"In der Nacht hatte ich zuerst entsetzlich Herzklopfen, dann wurde der Schlag ganz leis und schnell. Ich hatte Angst. Eine schreckliche Angst. Die Nacht war endlos!"
Herzneurose, Herzangst, Cardiophobie oder einfach funktionelle Herz-Kreislauf-Störung nennt die Medizin das, was Bertold Brecht zum Beispiel sein Leben lang gequält hat. Ein überaus komplexes Krankheitsbild, betont Professor Hans-Christian Deter, Leiter einer der Psychosomatischen Kliniken der Charité.
"Erstmal weiß der Betroffene nicht, dass er eine Herzneurose oder Herzphobie hat, sondern er hat Beschwerden, das können Herz-Rhythmusstörungen sein, Veränderungen des Pulsschlages, das können aber auch Schmerzen und Ziehen im Bereich des Herzens sein, die den Patienten oder die Patientin sehr beunruhigen, dass sie eben einen Arzt aufsuchen und dort versuchen wollen, diese Symptome zu klären."
Im Unterschied zu vielen anderen lebenswichtigen Organen kann man das Herz in jedem Augenblick spüren. Deshalb macht es solche Angst, wenn hier etwas nicht stimmt: Bin ich nur aufgeregt? Ist das ein Angina-Pectoris-Anfall? Droht etwa ein Herzinfarkt?
"Im Alltagsleben können sie das nicht trennen. Der Patient oder die Angehörigen sowieso nicht und auch der Arzt vor Ort nicht aufgrund der Schilderung,"
...sagt der Kardiologe Professor Dietrich Andresen vom "Vivantes-Klinikum am Urban" in Berlin.
"Nun könnte man sagen, wir machen einfach bei jedem Patienten, der über ein bisschen Brustschmerzen klagt, einen Herzkatheder, dann wissen wir die Wahrheit. Also das ist schon mit Kanonen auf Spatzen geschossen und würde auch kein Mensch tun. Wir haben ja die Möglichkeit, durch unsere Befragung und klinische Untersuchung beim Patienten schon etwas wahrscheinlich oder nicht wahrscheinlich zu machen."
Wahrscheinlich ist eine Herzerkrankung bei den typischen Risikofaktoren wie Rauchen, Bluthochdruck oder erblicher Vorbelastung. Aber das trifft auf Herzneurosepatienten meist nicht zu, außerdem sind sie nicht im typischen Herzinfarktalter, sondern eher zwischen 25 und 40. Also macht der Arzt ein Belastungs-EKG oder veranlasst doch eine Herzkatheter-Untersuchung – und kann dann aber Entwarnung geben: Das Herz ist gesund!
"Unser Problem ist nur, dass viele Patienten sich dann doch nicht durch unseren ärztlich-väterlichen Rat so beruhigen lassen, dass ihre Verdachtsdiagnose ganz weg ist."
Wie auch – kommen doch die Herzbeschwerden und die Todesangst immer wieder... Also gehen Patienten mit einer Herzneurose wieder zum Arzt rufen oft sogar mehrmals den Notarzt, der aber – jedenfalls am Herzen – auch wieder nichts feststellen kann. Hans-Christian Deter:
"Ich würde von einer Krankheit sprechen und nicht von nichts, denn das ist das, was die Patienten dann abschreckt, weil sie nämlich dann im Zweifelsfall eher einen zweiten, dritten, zehnten oder auch 15. Arzt aufsuchen, um doch noch den nicht gefundenen körperlichen Verursachungsanteil dann herauszufinden."
Schätzungen gehen davon aus, dass jeder vierte Herzpatient in Deutschland in Wirklichkeit an einer Herzneurose leidet. Die Ursachen dieser Erkrankung sind vielfältig, manchmal gibt es plötzlich auftretende äußere Auslöser.
"Wir haben immer wieder die Erfahrung gemacht, dass Patienten, bei denen Angehörige verstorben sind, oder wo ein Arbeitskollege plötzlich am Arbeitsplatz mit einem Herzinfarkt verstarb, dass die durch diese Ereignisse sehr verunsichert werden und dann das Bild einer Herzneurose oder einer funktionellen Herzerkrankung bekommen können."
