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Radiolexikon Gesundheit: Scharlach

Im 19. Jahrhundert starben jährlich unzählige Menschen an Scharlach. Heute hat diese bakterielle Infektionskrankheit ihren Schrecken weitgehend verloren - auch dank der Erfindung des Penicillins.

Von Andrea Westhoff |
    Krankheiten haben des öfteren schon den Gang der Geschichte beeinflusst - und manche sogar Spuren in der Kunst hinterlassen: In seinen berühmten "Kindertotenliedern" vertonte der Komponist Gustav Mahler Gedichte von Friedrich Rückert, die dieser geschrieben hatte, nachdem er um die Jahreswende 1833/34 zwei seiner sechs Kinder verlor – durch Scharlach.

    Heute hat diese bakterielle Infektionskrankheit ihren Schrecken weitgehend verloren, sagt der Infektiologe Professor Reinhard Kurth – kleinen Pilzsporen und dem schottischen Forscher Alexander Fleming sei Dank:

    "Die Entdeckung des Penicillins war natürlich eine der größten medizinischen Fortschritte, die wir je erlebt haben, wenn nicht sogar die aller größte per se, denn damit wurde erstmals ein Medikament oder eine Medikamentengruppe entdeckt, die geeignet ist, Bakterien zu zerstören und damit Infektionskrankheiten zu bekämpfen, und auch heute ja noch häufig sehr gut hilft."

    Scharlach wird durch Streptokokken der Gruppe A verursacht und ist in der Regel recht leicht und schnell zu erkennen. Der Kinderarzt Dr. Ulrich Fegeler:

    "Also diese Trias Kopfschmerz, Erbrechen, Halsschmerz, auch mal sehr hohe Temperaturen, ist eigentlich schon typisch. Und wenn man dann in den Mund guckt, dann sieht man dieses klassische Scharlachrot, und zwar der weiche Gaumen insbesondere färbt sich flammend rot, die Mandeln sind vergrößert und die Zunge hat am Anfang einen weißlichen Belag, der sich hinterher abstößt, und dann nennt man das ganze Himbeerzunge."

    Die Bakterien nisten sich vor allem in den Schleimhäuten der Atemwege ein und rufen dort Entzündungen hervor.

    "Und wenn wir dann noch einen Ausschlag auf der Haut haben, der kleinfleckig ist, kleine Pünktchen, die insbesondere konzentriert sind in den Beugebereichen, also im Leistenbereich und im Achselbereich, und wenn wir dann noch im Gesicht diese Wangenrötung haben, auch aus diesen kleinen Fleckchen bestehend unter Auslassung des Munddreiecks, dann haben wir das typische Bild des Scharlachs vorliegen."

    Scharlach ist sehr ansteckend, die Streptokokken werden durch Tröpfchen beim Husten, Niesen oder Sprechen übertragen, manchmal auch durch offene Wunden. Zudem gibt es eine große Zahl von Menschen, die symptomfreie Träger der Bakterien sind.

    "Eine ausgesprochen weit verbreitete Krankheit. Wenn Eltern zum Beispiel zu mir kommen und sagen "in der Kita ist Scharlach", sag ich, "in welcher nicht?". Es gibt also unendlich viele Kindertagesstätten, die eigentlich dauerhaft oder mindestens in immer wieder auftretenden Wellen davon betroffen sind."

    Die Inkubationszeit ist kurz: Zwei bis vier Tage nach dem Kontakt wird klar, ob es einen auch erwischt hat. Bei Erwachsenen kommt es dann in der Regel aber nur zu einer eitrigen Hals- oder Mandelentzündung. Wer also meint, Scharlach sei eine reine Kinderkrankheit, der irrt.

    "An Streptokokken können wir uns unser gesamtes Leben infizieren, meistens machen wir aber in der Kindheit die Scharlachbilder durch."

