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Radiolexikon Gesundheit: Seitenstiche

Jeder kennt sie, alle habe schon unter ihnen gelitten, gefährlich sind sie glücklicherweise nicht: Seitenstiche. Entweder tauchen die krampfartigen Schmerzen an der linken Körperseite im Bereich der Milz auf oder rechts im Bereich der Leber. Die meisten Menschen kennen Seitenstiche vor allem aus ihrer Kindheit, was aber nicht bedeutet, dass sie tatsächlich nur in dieser Lebensphase vorkommen: Seitenstiche gibt es in jedem Alter, bei Kindern sind sie nur deshalb häufiger, weil sie sich mehr bewegen. Mirko Smiljanic hat nachgefragt.

Von Mirko Smiljanic |
    Köln, 8. Oktober 2006. Fast 16.000 Läuferinnen und Läufer nehmen am 10. Stadtmarathon teil. Athleten und Amateure, Junge und Alte, Profis und schrille Vögel, Trainiert und Untrainierte.

    Der Lauf ist in erster Linie ein Volksfest, allerdings auch ein anstrengendes. Vor allem untrainierte Sportler zeigen dabei hin und wieder seltsame Reaktionen. Sie fassen sich an die Seite und verlangsamen ihre Geschwindigkeit bis sie mehr gehen als laufen. Da tut was weh. Genauer: Da hat jemand Seitenstiche. Ein Schmerz, den jeder kennt - nicht nur Marathonläufer.

    "Also, bei mir tauchen sie in der Regel dann beim Joggen auf, wenn ich mit mehreren Leuten zusammenlaufe und mich unterhalte,"

    sagt Christiane Wilke von der Deutschen Sporthochschule in Köln. Sie ist Sportwissenschaftlerin und sie ist Athletin. Radfahren und Laufen zählen zu ihren Hauptdisziplinen, also Ausdauersportarten. Vor allem sie sind - weiß Professor Ingo Froböse, Leiter des Zentrums für Gesundheit an der Deutschen Sporthochschule Köln - anfällig für Seitenstiche:

    "Die entstehen dadurch, dass wir einen Arhythmus in der Zwerchfellbewegung haben, eine Bewegung des Zwerchfell geht ja vor allem im Sport damit einher, dass ich tief atmen muss, dass das Zwerchfell sich exakt bewegen muss. Das Zwerchfell teilt ja unseren Oberkörper in zwei Hälften, oben sind die Organe, die uns versorgen, Herz und Lunge zum Beispiel, die Herzspitze ragt in das Zwerchfell hinein, unten sind der Darm, die Milz liegt da und ähnliches. Wenn wir also in den Bauch hinein atmen, können wir verspüren, wie es sich auf und ab bewegt und dieser Rhythmus geht verloren, wenn ich hastig atme, wenn ich im Sport schnell atmen muss, dann kommt es zu muskuläre Reaktionen, zu Verkrampfung im beispielsweise, und die spüre ich dann als massiven Schmerz in den Flanken in der Regel."

    Rauf und runter bewegt sich das Zwerchfell, mal langsamer, mal schneller, das kann nicht gut gehen, vor allem nicht in der Mitte des menschlichen Körpers.

    "Schmerzen sind immer ein Warnsignal, das heißt hast irgendetwas läuft falsch, und Bänder und Muskeln sind relativ empfindlich, weil sie sehr viele Rezeptoren haben die Schmerzsignale aussenden."

    Bei den meisten Menschen sticht es zuerst auf der rechten Seite, seltener links - aus gutem Grund, sagt der Kölner Sportmediziner Ingo Froböse:

    "Es liegt daran, weil die rechte Seite in der Regel eine größere Beweglichkeit besitzt, weil links mit der Herzspitze es doch zu einer engeren Verbindung und einer größeren Festigkeit kommt, deswegen ist die Ausprägung auf der Seite der Regel etwas größer."

