"Radio Glasnost - außer Kontrolle."
Was wie eine deutschsprachige Sendung von Radio Moskau klingen mag, ist tatsächlich Archivmaterial aus Zeiten, da Michail Gorbatschows Bemühen um Offenheit und Umbau - Glasnost und Perestroika - den Ostblock zum Schmelzen brachte:
"Einen wunderschönen guten Abend Friedrichshain und Friedrichsfelde, in Pankow und am Prenzlauer Berg und nicht zuletzt in Kreuzberg und Zehlendorf."
Mit "Radio Glasnost - außer Kontrolle" ging im Sommer 1987 in Berlin ein deutsches, ein deutsch-deutsches Radioprogramm auf Sendung:
"Wir begrüßen Euch zur ersten Sendung von Radio Glasnost. Es erwartet Euch heute eine Nachschau zum Kirchentag von unten, ein Interview mit dem Schriftsteller Jürgen Fuchs über seine Ausbürgerung aus der DDR vor genau zehn Jahren."
Von West-Berlin aus schickte ein kleines Team Kritisches und Verbotenes für Hörer in Ost-Berlin in den Äther - Material, das zuvor heimlich den umgekehrten Weg genommen hatte:
"Bevor wir mit den Beiträgen beginnen, zunächst ein paar Anmerkungen zu Radio Glasnost: Es ist der Versuch, aus der eigenen Suppenschüssel zu springen und zu schauen, was um uns herum noch so passiert. Hier können Bewegungen und kritische Diskussionen in ihrer Vielfalt reflektiert werden, ohne erhobenen West-Zeigefinger."
Zwischen 1987 und 1989 sprang die West-Berliner Moderatorin Ilona Marenbach vom privaten Sender Radio Einhundert einmal im Monat aus der eigenen Suppenschüssel. Knapp dreißig Mal kündigte sie eine einstündige Sendung an, in der eine wilde Mischung von in den Westen geschmuggelten Texten aus der Bürgerrechtsszene, der Kirchenopposition und der Umweltbewegung der DDR ausgestrahlt wurde.
Ulrike Poppe - seit den frühen 80er-Jahren Initiatorin und Protagonistin der Frauen- und Friedensbewegung der DDR und als Staatsfeindin allererster Güte verfolgt - liest das Geheimnis von Radio Glasnost schon aus seinem Namen ab: Offenheit wollte der Sender - ebenso wie die Samisdat-Schriften, die in der hermetisch abgeschlossenen DDR eine demokratische Gegenöffentlichkeit herstellen sollten.
"Einen eigenen Radiosender zu haben, das war noch einmal wieder eine ganz neue Qualität. Und als wir dann das erste Mal Radio Glasnost hörten und sich auch die Kunde verbreitete, dann und dann sendet Radio Glasnost, dann waren wir sehr gespannt und auch sehr stolz darauf, dass das gelungen ist."
"Das ging ja rum wie ein Buschfeuer, als Radio Glasnost anfing zu senden, und natürlich war es dann Ehrensache, keine Sendung zu verpassen","
... erinnert sich eine andere Oppositionelle, Vera Lengsfeld, heute Bundestagskandidatin der CDU, zuvor beim Bündnis90/die Grünen, in der DDR-Friedensbewegung und ursprünglich sogar einmal SED-Mitglied.
Zum Ende der 80er-Jahre zählte sie ebenso wie die Regisseurin Freya Klier nicht nur zu den Hörern von Radio Glasnost, vielmehr nutzten beide den Kreuzberger Sender aktiv als Sprachrohr.
""So ein Sängerlein wie ich zum Beispiel hab wie ein Dackel jahrelang gebellt. Bis das heikle Thema mit der Macht kam, da hab'n sie mich dann erst mal kaltgestellt."
"Die Verhaftung eines der bedeutendsten und sensibelsten Künstlers unseres Landes stellt für uns und für viele Menschen in der DDR ein erschütterndes Zeugnis dar, wie kritische und unbequeme Künstler kriminalisiert und damit endlich mundtot gemacht werden sollen. Wir fordern deshalb von der Regierung der DDR die sofortige Freilassung des Liedermachers von Stefan Krawczyk","
… so der Appell von Freya Klier im Januar 1988 nach der Verhaftung ihres Freundes, des Liedermachers Stefan Krawczyk. Radio Glasnost verbreitete heimlich erstellte Beiträge oder Mitschnitte emotional geführter Debatten aus den Kirchen, Erfahrungsberichte aus dem DDR-Alltag oder auch Interviews mit Dissidenten - gemischt mit punkrockiger Musik made in GDR - auch die bisweilen ohrenbetäubend laut und frech, wenngleich nicht immer in ganz einwandfreier Aufnahmequalität.
Entscheidend war, die richtigen Fragen aufzuwerfen, so wie der Liedertexter der verbotenen Renft Combo, Gerulf Pannach.
""Sehr geehrter Volksvertreter, bist du wirklich unser Mann. Wenn du loslegst vom Katheder, ist es, als legst du auf uns an."
Pannach in einer bereits 1976, vor seiner Ausbürgerung, entstandenen Kritik an den herrschenden Verhältnissen im SED-Staat, die Radio Glasnost gern noch einmal auflegte.
"Überholen, ohne einzuholen, das ist DDR-konkret. Idioten macht man zu Idolen, wenn sie loben, was besteht."
