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Radio "Özgürüz"
Aus Berlin für die Türkei senden

Die Türkei ist für kritische Journalisten ein schwieriges Pflaster. Can Dündar, einer der bekanntesten oppositionellen Journalisten, wird seit Jahren strafrechtlich verfolgt. Er arbeitet mittlerweile im deutschen Exil und betreibt das türkische Nachrichtenportal „Özgürüz“. Nun ist das Portal mit einem eigenen Webradio an den Start gegangen.

Von Kemal Hür |
Die Internetseite des Internetradios "Özgürüz", im Hintergrund fliegen Möwen und eine Hand streckt sich nach den Vögeln.
Das Internetradio "Özgürüz", auf deutsch: "Wir sind frei" (ozguruz19.org)
In einem seiner aktuellen Kommentare erinnert Can Dündar seine Hörer an das Flüchtlingsabkommen zwischen der EU und der Türkei vor drei Jahren. Der von der türkischen Regierung verfolgte Exil-Journalist kritisiert darin Kanzlerin Merkel und die EU, sich von Erdoğan erpressen zu lassen. Erdoğan habe gedroht, die Millionen syrischer Flüchtlinge in seinem Land nach Europa durchzulassen. Dafür habe die EU Erdoğan Finanzhilfen und Visafreiheit für Türken versprochen. Den Preis für seine Despotie würden hunderttausende Oppositionelle in türkischen Gefängnissen zahlen, sagt Dündar. Solch klare Kritik ist in der Türkei heute nicht möglich. Can Dündar kommentiert in seinem neuen Internetradio, das er in Berlin betreibt. Er möchte von hier aus über die Türkei berichten – und die Menschen in der Türkei erreichen.
Türkische Politik aus der deutschen Hauptstadt
"Wir haben gemerkt, dass die Menschen nicht lesen und es deswegen schwierig ist, sie mit Texten zu erreichen. Fernsehen hingegen ist sehr teuer. Deswegen wollten wir der Türkei mit einem Radioprogramm eine Stimme geben. Die Medienlandschaft verändert sich aktuell stark, Zeitungen sterben, aber das Radio bleibt ein starkes Medium. In der Türkei wird im Radio zwar hauptsächlich Musik gespielt. Aber wir wollen es wie in Deutschland als Informationsquelle nutzen. Mit diesem Anliegen haben wir uns auf den Weg gemacht."

Das Programm ist sehr neu. Nutzerzahlen sind noch nicht bekannt. Aber der 58-jährige Chefredakteur Dündar betreibt seit Januar 2017 in Berlin das türkische Nachrichtenportal "Özgürüz", zu deutsch: "Wir sind frei". Als Medienprofi weiß er, dass es wichtig ist, ein Radioprogramm von Anfang an rund um die Uhr zu betreiben. Der Wortanteil beträgt zunächst noch etwa 30 Prozent. Zu jeder vollen Stunde gibt es aktuelle Nachrichten. Zuständig dafür ist die in der Türkei bekannte Fernsehjournalistin Zübeyde Sarı, die das Land wie ihr Kollege Dündar aus politischen Gründen verlassen musste. Insgesamt arbeiten 10 Programmgestalter bei "Özgürüz" mit, die meisten von ihnen leben in der Türkei und steuern Koch-, Kunst-, Frauen- und Wissenschaftssendungen bei. Die politische Berichterstattung kommt aus Berlin, Tabubrüche inklusive.
Kurdische und armenische Musiksendung
"Wir werden eine kurdische und eine armenische Musiksendung haben. Das können wir in der Türkei nicht machen. Aber hier wollen wir zum Beispiel jesidische Musik spielen, die in Vergessenheit geraten ist. Wir wollen den Menschen kurdische Musik vorstellen, die sie jahrzehntelang in der Türkei mit türkischen Texten gehört und für türkische Musik gehalten haben. Jetzt sollen sie das Original kennenlernen. Armenische Musik wollen wir auch mit den Originaltexten senden."
Dündars Exilradio hat ein deutsches Vorbild. Als im September 1980 das türkische Militär zum dritten Mal gegen eine zivile Regierung putschte und die Macht ergriff, gab es keine unabhängigen Informationen in der Türkei. Dündar erinnert sich, wie er mit Familie und Freunden das türkischsprachige Programm des WDR hörte. Die Sendung aus Köln wurde für die damals so genannten Gastarbeiter produziert.
Vorbild ist türkischsprachiges Programm des WDR
"Ich erinnere mich an das Rauschen, wenn wir die türkischen Programme aus Köln oder von BBC hörten. An einem ähnlichen Punkt befinden wir uns auch heute. Die Menschen brauchen Informationen, haben aber keinen Zugang dazu. Wie sollen sich die Menschen informieren? Das Land braucht Journalisten, die die Zustände so beschreiben, wie sie real sind. Kollegen, die das konnten, sind entweder im Gefängnis, oder sie sind arbeitslos oder angeklagt. Es herrscht ein Klima der Angst. Wir versuchen, von hier aus die entstandene Informationslücke zu schließen. Wenn wir die Menschen in der Türkei erreichen und ihnen sagen können, wir berichten von hier aus frei und unabhängig, können wir vielleicht das schaffen, was 1980 das Kölner Programm schaffte."
Dündar ist einer der populärsten türkischen Journalisten. Auf Twitter folgen ihm 4,7 Millionen Menschen. Eine Zielgruppe von Anhängern und Gegnern. Und ein großes Potential an Hörern für ein junges Exilradio.