Bis nach Zentralasien reicht das Sendegebiet des US-amerikanischen Medienunternehmens "Radio Free Europe/Radio Liberty". Fünf landessprachliche Redaktionen betreibt der Sender hier. Dazu gehört auch der kasachische Dienst "Azattyq" – zu Deutsch "Freiheit".
Im autoritär geführten Kasachstan gelten die Berichte von "Azzatyq" als eine der wenigen Alternativen zu den streng kontrollierten staatlichen Medien, wie die kasachische Journalistin Asem Tokayeva erläutert:
"Für die Kasachen hatte 'Azattyq' immer eine wichtige Bedeutung: Das, was dort berichtet wird, ist das, was Washington denkt."
"Azzatyq", so meint das die Journalistin, gelte bei kritischen Kasachen als objektives, vertrauensvolles Medium. Tokayeva arbeitete von 2004 bis 2017 selbst für "Azzatyq". Sie hat miterlebt, wie die Qualität der eigenen Redaktion schleichend schlechter wurde. Weil sie die Missstände ansprach, musste sie schließlich gehen, sagt sie selbst.
Vorwürfe einer Insiderin
Tokayeva ist eine von wenigen kasachischen Journalisten, die schwere Vorwürfe gegen "Azzatyq" erheben. Die Redaktion folge längst nicht mehr den journalistischen Standards des Mutterhauses. Missliebige Mitarbeiter würden durch die Chefredaktion entlassen, Vorgesetzte stellten Freunde und Verwandte ein, würden von den eigenen Chefs gedeckt.
Asem Tokayeva: "Sie haben einen Umschwung bei der Art der Themensetzung und der Redaktionspolitik veranlasst. 'Radio Free Europe/Radio Liberty' hat eine hehre Mission – die glaubwürdige Berichterstattung über Ereignisse in Kasachstan ohne Zensur und mit kritischem Blick, auf Basis demokratischer Grundwerte. Aber diese Mission erfüllt 'Azattyk' schon seit 2010, 2011 nicht mehr. Sie haben die kasachische Redaktion zerstört."
Emotionalisierte Beiträge
Tatsächlich ist die Berichterstattung von Azzatyq bei vielen Themen zumindest fragwürdig. Als Mitte März der Langzeit-Präsident von Kasachstan, Nursultan Nasarbajew, nach 30 Jahren im Amt zurücktrat, berichtete "Azzatyq" mit einem emotionalen Stück aus dem Heimatdorf des Ex-Präsidenten. Die älteren Leute des Dorfes erzählen, dass sie die Nachricht des Rücktritts mit Tränen in den Augen aufgenommen hätten.
"Ich habe den ganzen Abend geweint. Wie auch nicht? Er ist unser Vater, das tut in der Seele weh."
Vom "Ersten Präsidenten" ist im Beitrag die Rede – so lässt sich Nasarbajew offiziell selbst nennen. Er habe mit dem Rücktritt eine richtige Entscheidung getroffen. Wortwahl und Duktus gleichen denen kasachischer Staatsmedien. Kritische Berichterstattung sieht anders aus.
Misstände sind der Zentrale bekannt
Zwei unveröffentlichte, interne Berichte von "Radio Free Europe/Radio Liberty", die dem Deutschlandfunk vorliegen, analysieren die Kontakte des Managements von "Azzatyq" bis in die politische Elite Kasachstans. Demnach werde "Azzatyq" von einem der mächtigsten Clans in Kasachstan instrumentalisiert. "Eine Gruppe regionaler Eliten", heißt es da, kontrolliere die Redaktion und verfolge eine eigene "religiöse und politische Agenda". Trotz der internen Berichte – Konsequenzen gab es für die Chefredaktion von Azzatyq bisher keine.
Joanna Levison, Direktor für Medien und Öffentlichkeitsarbeit bei Radio Free Europe / Radio Liberty in Prag, erklärt auf Nachfrage durch den Deutschlandfunk:
"Wir sind jederzeit bereit, Vorwürfe zu prüfen, und – wenn sie sich als wahr erweisen – strenge Maßnahmen zu ergreifen, um Probleme anzugehen und die Professionalität unserer journalistischen Arbeit zu sichern."
Das Senderbudget steht auf dem Spiel
Tatsächlich geprüft wird aber im Moment nicht. Die Gründe für die Zurückhaltung? Strafrechtliche Folgen für Einzelne sind das eine. Doch bei einem internationalen Skandal könnte der amerikanische Kongress, der "Radio Free Europe/Radio Liberty aus US-Steuergeldern finanziert, möglicherweise das Gesamtbudget in Frage stellen. Das, so scheint es, will das Top-Management des Senders unbedingt vermeiden.
Etwas scheint jetzt allerdings doch ins Rollen zu kommen. Abbas Djavadi, bisheriger Asien-Direktor von "Radio Free Europe/Radio Liberty" und damit auch verantwortlich für die kasachische Redaktion, ist seit wenigen Tagen im Ruhestand. Offiziell heißt es auf eigenen Wunsch. Tatsächlich aber, sind enge Mitarbeiter sicher, sei er gefeuert worden. Der Grund: unter anderem die Unregelmäßigkeiten bei "Azzatyq".