"Ergon", aus dem Griechischen, bedeutet "Tätigkeit, Arbeit", deshalb ist zum Beispiel die Übungsküche ein wichtiger Therapieraum, sagt Katharina Wendland, leitende Ergotherapeutin in der Psychiatrischen Klinik der Charité, Campus Benjamin Franklin.
"Es geht darum, Menschen die Möglichkeit zu geben, sich als tätiger Mensch zu erleben - in einem positiven Sinne. Backen ist in der Regel sehr beliebt, weil hier einmal in der Woche eine große Kaffeetafel stattfindet für jede der Stationen, auf denen dann der selbst gebackene Kuchen verzehrt werden kann."
Die „Beschäftigungs"- oder „Arbeitstherapie" wurde schon Anfang des 20. Jahrhunderts in den USA entwickelt und bald auch in Deutschland für psychisch Kranke eingesetzt, nach dem 2. Weltkrieg vor allem für körperlich und seelisch verletzte Soldaten. Doch sie hatte einen Ruf, der die Therapeuten mächtig geärgert hat, erzählt Ulrike Ott, Dozentin für Ergotherapie an der Wannseeschule in Berlin:
"Vielleicht kennen Sie ja auch so diesen Ausspruch, wenn jemand nichts Gescheites zu tun hat, dass man sagt, man möchte ihn 'beschäftigen', oder man benutzt sogar das Schimpfwort 'Beschäftigungstherapie'. Und deshalb ist man weggekommen von dem Begriff."
Seit 1999 heißt sie nun "Ergotherapie", ist ein anerkanntes Heilmittel und wird ärztlich verordnet für Patienten jeden Alters: für Kinder mit Entwicklungsstörungen ebenso wie für demenzkranke Senioren; für Menschen mit körperlichen Beeinträchtigungen nach einem Unfall oder durch Krankheit wie Schlaganfall, Parkinson oder Rheuma, ebenso wie für diejenigen mit geistiger Behinderung oder psychischen Erkrankungen.
Die Grundidee ist nach wie vor, dass Gesundheit auch davon abhängt, ob Menschen aktiv, tätig sein können. Aber es geht in der modernen Ergotherapie nicht mehr nur darum, sie zu "beschäftigen", vielmehr gibt es ganz individuelle und alltagspraktische Behandlungspläne, "weil letzten Endes ausschlaggebend der einzelne Patient als Person ist mit seinem Lebenshintergrund, mit seinen Vorerfahrungen und seinen Interessen."
Ergotherapie findet ambulant oder stationär, in Gruppen oder einzeln statt, und es gibt vielfältige therapeutische Methoden. Das Handwerkliche spielt dabei immer noch eine wichtige Rolle, nicht nur, um die Beweglichkeit der Hände, Feinmotorik und Koordination zu trainieren, sagt Ulrike Ott.
"Zur Verstärkung seines Selbstwertgefühles kann zum Beispiel Handwerk sehr sinnvoll sein, weil man da eben Schritt für Schritt genau sieht, was man geschafft hat, die Kompetenz wahrnimmt, die man erlangt hat und auch ganz viel Anerkennung von außen bekommt."
Keramik- und Holzarbeiten, Korbflechten oder Malerei aller Art – diese handwerklich-kreativen Mittel werden aber auch eingesetzt, damit Patienten ihre Gefühle, Bedürfnisse und Wünsche ausdrücken können.
"Das ist natürlich besonders in der Psychiatrie der Fall, aber man könnte sich vorstellen, zum Beispiel ein Patient, der einen Schlaganfall hatte oder eine Querschnittlähmung, wo erstmal so im Vordergrund steht „o Gott, jetzt habe ich eine ganz schwere Erkrankung", und wo man noch gar nicht so mit Übungen beginnen kann, weil man erstmal die Krankheit verarbeiten muss."
Beim Schlaganfall und anderen neurologischen Erkrankungen wie Multiple Sklerose oder Demenz üben die Ergotherapeuten mit den Patienten ganz lebenspraktische Tätigkeiten:
Beim Schlaganfall und anderen neurologischen Erkrankungen wie Multiple Sklerose oder Demenz üben die Ergotherapeuten mit den Patienten ganz lebenspraktische Tätigkeiten:
"Man könnte zum Beispiel Anziehen oder Zähneputzen oder Dinge, die er tagtäglich macht, in die Behandlung integrieren, oder das Frühstücken, man könnte aber auch Biografiearbeit machen, indem man diese Erinnerung mobilisiert."