Radio Glasnost wollte nicht loben. Die Bürger in der - nach Günter Grass - kommoden Diktatur galt es aufzurütteln. Thematisch gab es keine Tabus - allenfalls blieb der Urheber einer These wie der zur Abtreibungspraxis im Realsozialismus anonym.
"Es wird den Frauen und Männern zu leicht gemacht. Sie gehen viel zu leichtsinnig damit um. Es gibt Frauen, die machen zwei, drei Schwangerschaftsabbrüche und gehen ins Krankenhaus, als ob sie irgendwo zur Kur fahren."
Derlei irritierte auch den links-alternativen Stammhörer von Radio 100 auf der Westseite der Mauer, erinnert sich der Redakteur Dieter Rulff.
"Mit der Zeit, wo wir dann länger sendeten und uns engagierten in den Kontroversen der Bürgerbewegungen mit der Staatsführung der DDR, gab es innerhalb der West-Linken, also auch von linken Kollegen innerhalb der Redaktion so Anmerkungen: Müssen wir so eine Sendung überhaupt haben? Können wir nicht etwas Attraktiveres da senden? Da gibt es doch bestimmt etwas, wo wir mehr Hörer, vor allen Dingen Hörer, die werberelevant sind, kriegen können. Die wenigsten konnten inhaltlich was anfangen. Das war halt irgendwie bürgerrechtlicher Friedenskirchenfunk."
Radio Glasnost berichtete über Verhaftungen, die verheerende Umweltverschmutzung oder die anschwellende Ausreisewelle - gesendet wurde, worüber offiziell der Mantel des Schweigens lag - hatte doch Erich Honecker die Parole ausgegeben:
"Den Sozialismus in seinem Lauf halten weder Ochs noch Esel auf."
"Guten Abend, die Lage ist unverändert, der Sozialismus ist in seinem Lauf einfach nicht zu bremsen. Die Ausreisewilligen offensichtlich auch nicht. Wir erst recht nicht."
Knapp 30 Mal ging Radio Glasnost auf der Frequenz des West-Berliner Hörfunkprojektes Radio Einhundert in den Äther und über die Mauer - und in die Geschichte ein als Versuch, der DDR-Opposition die Plattform zu geben, die ihr die greise SED-Spitze so hartnäckig verweigerte.
"Radio Hundert war ein Politikum. Es war der erst private Sender und dann noch ein sogenannter alternativer Sender aus der Szene, die doch mal andere Dinge probiert und nicht den herkömmliche Rundfunk nur gestaltet. Und in dieser Hinsicht war Radio Glasnost sozusagen ein Schmuckstück."
Von Roland Jahn ging die Initiative für das audiophone Schmuckstück der Andersdenkenden in der DDR aus. Sein Ziel: Pluralismus.
"Das war das Wichtige, dass wir uns schon als eine Redaktion verstanden haben, die sich nicht positioniert zu der und der Gruppierung. Die sich auch nicht positioniert, in der Frage, wie geht man mit den Leuten um, die die DDR verlassen wollen, bleiben oder gehen. Wir haben versucht, allen Seiten Gehör zu verschaffen."
Roland Jahn, Jahrgang 1953, stammt aus Jena und war unfreiwillig in den Westen abgeschoben worden. Mundtot machte die Staatsmacht ihn so nicht. Auch nach seiner Ausbürgerung erlahmte Roland Jahns Engagement wider das Regime keineswegs - und das war der Szene wohl bekannt, so Marion Seelig, heute für die Linke im Berliner Abgeordnetenhaus, damals SED-Kritikerin:
"Hab Roland Jahn immer geschätzt. Der hat ja eine sehr wichtige Rolle für die gesamte Opposition gespielt, als auch unser Lautsprecher und Verbindungsmann und derjenige, der uns mit Informationen und mit allem Möglichen versehen hat. Aber, ansonsten haben wir eben mit Aufnahmegeräten, die es bei uns gab, nicht legal auch Sendungen selber dann produziert."
"Also ich wusste nicht, wo sich der Sender befand, und ich wusste auch nicht, wer diesen Sender betreibt. Also man ging sehr konspirativ damit um, aber das, was kam, war ja von Ostdeutschen, also konnte man sich das nur so erklären, dass eben Tonbänder in den Westen geschmuggelt wurden, und von dort aus dann wieder ausgestrahlt. Das war ja die einzige Möglichkeit, um auch eine größere Menge von Menschen zu erreichen","
... so Ulrike Poppe. Als Journalist unterstützte Roland Jahn von West-Berlin aus nach Kräften die diversen Gruppen und Grüppchen der Opposition über die Mauer hinweg und initiierte den Radiosender, der Originalmaterial aus der Szene verbreiten half.
""Wie das immer so ist: Es müssen sich die richtigen Leute begegnen. Ich war in Kreuzberg und da traf ich Dieter Rulff, der Redakteur des neugegründeten Radio Einhundert war, und da war sofort klar, wir müssen auf Radio Einhundert was machen, was der DDR-Opposition eine Stimme gibt, die reinstrahlt nach Ost-Berlin."
Das leuchtete eben jenem Dieter Rulff ein: Radio Einhundert konnte einen Beitrag dazu leisten, das Monopol der Rotlichtbestrahlung des DDR-Rundfunks zu brechen und westliche Berichterstattung über den Arbeiter- und Bauernstaat zu ergänzen.