Aber es gibt auch Patienten mit Herzangst, die insgesamt eine "überängstliche Persönlichkeitsstruktur" haben. Dafür gibt es zwei mögliche Ursachen:
"Das eine ist, dass solche Patienten sehr häufig Erfahrungen mit Eltern, insbesondere Mütter haben, die selbst ängstlich waren und diese Angsttendenz dem Kind mehr oder weniger übertragen haben. Das Kind hat am Modell der Mutter gelernt, wie man sich als Angstkranker verhält und hat das praktisch übernommen."
Zum anderen haben Entwicklungspsychologen festgestellt, dass eine fehlende oder auch ambivalente Bindung eines Kindes oder eine andere Bezugsperson jemanden krankhaft ängstlich machen kann.
Als besonders effektive Behandlung der Herzneurose hat sich die Kognitive Verhaltenstherapie erwiesen: Hier sollen die Betroffenen erkennen, wie ihre Angst direkt mit den körperlichen Reaktionen zusammenhängt.
"Dass zum Beispiel das Herz schneller schlägt als gewöhnlich aufgrund von Angst, dass der Kreislauf sich verändert, das heißt, der Blutdruck ansteigt oder auch mal nach unten geht, das heißt, es gibt eine physiologische Reaktion, die dann in so eine funktionelle Herzkreislauferkrankung mündet."
Oft aber ist eine tiefergehende, längere Therapie nötig, um die weit zurückliegenden Auslöser für die Herzangst zu erkennen und behandeln zu können, sagt der Psychosomatiker Deter:
"So dass also die Therapie im engeren Sinne sowohl tiefenpsychologische, als auch verhaltenstherapeutische Momente umfasst, aber auch Entspannungsverfahren wie das Autogene Training oder die Progressive Muskelrelaxation. Und bei Patienten, die lange den Weg durch die Medizin gegangen sind, dass diese Patienten auch mal in stationäre Behandlung kommen können, wo wir sehr sorgfältig die Psychodiagnostik durchführen und wo dann erste Wege der Behandlung einleiten."
In der psychosomatischen Behandlung sollen Patienten dann auch ihre realen körperlichen Belastungsgrenzen kennen lernen und ihre "Schonhaltung" auf geben, dass alles "zu viel für ihr schwaches Herz" sei.
Es gibt auch Medikamente, die bei funktionellen Herzstörungen von Ärzten verschrieben werden, vor allem Beruhigungsmittel. Dazu Professor Hans-Christian Deter:
"Das hat zumindest erstmal den Effekt, dass die Patienten sich ruhiger fühlen, weniger Ängste haben, vielleicht weniger schwere Anfälle von Herz-Kreislaufstörungen entwickeln, das Problem ist, dass die Ursachen dann doch eben außen vor bleiben, und dass das von daher eigentlich nicht empfohlen werden kann."
Auch die häufig gegen das Herzrasen verschriebenen Beta-Blocker hält er auf Dauer nicht für sinnvoll, weil sie – gerade bei den jüngeren Herzneurosepatienten – sexuelle Probleme verursachen. Und antidepressiven Medikamenten gegenüber ist Deter ebenfalls eher skeptisch bei funktionellen Herzstörungen:
"Was wir oft sehen, dass Patienten, die diese Mittel nehmen, dann mehr unter Nebenwirkungen zu leiden haben als vielleicht der normale depressive Patient. Also es spricht sehr vieles dafür, erstmal eine psychotherapeutische Vorgehensweise zu wählen. Aber wenn es bestimmte schwere Anfälle gibt, dann kann man natürlich mit solchen Mitteln erstmal Hilfe leisten."
Eine Heilung im klassischen medizinischen Sinne gibt es bei der Herzneurose selten. Denn wenn etwas im Leben wieder aus den Fugen gerät, kommen die Angst und die Anfälle bei vielen Patienten doch zurück...
"Ich lasse mich nimmer unterkriegen. Ich kommandiere mein Herz. Es ist schön, zu leben."
...vermerkt Bertold Brecht 1916 in seinem Tagebuch. Aber schon einen Tag später notiert er:
"Nein. Es ist sinnlos, zu leben. Heute Nacht habe ich einen Herzkrampf bekommen, dass ich staunte, diesmal leistete der Teufel erstklassige Arbeit."