Diese "Erinnerungsarbeit" geschieht in Gruppensitzungen, wo Demenzkranke über jeweils ein Thema, einen Lebensabschnitt, sprechen. Das trainiert nicht nur Gedächtnis und Konzentration, sondern hat auch noch weitere therapeutische Effekte:
"Dass man plötzlich diese Lebensleistung, die man mal erbracht hat, wieder spürt und denkt „o ja, ich bin ja zur Schule gegangen, ich habe ja viele Dinge gelernt und gemacht, oder hinterher im Berufsleben oder als Mutter oder Vater", und durch dieses Erinnern daran kommt dann auch so ein Stück dieses alten Selbstwertgefühls wieder hoch und man kann stolz sein auf seine Lebensleistung."
Gruppenarbeit ist in der Ergotherapie besonders wichtig, weil "soziale Interaktion" Menschen befähigt, besser im Alltag zurecht zu kommen. In der Psychiatrie der Charité geschieht das beispielsweise über die gemeinsame Arbeit in einer klinikeigenen Werkstatt oder Wäscherei, im Garten oder in der Übungsküche. Das Einkaufen und Kuchenbacken für die große wöchentliche Kaffeetafel ist eine anspruchsvolle komplexe Tätigkeit mit vielen therapeutischen Effekten, betont die leitende Ergotherapeutin Katharina Wendland:
"Das Tätigsein in der Gruppe hat auf jeden Fall auch kommunikative Aspekte: Man verständigt sich darüber, wer welche Aufgaben übernimmt. Wer welchen Kuchen backt, oder wer vielleicht auch eher im Hintergrund ist und Zuarbeiten macht, wie das Äpfelschälen für einen Apfelkuchen, oder auch mal zwischendurch aufräumt auch das sind Tätigkeiten, die müssen erledigt werden, innerhalb einer Gruppe."
Jeder findet einen Platz in diesem Therapieangebot: Für schwer depressive Menschen etwa kann schon die Betriebsamkeit in einer Küche Anstoß sein für ein bisschen Aktivität und Interesse für die Umwelt. Außerdem fördern die vielfältigen Aufgaben auch individuell das planmäßige und konzentrierte Arbeiten: "Wo finde ich welche Geräte? Wie sieht mein Arbeitsplatz überhaupt aus? Wann passiert genau was? Mitunter kann es durchaus vorkommen, dass vor dem Hintergrund einer eingeschränkten Konzentrationsfähigkeit die Arbeitsschritte nicht der Reihenfolge gemäß abgearbeitet werden, sondern durchaus Sprünge darin vorkommen."
Und greifen Ergotherapeuten dann ein - um das "Werk", das Erfolgserlebnis zu sichern?
"Bevor etwas wirklich zum Scheitern kommt, wird selbstverständlich eingegriffen. Also indem man denjenigen darauf aufmerksam macht, vielleicht noch mal sich das Rezept genauer anzusehen, oder auch mal kurz Stopp zu rufen und sich direkt ins Geschehen einzuschalten, bevor dann vielleicht eine falsche Tüte gänzlich versenkt wird in dem Teig, ja."
Subjektiv vermittelt die Ergotherapie zweifellos viele Erfolge, und - sehr langsam allerdings - werden Therapieeffekte auch wissenschaftlich untersucht. Ein Grundproblem ist dabei sicher, dass das "Tätigsein", die alltägliche Handlungsfähigkeit eines kranken Menschen ein Prozess ist, der im Gesundheitssystem an viele Grenzen stößt. Die Ergotherapeutin und Dozentin Ulrike Ott:
"Das kann sein, wenn jemand zum Beispiel, akut in einem Krankenhaus ist, schon bald wieder nach Hause kommt, dass man nur eine Diagnostik machen kann, für die Ergotherapeutin, die noch ambulant weiterbehandelt; das kann natürlich auch sein, wenn jemand sehr, sehr chronisch erkrankt ist, dass es um einen ganz langen Behandlungszyklus geht. Man bemüht sich natürlich auch, die Behandlung zu reduzieren."
(...) indem zum Beispiel Angehörige beraten werden, wie sie selbst die Kranken im Alltag unterstützen können, wie man Hilfsmittel sinnvoll einsetzt oder Wohnungen patientengerecht umgestaltet - auch das ist Ergotherapie.