"Dann stellte sich das Problem, wie kriegen wir die Sendungen jeweils rüber. Das war klar, dass das keine fertig geschnittene Sendungen drüben waren, die dann rübergeschickt wurden, sondern das waren Manuskripte, mitgehörte Gespräche von anderen, die auf jeden Fall immer davon ausgingen, dass der Autor nicht erkennbar sein durfte. Und die wurden dann auf den diversen Wegen, die damals schon zur Verfügung standen, im Diplomatengepäck, in den Westen gebracht."
"Die richtig erste Sendung dann ging los im August 1987 - und da haben wir einfach versucht, das Material, was sozusagen in der Opposition da war, in den Westen zu kriegen über Kuriere, über akkreditierte Journalisten, über Diplomaten, über Bundestagsabgeordnete, die an der Grenze nicht kontrolliert werden."
Ahnten die Kuriere und Vermittler zwischen dem Sender und seinen Autoren, dass sie Schmuggelware im Gepäck von Ost nach West trugen?
"Ja, die wussten, was sie tun. Natürlich sollte da niemand gefährdet werden, sondern es war klar, das ist doch heiße Ware. Und die Leute wollten das aber auch. Sie wollten helfen, dass freie Information gewährleistet ist, auch zwischen Ost und West."
Das heimlich angelieferte Material, das Zoll, Zensur und Grenzkontrollen erfolgreich überwunden hatte, war technisch mitunter nicht eben einwandfrei - dafür aber war es authentisch. Mitunter stammte es sogar aus den Giftschränken der Staatsorgane.
"Im letzten Teil unseres Beitrages beschäftigen wir uns damit, wie die Kampfgruppenleiter in der Zentralschule Ernst Thälmann auf ihre Einsätze gegen die feindlichen Gruppen im Lande vorbereitet werden: 'Derzeit zeigt sich in der Gesellschaft, dass die offensive Auseinandersetzung mit aktiv feindlichen Kräften durch gesellschaftliche Kräfte einschließlich der SED-Mitglieder nicht ausreichend ist.'"
"Im Allgemeinen können sich zurzeit diese Kräfte von der Gesellschaft absondern, damit kommen sie dann oft vollständig unter den Einfluss der ideologischen Diversion. Ihre Standpunkte verhärten sich, sie entziehen sich der Erziehung durch die Gesellschaft. Daraus folgt:"
"Durch geduldige Einwirkung müssen erste Ansätze der Bildung von Zusammenschlüssen unterbunden werden."
"In Auszügen stellen wir nun einen Beschluss der Synode zur Ausbürgerungsproblematik vor, und befassen uns mit einem der vielen Themen, die dort besprochen wurden, mit Glasnost in der Sowjetunion."
Kein Wunder - das Zentralorgan der SED erregte sich mächtig über die subversiven Sendungen, die über die Mauer strahlten und nicht etwa aus der Feder kapitalistischer Schmierfinken stammten, sondern von Staatsbürgern der DDR verfasst worden waren. Das "Neue Deutschland" beschimpfte Radio Glasnost als Versuch, die Konterrevolution zu stärken - ohne Erfolg.
"Radio Glasnost - außer Kontrolle."
War das über Umwege gelieferte Material immer echt?
"Es wurde ja nicht der Journalismus außer Kraft gesetzt. Es wurde schon immer noch gesehen, dass die zweite Quelle da war. Das habe ich schon immer abgecheckt, weil ich wusste, dass natürlich auch Leute Interessen haben, hier falsche Informationen unter die Leute zu bringen, und damit auch die Opposition zu diskreditieren. Es ging hier drum, wirklich auch eine Glaubwürdigkeit herzustellen."
Ilona Marenbach als Moderatorin von Radio Glasnost aber fühlte sich am Mikrofon bisweilen den Texten und fremden Autoren ausgeliefert:
"Dass man mit dem unmittelbaren Gegenstand wenig persönlichen Kontakt hatte, das war das Schwierigste. Die Themen waren sehr häufig Themen, die nicht unmittelbar unsere waren. Und die Sprache war für mich am Anfang eine sehr große Hürde. Ich hatte Schwierigkeiten mit manchen Begriffen, mit manchen Sichtweisen und auch Schwierigkeiten, das so zu akzeptieren und stehenzulassen. Das war schwierig, dass ich in den Anmoderationen mich manchmal wirklich sehr gewunden habe. Ich glaube, das hört man auch."
Marenbach: "Das, was jetzt folgt, ist in der DDR selbst produziert worden. Es geht um den Skinheadprozess. Prozessbericht, Kommentar und das anschließende Hintergrundgespräch sind leider im technischen Sinne - und auch nur im technischen Sinne - von nicht so guter Qualität."
Lengsfeld: "Aus dem Prozess ging hervor, dass eine Gruppe von etwa 25 Jugendlichen, - Zitat - 'welche sich in Kleidung, Stiefel und Jacken und Haarschnitt als Gruppe zu erkennen gaben, die den in Westeuropa als Skinheads bezeichneten Gruppierungen gleichen', mit dem Vorsatz, die - Zitat - 'arbeitsscheuen dreckigen Punks aufzumischen'. Als die vier Angeklagten an der Zionskirche aus der Straßenbahn stiegen, schlugen sie brutal auf die dort stehenden Passanten ein. Der Bauarbeiter J., beileibe kein Punk oder besonders auffälliger Typ, wurde niedergestoßen und mit Fußtritten der eisenverstärkten Stiefel von mindestens zwei Skinheads getreten. Dabei versuchte er, sein Gesicht mit den Händen zu schützen. Schließlich griffen ihm zwei der Angreifer unter die Achsel, um seinen Kopf gegen einen Laternenpfahl zu schmettern. Danach sammelte sich die Gruppe, um gewaltsam in die Kirche einzutreten. Dabei riefen sie mehrmals ihren Schlachtruf Skinhead-Power Hoihoihoi und Sieg Heil, Juden raus aus deutschen Kirchen, Juda verrecke, ihr Kommunistenschweine, rote Sau, außerdem stimmten sie das Horst-Wessel-Lied an."
