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Zahnspange

Mehr als die Hälfte aller Kinder und Jugendlichen bekommt eine Zahnspange, um Fehlstellungen im Gebiss zu korrigieren. Die Behandlung dauert in der Regel ein bis zwei Jahre. Doch auch viele Erwachsene lassen sich heutzutage ihre Zähne wieder gerade rücken.

Von Thomas Liesen | 27.05.2014
    Ein Mädchen mit Zahnspange hält ein selbst belegtes Butterbrot in den Händen.
    Die meisten Patienten bekommen mit 13 Jahren eine Zahnspange, wenn die bleibenden Zähne alle durchgebrochen sind. (picture-alliance / dpa-ZB / Arno Burgi)
    "Beiß mal bitte zu. Gut, ich denke, wir kommen hier in die Schlussphase, ich bräuchte mal bitte eine Schieblehre, um zu gucken, ob der Zahn gleich breit ist jetzt. So."
    Die Kieferorthopädin Dr. Ines Graf kontrolliert die Stellung der Zähne bei einem 19-jährigen Patienten. Er ist ein relativ komplizierter Fall. Ein oberer Schneidezahn hat sich nicht richtig entwickelt, es entstand eine Lücke und in die wanderten die Nachbarzähne ein. Das Ergebnis: Zähne im Oberkiefer, die nicht in ebenmäßiger Reihe, sondern eher im Zickzack-Kurs verliefen. Doch nun, nach rund eineinhalb Jahren Behandlung, ist zumindest optisch alles fast so, wie es sein sollte. Jetzt kommen nur noch Feinkorrekturen.
    "Dann machen wir da jetzt Stahlbögen rein und hier noch mal eine Druckfeder, um die Lücke ein ganz kleines bisschen größer zu machen."
    Der junge Mann hat so genannte Brackets auf seinen Zähnen. Das sind kleine Riegel aus Metall, auf die ein durchgehender, auswechselbarer Drahtbogen befestigt ist – ganz ähnlich wie eine Eisenbahnschiene auf ihren Schwellen, nur in Miniatur.
    "Ich nehme jetzt den Draht mit einem Spezialinstrument aus den Brackets heraus, dauert jetzt eine Weile."
    Ines Graf entfernt jetzt den Metallbogen, der aus einer sehr flexiblen Nickel-Titan-Legierung besteht. Er wird ersetzt durch einen deutlich dickeren Stahlbogen, der entsprechend mehr Druck auf die Zähne ausüben soll. Auch dieser Draht passt in die quer verlaufenden Schlitze der Brackets. Nach ein paar Minuten ist alles erledigt.
    "- Dann bitte noch mal fühlen, ob alles in Ordnung ist.
    - Stimmt alles.
    - Gut, ok, dann sehen wir uns in 4 bis 6 Wochen wieder. Tschüss."
    Mit 19 Jahren ist dieser Patient älter als der Durchschnitt. Die meisten kommen etwa mit 13, wenn die bleibenden Zähne alle durchgebrochen sind. Rund ein bis zwei Jahre dauert die Behandlung mit einer Zahnspange. Ganz ohne Operation oder Eingriff kann mit einem solchen Apparat die Stellung jedes Zahnes und sogar des gesamten Kiefers korrigiert werden.
    Zahnspangen können die Stellung jedes Zahns korrigieren
    "Wenn man einen Zahn bewegen möchte, das heißt von A nach B transportieren möchte, dann muss man eine Kraft auf ihn einwirken lassen. Und wenn diese Kraft die richtige Größe hat und über eine längere Zeitdauer auf den Zahn einwirkt, dann wandert der Zahn – man sagt immer - 'durch den Knochen', in Wirklichkeit wandert er mit seinem Knochen. Das heißt also, man kann Zähne über weite Strecken durch den Kiefer durch bewegen, weil das Gewebe um den Zahn herum, der Zahnhalteapparat und der Knochen, eben so umbauaktiv sind."
    Sagt Prof. Dieter Drescher, Direktor der Klinik für Kieferorthopädie an der Uni Düsseldorf. Das so starr wirkende System aus Zahn, Zahnwurzel und Knochen ist in Wirklichkeit höchst reaktionsfähig und formbar. Genau diese Eigenschaften machen sich die Kieferorthopäden zunutze. Und egal welches Spangenmodell der Patient trägt, sie alle üben mechanischen Druck auf die Zähne aus.
