Deutsche Sporthochschule Köln, im Keller des Instituts für Trainingswissenschaft- und Sportinformatik. Neonröhren erleuchten den kleinen spartanisch eingerichteten Raum: zwei Stühle, ein kleiner Tisch, ein paar Sportgeräte. Nichts besonders, sieht man von einer im hinteren Teil des Kellers eingebauten Hypoxiekammer ab.
"Die kann man sich vorstellen als Plastikzelt, umrahmt von Alustreben, ungefähr vier mal vier mal zwei Meter groß, und in dieser Kammer können wir sauerstoffarme Luft herstellen."
Dr. Markus de Marées, Mediziner an der Deutsche Sporthochschule, zeigt auf ein kleines, kontinuierlich vor sich brummendes Gerät, das der Umgebungsluft zunächst Sauerstoff entzieht und diese sauerstoffarme Luft anschließend in die Kunststoffkammer pumpt. Wer sich hier aufhält, simuliert Aufenthalte auf Bergen. Dabei gilt der Grundsatz: Je geringer der Sauerstoffanteil der Luft, desto höher der Berg.
"Er nimmt immer ab mit der Höhe. Auf 4.000 Meter haben wir, wenn wir den Sauerstoffpartialdruck in der Lunge messen, in den Alveolen ungefähr die Hälfte dessen, was wir jetzt auf Normalnull haben, der Sauerstoffpartialdruck der Luft auf dem Mount Everest hat ungefähr ein Drittel dessen, was wir hier zur Verfügung haben, reduziert."
Das (zu) lange Warten auf die roten Blutkörperchen
Auf höheren Bergen – 2.000 Meter aufwärts reichen, der Mount Everest wäre für Untrainierte ohnehin der sichere Tod – bekommt der Körper zu wenig Sauerstoff. Ohne Sauerstoff kann der menschliche Organismus aber nicht existieren. Organe und Muskeln des Menschen bestehen aus Zellen, denen ständig Energie zugeführt werden muss. Diese Energie gewinnen sie aus einer "kontrollierten Verbrennung" von Fetten, Zucker und Kohlenhydraten. Ohne Sauerstoff funktioniert die Verbrennung aber nicht – weshalb der Körper bei Sauerstoffmangel sofort ein Notprogramm startet.
"Das erste, was er macht, um diesen Sauerstoffverlust, um das Sauerstoffdefizit einzugrenzen, ist, dass man schneller atmet, die Herzfrequenz schlägt schneller, und der Körper versucht das Blutvolumen ein bisschen einzudicken, dass das Herz mehr rote Blutkörperchen zur Verfügung hat. Werde ich mich länger in der Höhe aufhalten, wird der Körper beginnen, neue zu bilden, das schlägt so nach einer Woche zu Buche. Dann gibt es noch Veränderungen im Muskel, wo hier neue Blutgefäße mitunter sprießen und der Muskel sich darauf spezialisiert, mit weniger Sauerstoff Energie produzieren zu können."
Fatale Mischung aus Euphorie und Müdigkeit
Das klingt gut, hat aber einen Haken: Die Produktion roter Blutkörperchen dauert zu lange, um die akuten Probleme in den Griff zu bekommen. Was passiert in der Zwischenzeit? Eher Unangenehmes, wie sich Mirjam Limmer, Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Natursport und Ökologie der Deutschen Sporthochschule erinnert.
"Mein höchster Berg war bisher die Ama Dablam, das ist ein Berg in Nepal, der 6.858 Meter hoch ist."
Den hat sie mit einem Dreierteam ohne Sauerstoffflaschen bestiegen.
"Spätestens ab 5.000 Meter lässt die Leistungsfähigkeit extrem nach, das spürt man, und ich würde behaupten, dass bei uns ab 5.500 bis 6.000 Meter auch die kognitiven Fähigkeiten nachgelassen haben."
Limmer erinnert sich, wie sich die Höhenkrankheit beziehungsweise der Höhenrausch bemerkbar machte.