Vera Lengsfeld war die Autorin des Beitrags über den Überfall der Neonazis auf ein Punkkonzert an der Berlin Zionskirche.
"Aufgeschreckt durch dieses Ereignis habe ich angefangen zu recherchieren und das Ergebnis dieser Recherche dann in eine Sendung für Radio Glasnost verarbeitet und mir half ein ehemaliger Rundfunkmitarbeiter, von dem sich allerdings nach dem Mauerfall rausstellte, dass er inoffizieller Mitarbeiter der Staatssicherheit war. Und der zweite Mann, der mir dabei half, war auch inoffizieller Mitarbeiter der Staatssicherheit. Es wäre ein Leichtes für sie gewesen, Ihren Führungsoffizier zu benachrichtigen und man hätte die abfangen und ihnen die Kassette abnehmen können, aber sie kamen heil nach Westberlin und die Sendung ist ausgestrahlt worden. Meine Vermutung ist, sie waren auch so erschrocken über diese neonazistische Umtriebe, dass sie ein Interesse daran hatten, dass diese Sendung ausgestrahlt wird."
Angeblich sei nie ein Kurier geschnappt worden, aber selbstverständlich hatte das Ministerium für Staatssicherheit den Westberliner Feindsender Radio Glasnost fest im Visier.
In Auswertung der ersten Sendung von Radio Glasnost wird deutlich, dass durch die Organisatoren und Hintermänner der Sendung versucht wird, unter Nutzung eines legalen privaten Rundfunksenders sich massiv in die inneren Angelegenheiten der DDR einzumischen, spezielle Zielgruppen in der DDR zu inspirieren und zu organisieren und ein Sprachrohr für im Sinne politischer Untergrundtätigkeit in der DDR wirkender Kräfte zu schaffen.
Das konnte die Staatssicherheit nicht dulden - und so begannen die Funkspezialisten unter Mielkes Mannen ihren Kampf gegen die Konterrevolution: Störsender sollten installiert werden.
Da die Sendefrequenz international angemeldet und mit dem Ministerium für Post- und Fernmeldewesen koordiniert ist, ist eine technische Störung dieses Kanals nur möglich, wenn diese auf das Territorium der DDR begrenzt bleibt. Die gegenwärtigen technischen Potenzen lassen eine derartige Maßnahme nicht zu.
Radio Glasnost sendete unverdrossen weiter, bisweilen tatsächlich erheblich gestört - und dies trotz der offiziellen Proteste des Westberliner Senats durchaus nicht nur auf Hoheitsgebiet der DDR.
"Sie haben ja alles versucht. Sie haben ja wirklich versucht, hier Kuriere auszuschalten, Informationen zu fälschen. Sie haben versucht, technische Störungen herbeizuführen bei Tonbandgeräten. Sie haben versucht, den Sender zu stören. Aber am Ende haben wir uns durchgesetzt und das gab schon die Genugtuung. Wir waren besser als die Stasi","
... konstatiert Roland Jahn, der heimliche Spiritus Rector des Senders der freien Gedanken. Auch Ilona Marenbach als Moderatorin hat die Arbeit mit den bisweilen wirren Texten von drüben nicht unter Routine abgelegt.
""Die Sichtweise auf die DDR hat sich durch die Sendung komplett geändert. Also wir haben ja alle einen linken Hintergrund und irgend so eine diffuse Restsympathie gehabt für die DDR, weil es immer der Unterlegene, der 'kleinere deutsche Partner' - in Anführungszeichen - gewesen ist. Das ist komplett verschwunden durch die Sendung."
Die Sendung selbst ist übrigens auch verschwunden - entsprechend ihrer eigenen Logik, so Roland Jahn.
"Eins war klar: Mit dem Tag, als die Mauer fiel, hatte sich diese Sendung erübrigt. Wir haben die Sendung gemacht, um die Mauer zu überwinden. Und, als die Mauer fiel, war natürlich auch klar, dass der krönende Abschluss ist, dass von den wichtigsten Oppositionsgruppen die Vertreter im Studio bei Radio100 sitzen. Dass sie dann selber da sind und ihr Anliegen vermitteln können. Und wir haben auch das als einen großen Triumph gesehen. Die Opposition war plötzlich vor Ort im Radio Glasnost."
Und was bleibt von Radio Glasnost - außer 27 Stunden Mitschnitt im Robert-Havemann-Archiv in Berlin? Marion Seelig:
"Die Mehrheit hat weder Radio Einhundert noch Radio Glasnost gehört, aber einen eigenen Sender zu haben, wenigstens für einen kurzen Zeitraum, und den auch selber gestalten zu können, das war schon so ein kleiner Ausblick auf Freiheit. Ich fand den wichtig."
"Na prima, das war zu Abwechslung mal eine störungsfreie Glasnost-Sendung."
