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Radiolexikon: Babyspeck

Hat ein erwachsener Mensch sprichwörtlich zu viel auf den Rippen, gilt das erwiesenermaßen als Gesundheitsrisiko. Bei Babys hingegen wird der Speck oft als lebenswichtige Notwendigkeit gedeutet. Doch im Idealfall sollten auch Babys erst einmal schlank zur Welt kommen.

Von Justin Westhoff |
    "Rund und gesund": So stellen sich Viele bis heute das glückliche Baby vor. Der "Wonneproppen" – ein naturgewollter Idealfall?

    "Ne, das sieht nur ein bisschen nett aus, das ist das Babyschema; Sie wissen das von Konrad Lorenz, runder Kopf, und der Körper spielt dann schon gar nicht mehr die Rolle; und die Puttenbabys – in Gottes Namen, die hat man für Weihnachten gerne, aber das ist ja nicht der Normalfall."

    Scheint es aber wieder zu werden, trotz unseres sonstigen Schönheits- und Schlankheitsideals. Zwar bewirkt das "Kindchenschema" Verhaltensforscher Lorenz zufolge Fürsorge für die eigene Brut und trägt so zur Arterhaltung bei. Aber wie rund ist gesund? Geburtsmediziner wie Professor Klaus Vetter vom Vivantes-Klinikum in Berlin beklagen, dass seit Jahren immer mehr Kinder übergewichtig zur Welt kommen. Ein Hauptgrund:

    "Die Schwangeren sind in den letzten Jahren um Einiges älter geworden, das heißt, alles das, was sie sich mit Messer und Gabel angetan haben, liegt eben herum, das Kind lebt von den Reserven der Mutter und das Kind kann nicht sagen: Nein Danke!"

    Übergewichtige Frauen können zudem während der Schwangerschaft eine vorübergehende Zuckerkrankheit entwickeln, die rechtzeitig erkannt und behandelt werden muss – sonst ist das Risiko groß, dass der Nachwuchs selbst an Diabetes leiden wird. In jedem Fall bedeutet Übergewicht des Feten schon im Mutterleib auch Übergröße. Dadurch kommt es oft zu einer – im Sinne des Wortes – schweren Geburt. Für das Kind selbst ist die schlimmste Folge eine vorgeburtliche Fehlprogrammierung:

    "Hier werden durch die Stoffwechselprozesse, die eben nicht normal sind, Dinge gebahnt fürs weitere Leben, das heißt, die Übergewichtigen haben eine Belastung, mit der sie nachher nur umgehen können, wenn sie strikt sich an Lebensregeln halten, wir wissen einfach, dass das Risiko, früher zu sterben, größer ist als wenn man normalgewichtig geboren wird."

    Denn die kleinen Moppel-Ichs neigen dann im Verlauf des Lebens neben Diabetes zu Herz-Kreislauf-Störungen und weiteren Krankheiten.
    Ein gesundes Baby kommt erst einmal schlank zur Welt. Anders ist es in den Wochen danach, sagt die Kinderärztin und Stoffwechselexpertin Dr. Susanna Wiegand:

    "Dass Säuglinge nach der Geburt erst einmal relativ kräftig an Gewicht zunehmen und "propper" werden, das macht auch Sinn, weil sie natürlich damit nicht so anfällig sind, wenn sie die ersten Infekte bekommen, wenn sie mal über einen etwas längeren Zeitraum nichts zu Essen oder zu Trinken bekommen."

    Ohnehin ist der Speck beim Baby anderes als das weiße, überschüssige Fett bei Erwachsenen.

    "Neugeborene kommen auf die Welt mit einem Reservoir an braunem Fettgewebe, das ist was sehr spezielles, das ist nämlich nicht dazu da, Energie zu speichern, sondern das kann in kurzer Zeit verbrannt werden und dann direkt in Wärme umgesetzt werden. Das ist für Neugeborene etwas, was sie bedroht, dass sie eben nicht genug körpereigene Wärme produzieren können und ihre Körpertemperatur halten können."

    Dieser "echte", sinnvolle Babyspeck verschwindet nicht restlos, sondern bleibt vor allem bei schlanken Menschen in geringem Umfang erhalten. Amerikanische Wissenschaftler hoffen nun sogar auf eine neue Behandlungsmethode für erwachsene Übergewichtige, indem das braune Fettgewebe stimuliert wird. Für ein Neugeborenes jedenfalls heißt es, zwar zuzunehmen, aber nicht übermäßig. Der Geburtsmediziner nennt die beste Methode:

    "Am einfachsten haben es die Kinder, die gestillt werden. Denn es ist ganz schwer, mit Formula-Nahrung das richtige Maß zu finden."