    Zu viel Druck kann allerdings Schmerzen und im schlimmsten Fall eine Schädigung der Zahnwurzel bewirken. Bei zu wenig Druck bleiben die Zähne einfach schief. Das passiert in der Regel dann, wenn die Kinder ein herausnehmbares Modell haben, das sie für mehrere Stunden am Tag tragen sollen, das aber nicht immer sehr diszipliniert durchhalten. Deshalb sind feste Zahnspangen, die Brackets, heute das Standardmodell.
    "Gut, Oberkiefer ist fertig."
    Ines Graf kontrolliert bei einem jungen Patienten die Brackets. Sie sind auf der Zahnoberfläche festgeklebt. Wenn nicht besondere Scherkräfte wirken, etwa wenn der Patient in etwas sehr Hartes beißt, haften die kleinen, rechteckigen Metallteile fest auf dem Zahn. Dennoch kann es vorkommen, dass sich ein Bracket löst. Es wird dann einfach wieder angeklebt.
    "Was wir hier verwenden ist jetzt so ein Lichtkleber, der mit blauem Licht ausgehärtet wird. Und den man halt etwas länger verarbeiten kann. So jetzt kommt das blaue Licht."
    Es gibt verschiedene Varianten von Bracket-Systemen. Sie alle haben einen Nachteil: Das Zähneputzen wird kompliziert und aufwendig. Und Nachlässigkeiten in der Zahnpflege werden schnell durch Zahnschäden oder Karies bestraft.
    Bei Zahnspangen gilt: Je kleiner und unsichtbarer, desto teurer
    "Das ist eine Riesengefahr bei den festsitzenden Apparaturen. Und je kleiner das Bracket, um so hygienischer wird das Ganze natürlich."
    Leider gilt auch der Grundsatz: Je kleiner und je unsichtbarer, desto teurer. Das normale Bracketmodell schlägt mit vier bis sechstausend Euro zu Buche. Noch teurer sind Brackets aus weißlicher Keramik. Schließlich gibt es auch noch zwei nahezu unsichtbare Klammer-Varianten, die allerdings auch ihren Preis haben: Zum einen herausnehmbare, transparente Schienen, die über die Zähne gestülpt werden. Und eine weitere, optisch allerdings sehr dezente Bracket-Variante. Dieter Drescher:
    "Das bezeichnet man als Lingual-Technik, also hier werden ebenfalls Brackets verwendet und Drähte verwendet, aber die werden auf der Innenseite der Zähne angebracht, sodass man die von außen nicht erkennen kann."
    Bis zu 10.000 Euro kosten solche Lingual-Brackets. Die Wirksamkeit all dieser Systeme ist dabei vom Preis nahezu unabhängig. Auch mithilfe der günstigen Varianten lassen sich fast sämtliche Zahnfehlstellungen vollständig korrigieren.
    "Ganz wichtig ist es, dass man am Ende das Ganze dauerhaft stabilisiert. Oder zumindest für eine sehr sehr lange Zeit. Ansonsten bewegt sich der Zahn entweder in die Ursprungsrichtung zurück oder in eine andere Richtung."
    Dazu wird in der Regel ein kleiner Draht hinter die Zähne geklebt, der für mehrere Jahre dort verbleibt. Damit ist der Erfolg der Zahnspangen-Behandlung fast garantiert. Immerhin ein Trost angesichts der in jedem Fall recht hohen Kosten von mehreren Tausend Euro. Die Krankenkassen zahlen nur bei besonders ausgeprägten Fehlstellungen, das betrifft nur rund jeden fünften Patienten.
    "Das ist natürlich sehr ärgerlich, weil manchmal kommt es tatsächlich auf einen Millimeter plus minus in der Abweichung an, ob eine Behandlung von der gesetzlichen Krankenkasse übernommen wird oder nicht. Aber wir sind nun mal an diese Regeln gehalten und es wird im Leben niemals 100-prozentig gerecht zugehen können."
    Übrigens sind ein Drittel der Patienten bei Kieferorthopäden heutzutage Erwachsene. Auch bei ihnen lassen sich mit den üblichen Zahnspangen die Zähne recht problemlos wieder gerade rücken.
    "Die ältesten Patienten sind über 70."

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