Was wie eine deutschsprachige Sendung von Radio Moskau klingen mag, ist tatsächlich Archivmaterial aus Zeiten, da Michail Gorbatschows Bemühen um Offenheit und Umbau - Glasnost und Perestroika - den Ostblock zum Schmelzen brachte:
"Einen wunderschönen guten Abend Friedrichshain und Friedrichsfelde, in Pankow und am Prenzlauer Berg und nicht zuletzt in Kreuzberg und Zehlendorf."
Mit "Radio Glasnost - außer Kontrolle" ging im Sommer 1987 in Berlin ein deutsches, ein deutsch-deutsches Radioprogramm auf Sendung:
"Wir begrüßen Euch zur ersten Sendung von Radio Glasnost. Es erwartet Euch heute eine Nachschau zum Kirchentag von unten, ein Interview mit dem Schriftsteller Jürgen Fuchs über seine Ausbürgerung aus der DDR vor genau zehn Jahren."
Von West-Berlin aus schickte ein kleines Team Kritisches und Verbotenes für Hörer in Ost-Berlin in den Äther - Material, das zuvor heimlich den umgekehrten Weg genommen hatte:
"Bevor wir mit den Beiträgen beginnen, zunächst ein paar Anmerkungen zu Radio Glasnost: Es ist der Versuch, aus der eigenen Suppenschüssel zu springen und zu schauen, was um uns herum noch so passiert. Hier können Bewegungen und kritische Diskussionen in ihrer Vielfalt reflektiert werden, ohne erhobenen West-Zeigefinger."
Zwischen 1987 und 1989 sprang die West-Berliner Moderatorin Ilona Marenbach vom privaten Sender Radio Einhundert einmal im Monat aus der eigenen Suppenschüssel. Knapp dreißig Mal kündigte sie eine einstündige Sendung an, in der eine wilde Mischung von in den Westen geschmuggelten Texten aus der Bürgerrechtsszene, der Kirchenopposition und der Umweltbewegung der DDR ausgestrahlt wurde.
Ulrike Poppe - seit den frühen 80er-Jahren Initiatorin und Protagonistin der Frauen- und Friedensbewegung der DDR und als Staatsfeindin allererster Güte verfolgt - liest das Geheimnis von Radio Glasnost schon aus seinem Namen ab: Offenheit wollte der Sender - ebenso wie die Samisdat-Schriften, die in der hermetisch abgeschlossenen DDR eine demokratische Gegenöffentlichkeit herstellen sollten.
"Einen eigenen Radiosender zu haben, das war noch einmal wieder eine ganz neue Qualität. Und als wir dann das erste Mal Radio Glasnost hörten und sich auch die Kunde verbreitete, dann und dann sendet Radio Glasnost, dann waren wir sehr gespannt und auch sehr stolz darauf, dass das gelungen ist."
"Das ging ja rum wie ein Buschfeuer, als Radio Glasnost anfing zu senden, und natürlich war es dann Ehrensache, keine Sendung zu verpassen","
... erinnert sich eine andere Oppositionelle, Vera Lengsfeld, heute Bundestagskandidatin der CDU, zuvor beim Bündnis90/die Grünen, in der DDR-Friedensbewegung und ursprünglich sogar einmal SED-Mitglied.
Zum Ende der 80er-Jahre zählte sie ebenso wie die Regisseurin Freya Klier nicht nur zu den Hörern von Radio Glasnost, vielmehr nutzten beide den Kreuzberger Sender aktiv als Sprachrohr.
""So ein Sängerlein wie ich zum Beispiel hab wie ein Dackel jahrelang gebellt. Bis das heikle Thema mit der Macht kam, da hab'n sie mich dann erst mal kaltgestellt."
"Die Verhaftung eines der bedeutendsten und sensibelsten Künstlers unseres Landes stellt für uns und für viele Menschen in der DDR ein erschütterndes Zeugnis dar, wie kritische und unbequeme Künstler kriminalisiert und damit endlich mundtot gemacht werden sollen. Wir fordern deshalb von der Regierung der DDR die sofortige Freilassung des Liedermachers von Stefan Krawczyk","
… so der Appell von Freya Klier im Januar 1988 nach der Verhaftung ihres Freundes, des Liedermachers Stefan Krawczyk. Radio Glasnost verbreitete heimlich erstellte Beiträge oder Mitschnitte emotional geführter Debatten aus den Kirchen, Erfahrungsberichte aus dem DDR-Alltag oder auch Interviews mit Dissidenten - gemischt mit punkrockiger Musik made in GDR - auch die bisweilen ohrenbetäubend laut und frech, wenngleich nicht immer in ganz einwandfreier Aufnahmequalität.
Entscheidend war, die richtigen Fragen aufzuwerfen, so wie der Liedertexter der verbotenen Renft Combo, Gerulf Pannach.
""Sehr geehrter Volksvertreter, bist du wirklich unser Mann. Wenn du loslegst vom Katheder, ist es, als legst du auf uns an."
Pannach in einer bereits 1976, vor seiner Ausbürgerung, entstandenen Kritik an den herrschenden Verhältnissen im SED-Staat, die Radio Glasnost gern noch einmal auflegte.
"Überholen, ohne einzuholen, das ist DDR-konkret. Idioten macht man zu Idolen, wenn sie loben, was besteht."
