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Radiolexikon: Bauchschmerzen

"Ich habe Bauchschmerzen." Ein Satz, den jede Mutter, jeder Vater und jede Kindergärtnerin kennt und der, obwohl medizinisch wenig präzise, ernst zu nehmen ist. Mehr als 200 Diagnosen lassen sich mit Bauchschmerzen in Verbindung bringen.

Von Mirko Smiljanic |
    Später Abend, irgendwo in Deutschland, ein Baby schreit. Alter: zwölf Wochen. Diagnose: Drei-Monats-Koliken. Die Situation des Kindes: schlecht - es leidet sichtlich unter Schmerzen; die Situation der Mutter: ebenfalls schlecht - regelmäßiger Schlaf ist seit Wochen kaum noch möglich.

    "Er hat abends um zehn angefangen und hat so zwischen Mitternacht und ein Uhr aufgehört, wir haben ihn auf- und abgetragen, er hat geschrieen, man merkte schon durch das Erröten des Kopfes, er hatte Schmerzen, und es waren eindeutig diese Koliken halt, das ist aber normal, wurde uns gesagt","

    erzählt Renate Sowa aus Bergisch-Gladbach über das erste Bauchweh ihres Sohnes. Natürlich haben sie und ihr Mann alles getan, um die Blähungen in den Griff zu bekommen: kein hektisches Füttern, nach dem Trinken ein Bäuerchen machen lassen - wirklich geholfen hat das aber nicht.

    ""Wir sind eigentlich nur mit ihm auf- und abgegangen und haben zugesehen, dass er warm gehalten wurde. Wenn wir den Eindruck hatten, dass er blähen musste, wie man das bei Babys halt macht, dann gab es Gymnastik, uns wurden so Übungen gezeigt, die Beine kreuzen, das Kind hinlegen, mit dem Unterleib so ein bisschen kreisen, damit die Winde etwas besser entweichen können, das hat mal geklappt, mal auch nicht, das war tagesverfassungsabhängig."

    Häufig hat es nicht geklappt, weshalb Renate Sowa irgendwann genervt zum Kinderarzt ging, wo sie zwei Dinge erfuhr: dass erstens die Probleme ihres Sohnes kein Einzelfall sind; und zweitens Bauchweh bei Kindern - nicht nur Drei Monats-Koliken! - sehr, sehr häufig vorkommen.

    "Das Tückische ist ganz einfach, dass sehr häufig der Bauch als Zentrum des Körpers gesehen wird, dass dorthin Schmerzen projiziert werden, die eigentlich ganz woanders sind. Das können sein die Lungenentzündung, die Mittelohrentzündung, und was Kinder in bestimmten Altersstufen sagen, ist: 'Mama, ich habe Bauchschmerzen.'""

    Ein Satz, den der Kölner Kinderarzt Jürgen Krebber täglich hört - und der doch immer wieder etwas anderes bedeuten kann. Bauchschmerzen haben schon deshalb viele Ursachen, weil es im Bauchraum viele Organe gibt. Der Magen- und Darmtrakt, Nieren und Blase, die Galle, Zwerchfell, der untere Lungenbereich, bei Mädchen Eierstöcke und Gebärmutter. Grundsätzlich gilt zudem: Je jünger - also kleiner - das Kind, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass es Schmerzen im Bauch wahrnimmt, die mit dem Bauchraum selbst nichts zu tun haben. Für den Kinderarzt bedeutet das: Bei Bauchschmerzen wird immer das ganze Kind untersucht.

    "Wenn man sich die riesengroße Liste von möglichen Ursachen anguckt, es gibt über 200 Krankheiten, die mit Bauchschmerzen einhergehen können, dann ist ganz klar, das Kind muss komplett untersucht werden. Als Faustregel kann man sagen, je weiter die Schmerzen vom Nabel entfernt angegeben werden, desto wahrscheinlicher ist, dass es tatsächlich eine organische Ursache gibt. Oft werden die Schmerzen genau ins Zentrum, also auf den Bauchnabel projiziert, und je weiter sie von dort entfernt angegeben werden, desto wahrscheinlicher ist eine organische Ursache."

    Drei Fragen müssen Mediziner bei Bauchschmerzen beantworten. Erstens: Wo genau treten die Schmerzen auf? Zweitens: Welchen Charakter haben die Schmerzen? Sind sie anhaltend, stechend, kolikartig? Ein schmerzverzerrtes Gesicht, blasse Hautfarbe und Angst sind immer Anzeichen für eine ernste Ursache. Und drittens: Gibt es einen zeitlichen Zusammenhang bei den Bauchschmerzen? Treten sie etwa beim Atmen auf, ist eine Lungenentzündung wahrscheinlich, Bauchschmerzen beim Stuhlgang deuten auf eine Darmentzündung hin.

    "Wie hört sich der Bauch an bei der Auskultation, also die Darmgeräusche? Sind sie eher gesteigert wie bei der Magen-Darm-Infektion? Oder sind sie eher ruhig, was ein Alarmzeichen wäre? Ist der Bauch weich oder generalisierte beziehungsweise an irgendeiner Stelle gespannt? Das ist sicherlich auch das Alter, wo Hilfsuntersuchungen notwendig sind, gerade bei Kindern sicherlich der Ultraschall, wo man sich die Organe und den ganzen Bauchraum inklusive Darm mal anschauen kann. Man kann Blutuntersuchungen machen und auf jeden Fall eine Urinuntersuchung, um eine Harnwegsinfektionen als Ursache der Bauchschmerzen auszuschließen."