    Manche Mediziner sehen allerdings in der Milz das schmerzauslösende Organ - und die liegt links. Das Organ speichert unter anderem Blut. Strengt sich der Mensch nun körperlich an, zieht die Milz sich zusammen und presst mehr Blut in die Blutbahn. Und schon tut's weh. Unbestritten ist allerdings auch, dass eine zu fette Nahrung vor sportlichen Aktivitäten Seitenstiche fördert. Ein Tatbestand, der die Leber, den Magen, sowie Dick- und Dünndarm in den Fokus schiebt. All diese Organe hängen an einem Bandapparat, der wiederum am Zwerchfell befestigt ist. Hat man zu viel oder zu schwer gegessen, ziehen diese Organe das Zwerchfell nach unten. Und schon sticht es. Aber auch diese Theorie hat einen Haken: Selbst durchtrainierte Sportler, die vor Wettkämpfen nichts essen, bekommen Seitenstiche. Vielleicht gibt es ja noch ein psychische Komponente, wie mache Ärzte vermuten. Unabhängig von den Ursachen der Seitenstiche - wer sie hat, möchte sie rasch wieder loswerden. Und da hilft nur ein Rezept:

    Froböse: "Zunächst mal aufhören zu reden, das ist das erste, und versuchen ganz ruhig zu atmen, ruhig und tief und gleichmäßig zu atmen, wenn das massiv ist, stehen bleiben und dehnen, dehnen heißt in diesem Fall, dass man sich ganz lang macht, dass man sich zur Gegenflanke neigt und dass man dann versucht, in einen regelgerechten Atemrhythmus wieder hinein zu kommen."


    Wilke: "Manchmal laufe ich langsam weiter und versuche gleichmäßig zu halten, dann gehen sie von selbst weg. Wenn das nicht hilft, wenn es schlimmer ist, dann höre ich auf zu laufen, gehen und dehne die rechte Seite und versuche wieder in einem gleichmäßigen ruhigen Atemrhythmus zu kommen."

    Wer die Atemmuskulatur - und das Zwerchfell ist der wichtigste Atemmuskel überhaupt - überanstrengt, provoziert in den Muskeln Krämpfe. Das bedeutet aber auch: Sind die Atemmuskeln gut trainiert, sind Seitenstiche selten. Richtiges Verhalten müssen viele Sportler erst lernen, so machen Kinder machen das intuitiv.

    Wilke: "Und dann ist es ja bei Kindern so, dass sie unbewusst an die Sache rangehen, sie laufen los, und wenn ein Pulk von Kindern losläuft, dann laufen alle los, und jeder läuft hinterher, rufen sie hier noch und da noch, da passiert natürlich prinzipiell auch das gleiche wie beim Erwachsenen, sie schlucken Luft, atmen ungleichmäßig und haben dann ganz schnell Seitenstiche. "


    Dafür, dass Kinder trotzdem häufiger unter Seitenstichen leiden, gibt es einen simplen Grund: Sie bewegen sich weit häufiger als Erwachsene. Bei Erwachsenen sind Seitenstiche in erster Linie ein Problem von Sportler ist. Allerdings nicht von allen.

    200 Meter in 19,32 Sekunden - Michael Johnson ist fast eine halbe Sekunde schneller als der bisherige Rekordhalter. Seitenstiche hatte er mit Sicherheit nicht.

    Froböse: "Die kurzfristigen Sportarten sind davon weit weniger betroffen, also Sprints oder Spielsportarten, wo man viel läuft, wieder abgestoppt, in die Ruhephase wieder hinein kommt, es sind in der Regel die langen zyklischen Sportarten, dass heißt, es schaukelt sich auch langsam hoch. Seitenstriche kommen nicht von einem Moment auf den anderen, sie entwickeln sich."

    Schwimmer leiden mitunter an Seitenstechen, Radfahrer, aber auch Fußballer, hier vor allem Mittelfeldspieler, die viel laufen müssen. Wer unter Seitenstichen leidet, muss sich allerdings nicht gleich eine neue Sportart suchen,

    "aber man sollte das "wie" kontrollieren. Wie bedeutet, dass man sich wirklich mal Gedanken macht, atme ich während meiner sportlichen Aktivität regelgerecht, atme ich tief in den Bauch hinein. Beim Laufen zum Beispiel kann man die Empfehlung geben, versucht doch mal auf jeden vierten Schritte einzuatmen und auf jeden vierten Schritt auszuatmen. Und so entwickelt sich langfristig ein Rhythmus, den man fast erlernt, da muss man nicht seine Sportart ändern sondern nur das "wie" und das hängt viel mit dem Atmen zusammen."

    Beim Köln-Marathon gab es eine ganze Reihe Läuferinnen und Läufer, die das "wie" nicht bedacht haben. Viele mussten stehen bleiben, so groß waren die Schmerzen. Kostbare Minuten gingen verloren - mal von der Schwierigkeit abgehen, überhaupt wieder den Laufrhythmus zu finden. Seitestiche sind unangenehm, allerdings - und das beruhigt - auch ungefährlich.