Radio Glasnost wollte nicht loben. Die Bürger in der - nach Günter Grass - kommoden Diktatur galt es aufzurütteln. Thematisch gab es keine Tabus - allenfalls blieb der Urheber einer These wie der zur Abtreibungspraxis im Realsozialismus anonym.
"Es wird den Frauen und Männern zu leicht gemacht. Sie gehen viel zu leichtsinnig damit um. Es gibt Frauen, die machen zwei, drei Schwangerschaftsabbrüche und gehen ins Krankenhaus, als ob sie irgendwo zur Kur fahren."
Derlei irritierte auch den links-alternativen Stammhörer von Radio 100 auf der Westseite der Mauer, erinnert sich der Redakteur Dieter Rulff.
"Mit der Zeit, wo wir dann länger sendeten und uns engagierten in den Kontroversen der Bürgerbewegungen mit der Staatsführung der DDR, gab es innerhalb der West-Linken, also auch von linken Kollegen innerhalb der Redaktion so Anmerkungen: Müssen wir so eine Sendung überhaupt haben? Können wir nicht etwas Attraktiveres da senden? Da gibt es doch bestimmt etwas, wo wir mehr Hörer, vor allen Dingen Hörer, die werberelevant sind, kriegen können. Die wenigsten konnten inhaltlich was anfangen. Das war halt irgendwie bürgerrechtlicher Friedenskirchenfunk."
Radio Glasnost berichtete über Verhaftungen, die verheerende Umweltverschmutzung oder die anschwellende Ausreisewelle - gesendet wurde, worüber offiziell der Mantel des Schweigens lag - hatte doch Erich Honecker die Parole ausgegeben:
"Den Sozialismus in seinem Lauf halten weder Ochs noch Esel auf."
"Guten Abend, die Lage ist unverändert, der Sozialismus ist in seinem Lauf einfach nicht zu bremsen. Die Ausreisewilligen offensichtlich auch nicht. Wir erst recht nicht."
Knapp 30 Mal ging Radio Glasnost auf der Frequenz des West-Berliner Hörfunkprojektes Radio Einhundert in den Äther und über die Mauer - und in die Geschichte ein als Versuch, der DDR-Opposition die Plattform zu geben, die ihr die greise SED-Spitze so hartnäckig verweigerte.
"Radio Hundert war ein Politikum. Es war der erst private Sender und dann noch ein sogenannter alternativer Sender aus der Szene, die doch mal andere Dinge probiert und nicht den herkömmliche Rundfunk nur gestaltet. Und in dieser Hinsicht war Radio Glasnost sozusagen ein Schmuckstück."
Von Roland Jahn ging die Initiative für das audiophone Schmuckstück der Andersdenkenden in der DDR aus. Sein Ziel: Pluralismus.
"Das war das Wichtige, dass wir uns schon als eine Redaktion verstanden haben, die sich nicht positioniert zu der und der Gruppierung. Die sich auch nicht positioniert, in der Frage, wie geht man mit den Leuten um, die die DDR verlassen wollen, bleiben oder gehen. Wir haben versucht, allen Seiten Gehör zu verschaffen."
Roland Jahn, Jahrgang 1953, stammt aus Jena und war unfreiwillig in den Westen abgeschoben worden. Mundtot machte die Staatsmacht ihn so nicht. Auch nach seiner Ausbürgerung erlahmte Roland Jahns Engagement wider das Regime keineswegs - und das war der Szene wohl bekannt, so Marion Seelig, heute für die Linke im Berliner Abgeordnetenhaus, damals SED-Kritikerin:
"Hab Roland Jahn immer geschätzt. Der hat ja eine sehr wichtige Rolle für die gesamte Opposition gespielt, als auch unser Lautsprecher und Verbindungsmann und derjenige, der uns mit Informationen und mit allem Möglichen versehen hat. Aber, ansonsten haben wir eben mit Aufnahmegeräten, die es bei uns gab, nicht legal auch Sendungen selber dann produziert."
"Also ich wusste nicht, wo sich der Sender befand, und ich wusste auch nicht, wer diesen Sender betreibt. Also man ging sehr konspirativ damit um, aber das, was kam, war ja von Ostdeutschen, also konnte man sich das nur so erklären, dass eben Tonbänder in den Westen geschmuggelt wurden, und von dort aus dann wieder ausgestrahlt. Das war ja die einzige Möglichkeit, um auch eine größere Menge von Menschen zu erreichen","
... so Ulrike Poppe. Als Journalist unterstützte Roland Jahn von West-Berlin aus nach Kräften die diversen Gruppen und Grüppchen der Opposition über die Mauer hinweg und initiierte den Radiosender, der Originalmaterial aus der Szene verbreiten half.
""Wie das immer so ist: Es müssen sich die richtigen Leute begegnen. Ich war in Kreuzberg und da traf ich Dieter Rulff, der Redakteur des neugegründeten Radio Einhundert war, und da war sofort klar, wir müssen auf Radio Einhundert was machen, was der DDR-Opposition eine Stimme gibt, die reinstrahlt nach Ost-Berlin."
Das leuchtete eben jenem Dieter Rulff ein: Radio Einhundert konnte einen Beitrag dazu leisten, das Monopol der Rotlichtbestrahlung des DDR-Rundfunks zu brechen und westliche Berichterstattung über den Arbeiter- und Bauernstaat zu ergänzen.