    Denn die typischen Symptome, insbesondere der Hautausschlag, werden nicht allein durch die Erreger selbst verursacht, sondern durch die von den Streptokokken produzierten giftigen Substanzen, "Toxine", die das Immunsystem von Kindern heftiger reagieren lassen.

    Dennoch ist - dank des Penicillins – der Scharlach heute normalerweise nur eine "mittelschwere" Erkrankung. In den ersten Tagen sollten die Kinder allerdings im Bett bleiben und viel trinken; zusätzlich kann man fiebersenkende Mittel und schmerzstillende Halstabletten oder Gurgellösungen geben. Das Penicillin muss aber mindestens zehn Tage eingenommen werden, damit sich wirklich keine Erreger im Körper einnisten. Denn auch heute noch kann es zu sogenannten Nacherkrankungen kommen, die als Immunreaktion des Körpers vier bis sechs Wochen später auftreten. Ulrich Fegeler vom Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte:

    "Der Scharlach kann eben zu autoimmunologischen Phänomenen führen, die gar nicht mehr mit dem Vollerreger zu tun haben, sondern häufig mit Bruchstücken. Und da gibt es im Prinzip zwei große Möglichkeiten: Einmal ist es die Scharlach-Glomerulonephritis, also eine Veränderung der Niere. Das kann dazu führen, dass schwerste Funktionsverluste der Niere resultieren. Die zweite große Möglichkeit, nämlich das rheumatische Fieber, ist ebenfalls eine Autoimmunerkrankung mit Bruchstücken der Erreger und hat leider Gottes eben viele Organe im Visier, dummerweise das Herz."

    Die Folge können schwere Herzschäden sein, aber auch Hirnentzündungen, Hauterkrankungen und rheumatoide Arthritis mit schmerzhaften Gelenkveränderungen.

    "Dieses rheumatische Fieber tritt auf, wenn nicht mit Penicillin behandelt wurde. Heute in der Penicillinära finden wir es eigentlich seltener. Es ist aber der Grund, dass man eben auch Erwachsene behandeln sollte."

    Übertriebene Angst vor Antibiotika ist also nirgends so unangebracht wie bei dieser Krankheit. Und wer allergisch gegen Penicillin ist, für den gibt es andere, wirksame Substanzen. Andererseits sollte gerade der Scharlach mit seiner leidvollen Geschichte auch vor einem allzu sorglosen Umgang mit Antibiotika warnen.

    "Also wir überblicken ja jetzt ungefähr 60 Jahre der Antibiotikatherapie weltweit und wir müssen leider konstatieren, dass noch immer die Bakterien, die wir bekämpfen wollen, Wege gefunden haben, Resistenzen gefunden haben und gegen Antibiotika sich zu schützen",

    warnt der Infektiologe Reinhard Kurth, und mahnt eine gewisse Disziplin in diesem "Wettlauf" an:

    "Dazu muss der Mensch sein Verhalten ändern, die Ärzteschaft muss auch etwas ihr Verhalten ändern, man darf nicht auf jede kleine banale Erkältung mit großen Kanonen, sprich Antibiotika schießen, weil man so nur die Bakterien resistent machen könnte, und der behandelnde Arzt hat möglicherweise keine Antibiotika mehr in der Hand, um den Krankheitsverlauf aufzuhalten."

    In anderen Teilen der Welt, derzeit vor allem in Osteuropa, steigt die Zahl der Scharlachepidemien in den letzten Jahren an, wobei hier auch häufiger penicillinresistente Erreger vorkommen. Glücklicherweise ist das bei uns in Deutschland noch nicht der Fall. Und damit das so bleibt, sollte beim Scharlachverdacht, wenn sich nicht das typische Bild zeigt, der Patient mit darauf achten, dass zunächst ein Rachenabstrich gemacht wird. Nur so lässt sich sicher eine Streptokokkeninfektion feststellen, und nur dann sollte die scharfe Waffe Penicillin gezückt werden.

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