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Radiolexikon Gesundheit
Anaphylaxie

Die Anaphylaxie ist die bedrohlichste Form einer Allergie - ausgelöst durch Wespenstiche, Penicillin oder Erdnüsse. Die schwerste Ausprägung der Anaphylaxie wiederum ist der Schock. Betroffene und ihr Umfeld sollten gut auf den Fall einer akuten allergischen Reaktion vorbereitet sein.

Von Justin Westhoff |
    Medikamente zur Behandlung von Allergien liegen auf einem Tisch: Fastjekt, Fenistil, Loratadin und Celstamine
    Medikamente zur Behandlung von Allergien gibt es viele - für den Fall eines anaphylaktischen Schocks gibt es besondere Notfallsets (picture alliance / Frank Rumpenhorst)
    Der kleine Mateo ist allergisch gegen verschiedene Stoffe. Ganz schlimm wird es, wenn er versehentlich etwas in den Mund steckt und schluckt, das Hühnereiweiß enthält. Dann droht dem Kind innerhalb von Minuten ein anaphylaktischer Schock, erzählt seine Mutter auf der Internetseite des Deutschen Allergie- und Asthmabundes:
    "Das äußert sich in Form von Unwohlsein, Schreien, er kratzt sich am Hals, er kratzt sich am Körper, er bekommt so einen Fließschnupfen, relativ schnell auch einen abgehackten Husten, der obstruktiv wird. Und dann ist die Atemnot, und die nächste Stufe davon ist die Bewusstlosigkeit. Als Mutter hat man das Gefühl, da wird auf einmal der Boden unter den Füßen weggezogen, es geht da um Leben und Tod."
    "Die extreme Situation des Schocks ist sehr selten"
    Der Begriff "Anaphylaxie" bedeutet so viel wie Schutzlosigkeit. Es ist die bedrohlichste Form einer Allergie, und deren schwerste Ausprägung wiederum ist der Schock.
    "Ein anaphylaktischer Schock ist gekennzeichnet durch ein Herzkreislauf-Versagen, entweder durch einen Atem- oder Herzstillstand. Ausgelöst wird der Schock durch eine in sehr kurzer Zeit auftretende Freisetzung von Botenstoffen aus den Mastzellen im ganzen Körper, die dann dazu führen, dass die Blutgefäße weitgestellt werden und dann eben diese Schockreaktion auftritt", sagt die Professorin Margitta Worm, Allergologin an der Berliner Charité:
    "Die extreme Situation des Schocks ist glücklicherweise sehr selten. Was man häufiger sieht als anaphylaktische Reaktionen sind zum Beispiel Quaddeln am ganzen Körper mit gleichzeitig Luftnot oder Schwindel oder auch mal Kreislaufkollaps."
    Insektengifte, Medikamente, Nüsse
    Die meisten Allergien sind zwar unangenehm und lästig, aber nicht lebensbedrohlich. Gefährliche Anaphylaxien bis zum Schock werden durch einige spezielle Allergene ausgelöst. Professor Torsten Zuberbier, Leiter der europäischen Stiftung für Allergieforschung, zählt auf:
    "Die häufigsten sind die Insektengifte, Biene und Wespe, Medikamente wie Penicillin, aber auch Lebensmittel und hier insbesondere Erdnuss und Baumnüsse wie Haselnuss."
    Auch Arzneimittel wie Penicillin oder einige gängige Schmerzmittel können übrigens zu schweren allergischen Reaktionen führen. Dazu gehört eine der Anaphylaxie in gewisser Weise vergleichbare Krankheit, die Agranulozytose. Hierbei werden bestimmte weiße Blutkörperchen extrem vermindert. Die allergische Agranulozytose kommt nicht sehr häufig vor, verläuft aber unbehandelt äußerst schwerwiegend. Bekannt geworden ist sie in den 80er-Jahren zum Beispiel durch das Schmerzmittel Metamizol.
    Allergische Reaktion erst beim zweiten Mal
    Allerdings gilt bei einer Medikamentenallergie: Das erste Mal wird es vertragen, aber bei der zweiten Gabe gibt es ein Problem. Oder: Es kann nicht sein, dass jemand das allererste Mal von einer Wespe gestochen wird und sofort eine allergische Reaktion hat.