Herzneurose, Herzangst, Cardiophobie oder einfach funktionelle Herz-Kreislauf-Störung nennt die Medizin das, was Bertold Brecht zum Beispiel sein Leben lang gequält hat. Ein überaus komplexes Krankheitsbild, betont Professor Hans-Christian Deter, Leiter einer der Psychosomatischen Kliniken der Charité.
"Erstmal weiß der Betroffene nicht, dass er eine Herzneurose oder Herzphobie hat, sondern er hat Beschwerden, das können Herz-Rhythmusstörungen sein, Veränderungen des Pulsschlages, das können aber auch Schmerzen und Ziehen im Bereich des Herzens sein, die den Patienten oder die Patientin sehr beunruhigen, dass sie eben einen Arzt aufsuchen und dort versuchen wollen, diese Symptome zu klären."
Im Unterschied zu vielen anderen lebenswichtigen Organen kann man das Herz in jedem Augenblick spüren. Deshalb macht es solche Angst, wenn hier etwas nicht stimmt: Bin ich nur aufgeregt? Ist das ein Angina-Pectoris-Anfall? Droht etwa ein Herzinfarkt?
"Im Alltagsleben können sie das nicht trennen. Der Patient oder die Angehörigen sowieso nicht und auch der Arzt vor Ort nicht aufgrund der Schilderung,"
...sagt der Kardiologe Professor Dietrich Andresen vom "Vivantes-Klinikum am Urban" in Berlin.
"Nun könnte man sagen, wir machen einfach bei jedem Patienten, der über ein bisschen Brustschmerzen klagt, einen Herzkatheder, dann wissen wir die Wahrheit. Also das ist schon mit Kanonen auf Spatzen geschossen und würde auch kein Mensch tun. Wir haben ja die Möglichkeit, durch unsere Befragung und klinische Untersuchung beim Patienten schon etwas wahrscheinlich oder nicht wahrscheinlich zu machen."
Wahrscheinlich ist eine Herzerkrankung bei den typischen Risikofaktoren wie Rauchen, Bluthochdruck oder erblicher Vorbelastung. Aber das trifft auf Herzneurosepatienten meist nicht zu, außerdem sind sie nicht im typischen Herzinfarktalter, sondern eher zwischen 25 und 40. Also macht der Arzt ein Belastungs-EKG oder veranlasst doch eine Herzkatheter-Untersuchung – und kann dann aber Entwarnung geben: Das Herz ist gesund!
"Unser Problem ist nur, dass viele Patienten sich dann doch nicht durch unseren ärztlich-väterlichen Rat so beruhigen lassen, dass ihre Verdachtsdiagnose ganz weg ist."
Wie auch – kommen doch die Herzbeschwerden und die Todesangst immer wieder... Also gehen Patienten mit einer Herzneurose wieder zum Arzt rufen oft sogar mehrmals den Notarzt, der aber – jedenfalls am Herzen – auch wieder nichts feststellen kann. Hans-Christian Deter:
"Ich würde von einer Krankheit sprechen und nicht von nichts, denn das ist das, was die Patienten dann abschreckt, weil sie nämlich dann im Zweifelsfall eher einen zweiten, dritten, zehnten oder auch 15. Arzt aufsuchen, um doch noch den nicht gefundenen körperlichen Verursachungsanteil dann herauszufinden."
Schätzungen gehen davon aus, dass jeder vierte Herzpatient in Deutschland in Wirklichkeit an einer Herzneurose leidet. Die Ursachen dieser Erkrankung sind vielfältig, manchmal gibt es plötzlich auftretende äußere Auslöser.
"Wir haben immer wieder die Erfahrung gemacht, dass Patienten, bei denen Angehörige verstorben sind, oder wo ein Arbeitskollege plötzlich am Arbeitsplatz mit einem Herzinfarkt verstarb, dass die durch diese Ereignisse sehr verunsichert werden und dann das Bild einer Herzneurose oder einer funktionellen Herzerkrankung bekommen können."
