Vor drei Jahren machte der WDR überregional Schlagzeilen. Der Sender hatte entschieden, auf vier seiner insgesamt sechs Radiowellen die selben Nachrichten anzubieten. Das Problem: Diese Nachrichten wurden bereits eine Minute vor der vollen Stunde aufgezeichnet und erst mit einer sogenannten Timeshift-Funktion wenig später in den verschiedenen Wellen ausgestrahlt. Der WDR wies damals Kritik an der neuen (und bis heute bestehenden) Praxis zurück. Man sende seine Nachrichten weiterhin live, hieß es aus der Pressestelle.
Der Medienjournalist Stefan Niggemeier warnte damals bei Übermedien vor den Folgen. So könne es passieren, dass es manches aktuelle Ereignis nicht mehr in die Sendung schaffe. Niggemeier fragte deshalb am Ende seiner Analyse: "Was ist Glaubwürdigkeit schon gegen eine schöne, perfekte, falsche Fassade?"
"Quasi live"?
Dass im Radio der Eindruck von "live" entsteht, obwohl in Wirklichkeit aufgezeichnet wurde, passiert immer wieder. Doch wie damit umgegangen werden sollte, darüber herrscht in der Branche Uneinigkeit. Am Eindrücklichsten zeigt das das Beispiel des vorproduzierten Interviews.
"Moderatoren-Gespräche werden häufig aufgezeichnet und dann zeitversetzt gesendet", heißt es im Buch "Radio-Journalismus" (8. Ausgabe) von Walther von La Roche und Axel Buchholz. Das Lehrbuch gilt als eine Art Standardwerk für Radiomacher. Ein solches Interviews sei dann "quasi live". Und weiter schreiben die Autoren: "Meist weist der Moderator nicht gesondert darauf hin, dass ein Interview vorher aufgezeichnet wurde. Die Hörer gehen davon aus, dass die Interviews vom Moderator live geführt werden."
Gängige Praxis
Das vorproduzierte Interview als übliche Arbeitsweise ohne Hinweis auf "nicht live"? Tatsächlich halten es viele Redaktionen so, private wie auch öffentlich-rechtliche. Beispielsweise sind innerhalb der ARD "Drei Fragen und drei Antworten" üblich. Das ist ein Format, das vor allem Auslands-Korrespondenten in besonderen "Breaking"-Situationen entlasten soll.
Auch Inlands-Korrespondenten greifen inzwischen darauf zurück und bieten den Sendern vorproduzierte Antworten auf wesentliche Fragen rund um ein Ereignis an. Wie die Redaktionen dieses Angebot nutzen, entscheiden sie selbst. Eine Möglichkeit ist die, den Eindruck eines Live-Gesprächs zu erwecken – eine Vorgehen, das einige Kollegen unsauber finden.
Hörern fällt es auf
So warnt "Fair Radio", eine ehrenamtliche Initiative von privaten und öffentlich-rechtlichen Radiomachern, dass Journalisten so Glaubwürdigkeit und das Vertrauen der Hörer verspielen könnten. Live zu senden sei "die Stärke des Hörfunks", findet "Fair Radio" auf seiner Webseite: "Kein anders Medium kommt seinen Nutzern so nahe wie der 'Echtzeit-Begleiter' Radio. Eben deshalb wird diese Authentizität so gerne vorgetäuscht. Aber gerade dadurch zerstört man sie."
Und tatsächlich reagieren manche Nutzer empfindlich auf das Thema. In einer Mail an @mediasres kritisierte ein Hörer, in vielen Sendungen erfolge der Hinweis der Moderatoren auf eine Aufzeichnung nur am Rande und in manchen überhaupt nicht. Seine Forderung: "Die Hörer*innen sollten grundsätzlich von vorneherein darüber informiert werden, ob es sich um ein Live-Interview handelt oder eben nicht. Hier fängt für mich Glaubwürdigkeit an. Wehret den Anfängen!"