"Dann stellte sich das Problem, wie kriegen wir die Sendungen jeweils rüber. Das war klar, dass das keine fertig geschnittene Sendungen drüben waren, die dann rübergeschickt wurden, sondern das waren Manuskripte, mitgehörte Gespräche von anderen, die auf jeden Fall immer davon ausgingen, dass der Autor nicht erkennbar sein durfte. Und die wurden dann auf den diversen Wegen, die damals schon zur Verfügung standen, im Diplomatengepäck, in den Westen gebracht."
"Die richtig erste Sendung dann ging los im August 1987 - und da haben wir einfach versucht, das Material, was sozusagen in der Opposition da war, in den Westen zu kriegen über Kuriere, über akkreditierte Journalisten, über Diplomaten, über Bundestagsabgeordnete, die an der Grenze nicht kontrolliert werden."
Ahnten die Kuriere und Vermittler zwischen dem Sender und seinen Autoren, dass sie Schmuggelware im Gepäck von Ost nach West trugen?
"Ja, die wussten, was sie tun. Natürlich sollte da niemand gefährdet werden, sondern es war klar, das ist doch heiße Ware. Und die Leute wollten das aber auch. Sie wollten helfen, dass freie Information gewährleistet ist, auch zwischen Ost und West."
Das heimlich angelieferte Material, das Zoll, Zensur und Grenzkontrollen erfolgreich überwunden hatte, war technisch mitunter nicht eben einwandfrei - dafür aber war es authentisch. Mitunter stammte es sogar aus den Giftschränken der Staatsorgane.
"Im letzten Teil unseres Beitrages beschäftigen wir uns damit, wie die Kampfgruppenleiter in der Zentralschule Ernst Thälmann auf ihre Einsätze gegen die feindlichen Gruppen im Lande vorbereitet werden: 'Derzeit zeigt sich in der Gesellschaft, dass die offensive Auseinandersetzung mit aktiv feindlichen Kräften durch gesellschaftliche Kräfte einschließlich der SED-Mitglieder nicht ausreichend ist.'"
"Im Allgemeinen können sich zurzeit diese Kräfte von der Gesellschaft absondern, damit kommen sie dann oft vollständig unter den Einfluss der ideologischen Diversion. Ihre Standpunkte verhärten sich, sie entziehen sich der Erziehung durch die Gesellschaft. Daraus folgt:"
"Durch geduldige Einwirkung müssen erste Ansätze der Bildung von Zusammenschlüssen unterbunden werden."
"In Auszügen stellen wir nun einen Beschluss der Synode zur Ausbürgerungsproblematik vor, und befassen uns mit einem der vielen Themen, die dort besprochen wurden, mit Glasnost in der Sowjetunion."
Kein Wunder - das Zentralorgan der SED erregte sich mächtig über die subversiven Sendungen, die über die Mauer strahlten und nicht etwa aus der Feder kapitalistischer Schmierfinken stammten, sondern von Staatsbürgern der DDR verfasst worden waren. Das "Neue Deutschland" beschimpfte Radio Glasnost als Versuch, die Konterrevolution zu stärken - ohne Erfolg.
"Radio Glasnost - außer Kontrolle."
War das über Umwege gelieferte Material immer echt?
"Es wurde ja nicht der Journalismus außer Kraft gesetzt. Es wurde schon immer noch gesehen, dass die zweite Quelle da war. Das habe ich schon immer abgecheckt, weil ich wusste, dass natürlich auch Leute Interessen haben, hier falsche Informationen unter die Leute zu bringen, und damit auch die Opposition zu diskreditieren. Es ging hier drum, wirklich auch eine Glaubwürdigkeit herzustellen."
Ilona Marenbach als Moderatorin von Radio Glasnost aber fühlte sich am Mikrofon bisweilen den Texten und fremden Autoren ausgeliefert:
"Dass man mit dem unmittelbaren Gegenstand wenig persönlichen Kontakt hatte, das war das Schwierigste. Die Themen waren sehr häufig Themen, die nicht unmittelbar unsere waren. Und die Sprache war für mich am Anfang eine sehr große Hürde. Ich hatte Schwierigkeiten mit manchen Begriffen, mit manchen Sichtweisen und auch Schwierigkeiten, das so zu akzeptieren und stehenzulassen. Das war schwierig, dass ich in den Anmoderationen mich manchmal wirklich sehr gewunden habe. Ich glaube, das hört man auch."
Marenbach: "Das, was jetzt folgt, ist in der DDR selbst produziert worden. Es geht um den Skinheadprozess. Prozessbericht, Kommentar und das anschließende Hintergrundgespräch sind leider im technischen Sinne - und auch nur im technischen Sinne - von nicht so guter Qualität."
Lengsfeld: "Aus dem Prozess ging hervor, dass eine Gruppe von etwa 25 Jugendlichen, - Zitat - 'welche sich in Kleidung, Stiefel und Jacken und Haarschnitt als Gruppe zu erkennen gaben, die den in Westeuropa als Skinheads bezeichneten Gruppierungen gleichen', mit dem Vorsatz, die - Zitat - 'arbeitsscheuen dreckigen Punks aufzumischen'. Als die vier Angeklagten an der Zionskirche aus der Straßenbahn stiegen, schlugen sie brutal auf die dort stehenden Passanten ein. Der Bauarbeiter J., beileibe kein Punk oder besonders auffälliger Typ, wurde niedergestoßen und mit Fußtritten der eisenverstärkten Stiefel von mindestens zwei Skinheads getreten. Dabei versuchte er, sein Gesicht mit den Händen zu schützen. Schließlich griffen ihm zwei der Angreifer unter die Achsel, um seinen Kopf gegen einen Laternenpfahl zu schmettern. Danach sammelte sich die Gruppe, um gewaltsam in die Kirche einzutreten. Dabei riefen sie mehrmals ihren Schlachtruf Skinhead-Power Hoihoihoi und Sieg Heil, Juden raus aus deutschen Kirchen, Juda verrecke, ihr Kommunistenschweine, rote Sau, außerdem stimmten sie das Horst-Wessel-Lied an."