    Das ist wohl bei allen Allergien so. Wenn es sich aber um eine gefährliche Form handelt, muss man in jedem Fall darum wissen. Bei entsprechenden Anzeichen ist ein Test unabdingbar. Bekannt ist auch, dass es eine genetische Disposition für Allergien gibt. Und Menschen mit insgesamt höherer Allergiebereitschaft sind besonders Anaphylaxie-gefährdet. Die Forschung weiß jedoch auch noch nicht alles, räumt Professor Margitta Worm ein, Leiterin des deutschen Anaphylaxie-Registers:
    "Warum kleinste Mengen auch die Reaktion auslösen können, bestimmte Nahrungsmittel, zum Beispiel Erdnuss, wissen wir eigentlich noch nicht ganz genau. Wir wissen, das sind sogenannte Speicherproteine, und wahrscheinlich hängt das damit zusammen, wie stark der Organismus damit konfrontiert wurde. Wahrscheinlich können bei Kindern zum Beispiel Nahrungsmittelallergien begünstigt werden durch eine entzündete Haut."
    Tatsächlich verläuft die Anaphylaxie bei Neurodermitikern häufiger schwer.
    Notfallset rettet Leben
    Selbstverständlich versuchen Betroffene, gefährliche Stoffe zu meiden. Aber wenn dritte Personen nichts davon wissen, kann es für Menschen mit Anaphylaxie fatal ausgehen, sagt Professor Susanne Lau, Kinder-Allergologin von der Charité:
    "Das Kind bekommt in der Kita einen Kuchen angeboten, weil ein Kind Geburtstag hat, und diese Mutter wusste leider nicht, dass es sich um ein Handelnuss- oder Erdnuss-allergisches Kind handelt, und in dem Kuchen ist da nun leider ein bisschen Haselnuss oder Erdnuss - und bumms passiert eine Reaktion."
    Wenn jemand aber gut informiert ist, wie etwa die Eltern betroffener Kinder, rettet der Notfallset Leben. Darin enthalten ist zunächst ein Antihistaminikum.
    "Wir geben dann Salbutamol, das ist so ein Notfall-Asthmaspray, und dann zum Schluss wird der Adrenalin-Autoinjektor in den Oberschenkel injiziert, mit einem großen Druck auf für zehn Sekunden, und – ja – das ist sehr emotional."
    Patienten und Angehörige schulen
    Schätzungsweise sterben in Deutschland pro Jahr 200 Menschen am Anaphylaktischen Schock, und etwa einer von 10.000 Menschen hat eine Neigung zu Anaphylaxien. Laut einer amerikanischen Studie scheinen sie zuzunehmen, auch bei Erwachsenen. Die alles überragende Botschaft aber lautet: Man kann etwas tun.
    "Das wichtigste Stichwort ist Ruhe bewahren, wobei das natürlich schwer ist, und wenn man mit Patienten einmal gesprochen hat, die so eine schwere Reaktion hatten, dann weiß man, dass diese Angst, dieses Erlebnis sehr, sehr prägend ist", weiß Professor Margitta Worm.
    Zuallererst sollte der Notruf 112 angerufen werden, sofort danach muss man das Notfall-Set benutzen, das jeder mit einer gefährlichen Allergie von der Kasse verschrieben bekommt. Das Set besteht aus einem Antihistaminikum, Kortikoiden und dem Adrenalin-Injektor. Und wenn die Nothilfe-Packung richtig eingesetzt wird, ist der anaphylaktische Schock meist genauso schnell vorbei, wie er gekommen ist.
    "Das setzt aber auch voraus, dass man es immer bei sich trägt, da arbeiten wir mit den Patienten immer noch dran. Und dann ist es auch wichtig, nicht nur dass Patienten selbst, sondern auch Angehörige oder bei Kindern natürlich auch die Eltern geschult werden, um eben dann in der Situation auch entsprechend rasch reagieren zu können."
    Da es noch keine ursächlich wirkende Therapie gibt, wird seit 2018 erprobt, ob eine Art Hypersensibilisierung, ähnlich wie bei Heuschnupfen, etwas bringen kann. Erste Ergebnisse bei der schlimmen Erdnussallergie sind Erfolg versprechend, allerdings nur bei Kindern und Jugendlichen.