    Sprich: Mit Flaschenmilch und ersten Babybreis wird oft zu viel gefüttert, und das Kind wird rasch zu dick. Hingegen verschwindet der normale Babyspeck in der Regel von alleine.

    "Wenn die Kinder anfangen zu laufen, also im zweiten Lebensjahr, dann werden sie auch normalerweise schlanker, dann geht der Babyspeck durch mehr Bewegen weg, dann ist er auch nicht mehr so notwendig, und erst ab Beginn der Grundschulzeit nimmt dann der Körperfett-Anteil wieder zu, bis er dann am Ende der Pubertät etwa Erwachsenenwert erreicht."

    Allerdings weiß Susanna Wiegand als Leiterin der Übergewichts-Sprechstunde an der Kinderklinik der Charité auch:

    "Der Trend geht ja über die Nahrungsmittelindustrie zu stark gesüßten sogenannten Kinderlebensmitteln, da sehen wir bei manchen Eltern einen großen Informationsbedarf, dass eben Kinder ab dem zweiten Lebensjahr viele Geschmackseindrücke kennen lernen und da nicht nur süße Kinderlebensmittel erhalten."

    An allen Ecken und Kanten werden Kinder mit Werbung zu süßer und fettreicher Ernährung konfrontiert. Die Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin will am liebsten ein Verbot von Fernseh-Werbung im Umfeld von Kindersendungen, eine Forderung, die zuletzt die Partei "Die Grünen" aufgegriffen hat.

    Von Babyspeck ist dann am Ende der Kinderjahre nochmals die Rede, nämlich bei etwas moppeligen Mädchen auf dem Weg zum Erwachsenwerden, die sich mit Gewichtsfragen häufiger herumschlagen als Jungen in diesem Alter. Dr. Susanna Wiegand:

    "Das ist ein physiologischer Unterschied, der ist auch wieder sinnvoll, wenn man daran denkt, dass eben Frauen später Kinder kriegen möglicherweise. Was nicht physiologisch ist, dass im Moment es immer mehr übergewichtige Mädchen gibt auf der einen Seite, aber auch mehr untergewichtige bis anorektische Mädchen. So dass viele Mädchen schon sehr früh in ein Dauer-Diätverhalten kommen, es kann dazu führen, dass sie eben übergewichtig werden oder aber auch untergewichtig werden. Und das ist besonders problematisch, weil das zu diesem Zeitpunkt die eigentlich intakte Appetitregulation nachhaltig stört."

    So ist die Pubertät die zweite Lebensphase, in der die Gefahr, für immer Überwicht mit sich herumzuschleppen, besonders hoch sein kann. Schon während der Kindheit wird werden problematische Verhaltensweisen geprägt.

    "So der Klassiker ist: Es gibt kein Essen in der Schule, die Kinder, Jugendlichen kommen dann nachmittags nach Hause, snacken sozusagen um sich herum, also diese Bereiche kann man ja schon mal abfragen und da möglicherweise bei Eltern, die auch die Ressourcen haben, das zu verändern, schon zu einem früheren Zeitpunkt auch eingreifen."

    Neugeborene beiden Geschlechts, dann junge Mädchen – und schließlich gibt es noch einen dritten Zusammenhang, bei dem – nicht ganz korrekt – von Babyspeck gesprochen wird: bei Müttern in den Wochen nach der Niederkunft. Prof. Klaus Vetter:

    "Das geht nicht immer gleich von alleine zurück, kann aber. Stillen nimmt schon einiges an Energie weg, wenn sie sich jetzt nicht für zwei oder drei ernähren; Manches an Gewicht ist auch Wasser; eine Reduktion auf den Normalzustand ist nicht unüblich, und manche Frauen landen ja auch unter dem Gewicht, das sie als Ausgangswert hatten, weil sie zum Beispiel das Wochenbett stresst."

    Oder aber berufliche oder modische Zwänge, etwa, wenn Heidi Klum zwei Wochen nach der Geburt Ihrer Babys den mütterlichen Speck los sein will, um gleich wieder Unterwäsche vorführen zu können.