Vera Lengsfeld war die Autorin des Beitrags über den Überfall der Neonazis auf ein Punkkonzert an der Berlin Zionskirche.
"Aufgeschreckt durch dieses Ereignis habe ich angefangen zu recherchieren und das Ergebnis dieser Recherche dann in eine Sendung für Radio Glasnost verarbeitet und mir half ein ehemaliger Rundfunkmitarbeiter, von dem sich allerdings nach dem Mauerfall rausstellte, dass er inoffizieller Mitarbeiter der Staatssicherheit war. Und der zweite Mann, der mir dabei half, war auch inoffizieller Mitarbeiter der Staatssicherheit. Es wäre ein Leichtes für sie gewesen, Ihren Führungsoffizier zu benachrichtigen und man hätte die abfangen und ihnen die Kassette abnehmen können, aber sie kamen heil nach Westberlin und die Sendung ist ausgestrahlt worden. Meine Vermutung ist, sie waren auch so erschrocken über diese neonazistische Umtriebe, dass sie ein Interesse daran hatten, dass diese Sendung ausgestrahlt wird."
Angeblich sei nie ein Kurier geschnappt worden, aber selbstverständlich hatte das Ministerium für Staatssicherheit den Westberliner Feindsender Radio Glasnost fest im Visier.
In Auswertung der ersten Sendung von Radio Glasnost wird deutlich, dass durch die Organisatoren und Hintermänner der Sendung versucht wird, unter Nutzung eines legalen privaten Rundfunksenders sich massiv in die inneren Angelegenheiten der DDR einzumischen, spezielle Zielgruppen in der DDR zu inspirieren und zu organisieren und ein Sprachrohr für im Sinne politischer Untergrundtätigkeit in der DDR wirkender Kräfte zu schaffen.
Das konnte die Staatssicherheit nicht dulden - und so begannen die Funkspezialisten unter Mielkes Mannen ihren Kampf gegen die Konterrevolution: Störsender sollten installiert werden.
Da die Sendefrequenz international angemeldet und mit dem Ministerium für Post- und Fernmeldewesen koordiniert ist, ist eine technische Störung dieses Kanals nur möglich, wenn diese auf das Territorium der DDR begrenzt bleibt. Die gegenwärtigen technischen Potenzen lassen eine derartige Maßnahme nicht zu.
Radio Glasnost sendete unverdrossen weiter, bisweilen tatsächlich erheblich gestört - und dies trotz der offiziellen Proteste des Westberliner Senats durchaus nicht nur auf Hoheitsgebiet der DDR.
"Sie haben ja alles versucht. Sie haben ja wirklich versucht, hier Kuriere auszuschalten, Informationen zu fälschen. Sie haben versucht, technische Störungen herbeizuführen bei Tonbandgeräten. Sie haben versucht, den Sender zu stören. Aber am Ende haben wir uns durchgesetzt und das gab schon die Genugtuung. Wir waren besser als die Stasi","
... konstatiert Roland Jahn, der heimliche Spiritus Rector des Senders der freien Gedanken. Auch Ilona Marenbach als Moderatorin hat die Arbeit mit den bisweilen wirren Texten von drüben nicht unter Routine abgelegt.
""Die Sichtweise auf die DDR hat sich durch die Sendung komplett geändert. Also wir haben ja alle einen linken Hintergrund und irgend so eine diffuse Restsympathie gehabt für die DDR, weil es immer der Unterlegene, der 'kleinere deutsche Partner' - in Anführungszeichen - gewesen ist. Das ist komplett verschwunden durch die Sendung."
Die Sendung selbst ist übrigens auch verschwunden - entsprechend ihrer eigenen Logik, so Roland Jahn.
"Eins war klar: Mit dem Tag, als die Mauer fiel, hatte sich diese Sendung erübrigt. Wir haben die Sendung gemacht, um die Mauer zu überwinden. Und, als die Mauer fiel, war natürlich auch klar, dass der krönende Abschluss ist, dass von den wichtigsten Oppositionsgruppen die Vertreter im Studio bei Radio100 sitzen. Dass sie dann selber da sind und ihr Anliegen vermitteln können. Und wir haben auch das als einen großen Triumph gesehen. Die Opposition war plötzlich vor Ort im Radio Glasnost."
Und was bleibt von Radio Glasnost - außer 27 Stunden Mitschnitt im Robert-Havemann-Archiv in Berlin? Marion Seelig:
"Die Mehrheit hat weder Radio Einhundert noch Radio Glasnost gehört, aber einen eigenen Sender zu haben, wenigstens für einen kurzen Zeitraum, und den auch selber gestalten zu können, das war schon so ein kleiner Ausblick auf Freiheit. Ich fand den wichtig."
"Na prima, das war zu Abwechslung mal eine störungsfreie Glasnost-Sendung."