles nichts?
Großbongardt: Nun, der Verzicht der Piloten bringt 350 Millionen Einsparungen pro Jahr, aber an einem Flugzeug hängen ungefähr 14, 15 Besatzungsmitglieder, 14, 15 Piloten dran. Wenn die Lufthansa 200 Flugzeuge stehen hat im übernächsten Jahr noch, dann kann man sich ausrechnen, wie viel Piloten rechnerisch über sind. Es geht ja darum für die Piloten, die ganz, ganz unmittelbar betroffen sind, die Arbeitsplätze zu sichern, ihre Lizenzen zu sichern, und damit die Fähigkeit zu sichern, überhaupt weiter arbeiten zu können in ihrem Beruf.
Müller: Ist das alles Corona-bedingt oder strukturell auch schon vorher dagewesen, die Problematik?
Großbongardt: Nein, das ist Corona-bedingt. Die Lufthansa hat gutes Geld verdient, sie war sehr wettbewerbsfähig. Das ist allein eine Folge der aktuellen Krise.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.