Aber es gibt auch Patienten mit Herzangst, die insgesamt eine "überängstliche Persönlichkeitsstruktur" haben. Dafür gibt es zwei mögliche Ursachen:
"Das eine ist, dass solche Patienten sehr häufig Erfahrungen mit Eltern, insbesondere Mütter haben, die selbst ängstlich waren und diese Angsttendenz dem Kind mehr oder weniger übertragen haben. Das Kind hat am Modell der Mutter gelernt, wie man sich als Angstkranker verhält und hat das praktisch übernommen."
Zum anderen haben Entwicklungspsychologen festgestellt, dass eine fehlende oder auch ambivalente Bindung eines Kindes oder eine andere Bezugsperson jemanden krankhaft ängstlich machen kann.
Als besonders effektive Behandlung der Herzneurose hat sich die Kognitive Verhaltenstherapie erwiesen: Hier sollen die Betroffenen erkennen, wie ihre Angst direkt mit den körperlichen Reaktionen zusammenhängt.
"Dass zum Beispiel das Herz schneller schlägt als gewöhnlich aufgrund von Angst, dass der Kreislauf sich verändert, das heißt, der Blutdruck ansteigt oder auch mal nach unten geht, das heißt, es gibt eine physiologische Reaktion, die dann in so eine funktionelle Herzkreislauferkrankung mündet."
Oft aber ist eine tiefergehende, längere Therapie nötig, um die weit zurückliegenden Auslöser für die Herzangst zu erkennen und behandeln zu können, sagt der Psychosomatiker Deter:
"So dass also die Therapie im engeren Sinne sowohl tiefenpsychologische, als auch verhaltenstherapeutische Momente umfasst, aber auch Entspannungsverfahren wie das Autogene Training oder die Progressive Muskelrelaxation. Und bei Patienten, die lange den Weg durch die Medizin gegangen sind, dass diese Patienten auch mal in stationäre Behandlung kommen können, wo wir sehr sorgfältig die Psychodiagnostik durchführen und wo dann erste Wege der Behandlung einleiten."
In der psychosomatischen Behandlung sollen Patienten dann auch ihre realen körperlichen Belastungsgrenzen kennen lernen und ihre "Schonhaltung" auf geben, dass alles "zu viel für ihr schwaches Herz" sei.
Es gibt auch Medikamente, die bei funktionellen Herzstörungen von Ärzten verschrieben werden, vor allem Beruhigungsmittel. Dazu Professor Hans-Christian Deter:
"Das hat zumindest erstmal den Effekt, dass die Patienten sich ruhiger fühlen, weniger Ängste haben, vielleicht weniger schwere Anfälle von Herz-Kreislaufstörungen entwickeln, das Problem ist, dass die Ursachen dann doch eben außen vor bleiben, und dass das von daher eigentlich nicht empfohlen werden kann."
Auch die häufig gegen das Herzrasen verschriebenen Beta-Blocker hält er auf Dauer nicht für sinnvoll, weil sie – gerade bei den jüngeren Herzneurosepatienten – sexuelle Probleme verursachen. Und antidepressiven Medikamenten gegenüber ist Deter ebenfalls eher skeptisch bei funktionellen Herzstörungen:
"Was wir oft sehen, dass Patienten, die diese Mittel nehmen, dann mehr unter Nebenwirkungen zu leiden haben als vielleicht der normale depressive Patient. Also es spricht sehr vieles dafür, erstmal eine psychotherapeutische Vorgehensweise zu wählen. Aber wenn es bestimmte schwere Anfälle gibt, dann kann man natürlich mit solchen Mitteln erstmal Hilfe leisten."
Eine Heilung im klassischen medizinischen Sinne gibt es bei der Herzneurose selten. Denn wenn etwas im Leben wieder aus den Fugen gerät, kommen die Angst und die Anfälle bei vielen Patienten doch zurück...
"Ich lasse mich nimmer unterkriegen. Ich kommandiere mein Herz. Es ist schön, zu leben."
...vermerkt Bertold Brecht 1916 in seinem Tagebuch. Aber schon einen Tag später notiert er:
"Nein. Es ist sinnlos, zu leben. Heute Nacht habe ich einen Herzkrampf bekommen, dass ich staunte, diesmal leistete der Teufel erstklassige Arbeit."