    Bauchschmerzen lassen sich in somatische und viszerale Schmerzen einteilen. Somatische Schmerzen sind brennend, schneidend, gleichmäßig intensiv und gut lokalisierbar. Es sind Schmerzen, die von Haut, Muskeln, Gelenken, Knochen oder dem Bindegewebe ausgehen. Viszerale Schmerzen dagegen sind dumpf, bohrend, krampfartig und diffus. Ihre Ursachen sind Reizungen von Nerven der inneren Organhaut, etwa bei Magen-Darm-Infekten, Entzündungen der Gallenblase, Bauchspeicheldrüse aber auch der unteren und oberen Harnwege.

    "Untere Harnwege heißt Blasenentzündung, gerade ein Mädchen, muss man sagen, es gibt kaum ein Kind, das nicht mindestens eine Harnwegsinfektion durchmacht. Die Symptome sind bekannt, brennen, häufiges Wasserlassen, Kinder die schon trocken sind, nässen sekundär wieder ein. Ganz anders die Situation bei einer Infektion der oberen Harnwege, sprich Nierenbeckenentzündung, Nierenentzündung, das geht immer mit Fieber einher, mit Schmerzen, das ist ein Krankheitsbild, bei dem die Kinder auch allgemein beeinträchtigt sind, man sieht den Kindern an, dass sie krank sind."

    Die Art des Schmerzes bestimmt das Verhalten der Patienten: Bei somatischen Schmerzen legen sie sich freiwillig ins Bett. Sie nehmen eine Schonhaltung ein, weil jede Bewegung den Schmerz verstärkt. Die Bauchdecke ist häufig gespannt, Berührungen werden als unangenehm empfunden. Bei viszeralem Schmerz sieht es ganz anders aus: Ruhe verstärkt eher das Schmerzempfinden, Umhergehen und leichtes Massieren des Bauches wirkt lindernd. Weil viszerale Schmerzen das vegetative Nervensystem aktivieren, treten häufig Symptome wie Übelkeit, Schwitzen, Unruhe oder Erbrechen auf.

    "Wo jeder natürlich sehr viel Respekt vor hat, ist die Blinddarmentzündung, bei Mädchen muss man natürlich auch denken an eine Schwangerschaft, an gynäkologische Probleme, also das Spektrum ist riesengroß. Allergien sind unglaublich auf dem Vormarsch, zum Beispiel Nahrungsmittelallergien, die natürlich dann mit entsprechenden Beschwerden im Bauchraum einhergehen können, und jeder Kinderarzt muss eine gewisse Systematik haben, um diese Fülle von möglichen Ursachen einmal durchzuchecken."

    Und er muss noch etwas anderes bedenken: Schmerzen werden nicht nur von außen in den Bauchraum projiziert, manche Bauchschmerzen strahlen selbst aus. Bei einer Gallenkolik zum Beispiel schmerzt mitunter die rechte Schulter. Unabhängig vom Arzt, müssen aber vor allem die Eltern ein waches Auge auf ihre Kinder werfen. Was weh tut und welche Gefahr von den Schmerzen ausgeht, entscheiden zunächst einmal sie!

    "Die Eltern sind diejenigen, die ihr Kind am besten kennen und die Entscheidung, ist das Kind wirklich krank, macht es einen wirklich kranken Eindruck, ist eine ganz, ganz wichtige. Und in dem Moment, in dem ein Kind vielleicht auch häufiger an dem im Zusammenhang mit Schule zum Beispiel über Bauchschmerzen geklagt, aber ansonsten einen gesunden Eindruck macht, in dem Moment wo keine Alarmzeichen vorliegen, wie zum Beispiel Erbrechen oder eine krankhafte Stuhlkonsistenz, wenn die Kinder nachts wegen Bauchschmerzen wach werden, auch das würde ich als Alarmzeichen ansehen, wenn all diese Dinge nicht vorliegen, denke ich, kann man eher noch abwarten, in allen anderen Fällen sollte man den Arzt konsultieren."

    Was Renate Sowa mit ihrem unter Koliken leidenden Sohn gemacht hat. Wirklich genutzt hat es wenig, der eine leidet unter Blähungen, der andere nicht.

    "Luft im Darm zerrt an den Darmwänden, und das kann extrem weh tun, die möglichen Therapien, muss man leider sagen, sind begrenzt, da muss jedes Kind mehr oder weniger durch."

    So wie fast jedes Kind durch eine weitere Form des Bauchwehs durch muss: Psychischer Stress - sei es in der Schule, mit Freunden oder wie bei Renate Sowa mit den abends ausgehenden Eltern - äußert sich häufig in Bauchschmerzen.

    "Das Schlimmste, was passieren konnte, war, dass meine Eltern weggehen wollten. In aller Regel sind sie nur ins Nachbarhaus zu Freunden gegangen, sie waren also für mich erreichbar, ich brauchte nur zum Nebeneingang gehen, aber ich war in solchen Situationen jedes Mal so belastet, dass ich mit Bauchschmerzen reagiert habe. An solchen Abenden habe ich krampfhafte Bauchschmerzen bekommen, ich hatte sie auch tatsächlich, mir ist unterstellt worden, ich hätte sie nicht, aber ich hatte sie wirklich, aber es war ganz klar mit dieser Sache in Verbindung zu bringen, da kann man eigentlich recht wenig helfen."