"Man wird sehr verlangsamt, das Denken und Handeln dauert sehr viel länger, man ist sehr viel risikobereiter, man ist fokussierter, man konzentriert sich eher auf einen Punkt, als dass man peripher noch Dinger wahrnimmt."
Eine fatale Mischung aus Euphorie und Müdigkeit breitet sich aus, ein höchst kritischer Zustand, der zu Fehlentscheidungen verleitet.
Simulation in der Hypoxiekammer
Wann setzt der Höhenrausch ein? Was genau passiert dabei im Organismus? Auf diese Fragen sucht der Kölner Sportmediziner Markus de Marées Antworten in der Hypoxiekammer.
"Wir begeben uns jetzt mal auf knapp 3.000 Meter, die Tür geht auf, wir müssen hier durch die Schleuse. Erst wenn die Eingangstür verschlossen ist, wird die innere Tür geöffnet, sonst würde zu viel sauerstoffreiche Luft von außen in die Kammer strömen. Im ersten Moment spürt niemand den Sprung von Normalnull auf eine Höhe von 3.000 Meter. Das würde sich aber schlagartig bei sportlicher Aktivität ändern. Hier steht ein Laufband, es können auch ein Fahrradergometer reingebracht werden oder Ruderergometer. Wir haben jetzt hier den Patrick, der an unserer Studie teilnimmt."
Ein durchtrainierter Student, den de Marées heute an die Grenzen seiner Leistungsfähigkeit bringen möchte – auf einem Laufband. Das Band startet, langsam läuft Patrick los, nach einigen Minuten steigert das Programm die Geschwindigkeit.
"Ja, so weit kann ich noch ganz normal reden, man merkt auf jeden Fall, dass man häufiger atmen muss, und die Atemtiefe nimmt auch zu, weil man das Gefühl hat, dass man nicht so viel Sauerstoff bekommt und man deshalb häufiger atmet."
Immerhin sind wir auf einer Höhe von 3.000 Metern. Bei dieser noch vergleichsweise gemächlichen Geschwindigkeit kann Patrick ein, zwei Stunden ohne gravierende Probleme weiterlaufen. Doch das Computerprogramm steigert die Geschwindigkeit der Laufintervalle, die Belastung klettert, sodass irgendwann Schwindel einsetzen würde, dann der Höhenrausch und schließlich die Höhenkrankheit. Der Sportmediziner Markus de Marées:
Ein Symptom: vernunftwidriges Verhalten
"Die akute Bergkrankheit basiert auf allgemeinen Symptomen wie Kopfschmerzen, und wenn ich jetzt länger dieser Höhe aussetze, kann es zu einem Höhenhirnödem oder eines Höhenlungenödems kommen, das heißt die kleinen Gefäße, die Kapillaren werden durchlässig für Flüssigkeit. Und entweder dringt die Flüssigkeit in die Lunge ein oder in die Liquorräume, beides ist nicht gut."
Weitere Symptome sind Übelkeit und Erbrechen, Schwindelzustände, Halluzinationen, die Patienten sind lichtscheu, entwickeln ein vernunftwidriges Verhalten, haben neurologische Veränderungen und Bewusstseinsstörungen, sind nicht ansprechbar und fallen schließlich ins Koma. Bergsteigen ist ein gefährlicher Sport, von dem jeder ohne gründliche Vorbereitung die Finger lassen sollte. Für die Kölner Kletterexpertin Mirjam Limmer gilt der Grundsatz.
"Sobald man das Gefühl hat, überfordert zu sein oder nicht mehr Herr der Situation zu sein, sollte man die Tour abbrachen oder eine Alternative finden."
Was für den in 3.000 Höhe laufenden Sportstudenten Patrick noch nicht gilt.
"So weit geht s mir noch sehr gut. Man hatte das Gefühl am Anfang, dass ein leichtes Schwindelgefühl aufkam, aber sobald man sich länger belastet, desto mehr passt sich der Körper an, und man kommt so schön in den Laufrhythmus."
Noch, sagt der Sportmediziner Markus de Marées, in spätestens einer Stunde hat ihn das Computerprogramm aber an den Rand seiner Kräfte gebracht – glücklicherweise wird Patrick rundum medizinisch überwacht.