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Radiolexikon Laktoseintoleranz

Milch ist gesund, so heißt es immer wieder. Doch es gibt auch Menschen, die auf Milchprodukte mit Bauchschmerzen, Blähungen, Durchfall, schlimmstenfalls sogar Erbrechen oder Darmkoliken reagieren. Sie könnten unter einer Laktoseintoleranz leiden.

Von Justin Westhoff |
    "Die Milch macht’s", heißt es in der Werbung: Ein Naturprodukt, das Babys prächtig gedeihen lässt und müde Männer munter macht. Als Latte Macchiato gehört sie zum modernen Kaffeeklatsch, als Shake zum Fast-Food-Menü, und Oma sagte immer, ein Glas warme Milch helfe, wenn man nicht einschlafen kann.

    Aber die Milch macht's mitunter auch unangenehm: Bauchschmerzen, Blähungen, Durchfall, schlimmstenfalls sogar Erbrechen oder Darmkoliken. Dann nämlich, wenn jemand unter Laktoseintoleranz leidet. Die Laktose im weißen "Lebenssaft" ist ein Doppelzucker, der zur Verdauung erst in die beiden Bestandteile Glukose und Galaktose aufgespalten werden muss.

    "Und das ist nur möglich, wenn im Dünndarm, wo die Verdauung stattfindet, ein Enzym, das Laktase heißt, diese Laktose in die Einzelzucker spaltet, denn nur die Einzelzucker können von Dünndarm aufgenommen werden. "

    … sagt der Gastroenterologe Professor Stefan Müller-Lissner von der Parkklinik Weißensee in Berlin.

    "Im Erwachsenenalter ist dieses Enzym nicht mehr lebensnotwendig, aber wenn jemand, der wenig Laktase hat ,viel Milch trinkt, dann wird der diesen Milchzucker nicht spalten können, der Milchzucker geht durch den Dünndarm, durch in den Dickdarm und bindet Wasser und führt dort zu Durchfällen, außerdem wird er bakteriell gespalten, und dabei entsteht Gas, so dass auch noch Blähungen auftreten."

    "Milchzucker-Unverträglichkeit" oder auch "Laktasemangel" ist bei Erwachsenen eigentlich der biologische Normalfall: Wie bei allen Säugetieren wird nach der Stillzeit die Produktion des Enzyms Laktase langsam eingestellt, da sie sich nicht mehr ausschließlich von Milch ernähren müssen. Offenbar hat es aber in Europa einen evolutionären Kultursprung gegeben, eine Genmutation: Die Laktase-Produktion wird hier nicht mehr abgeschaltet:

    "Die europäische Bevölkerung ist eigentlich die Ausnahme auf der Welt, weil sie einen Vorteil hatte mit den milchgebenden Kühen, so dass Milch immer verfügbar war. Wenn Sie nach Ostasien fahren und verfüttern dort einen Viertelliter Milch, dann haben sie ihren Gesprächspartner sofort auf der Toilette. Die Menge der Laktase, die produziert wird, nimmt aber auch bei der europäischen Bevölkerung über das Leben ab, beim Einen mehr, beim Anderen weniger."

    In Deutschland leiden geschätzte 15 bis 25 Prozent der Bevölkerung an der Milchzucker-Unverträglichkeit. Grund für die Laktoseintoleranz können – neben der natürlichen Laktaseabnahme – auch bakterielle oder virale Magen-Darmentzündungen sein, verschiedene chronische Darmerkrankungen, Mangelernährung und chronischer Alkoholmissbrauch. Manchmal tritt die Störung ferner als Nebenwirkung einer Chemo- oder Strahlentherapie auf.

    Laktoseintoleranz darf allerdings nicht mit einer Kuhmilch-Allergie verwechselt werden.

    "Bei einer Allergie wehrt sich der Körper aktiv mit Immunzellen oder Antikörpern gegen irgendwelche Bestandteile, und das ist überhaupt nicht der Fall bei Laktoseintoleranz, sondern es ist in der Tat nur die Unfähigkeit, diesen Doppelzucker in die Einzelteile zu spalten."

    Laktoseintoleranz ist also keine wirklich schwerwiegende Erkrankung ¬ – außer bei Säuglingen. Ein angeborener Laktasemangel ist jedoch äußerst selten. Dennoch: Bei Erwachsenen können immer wiederkehrende Durchfälle und Bauchschmerzen die Lebensfreude und auch die Gesundheit beeinträchtigen. Zudem können die unangenehmen Symptome auch auf eine andere, gravierende Erkrankung des Darms hinweisen, die dann womöglich ganz anders behandelt werden muss. Die häufigste Untersuchungsmethode ist der H-2-Atemtest, wie der Magen-Darm-Spezialist Stefan Müller-Lissner erklärt:

    "Wenn Laktose unverdaut in den Dickdarm kommt und von den Bakterien gespalten wird, dann entsteht bei 90 bis 95 Prozent der Menschen dabei unter anderem Wasserstoff. Dieser Wasserstoff geht ins Blut und wird dann über die Atemluft abgeatmet. Und da kann man ihn nachweisen."

    Es handelt sich jedoch lediglich um ein Ausschlussverfahren.

    "Wenn also jemand bei diesem Test keine erhöhte Ausscheidung von Wasserstoff hat, dann hat er sicher keine Laktoseintoleranz."

    Zur sicheren Feststellung einer Milchzucker-Unverträglichkeit gibt es noch andere Verfahren, die jedoch nicht sehr sinnvoll erscheinen, weil sie aufwendig und belastend sind. Am besten, meint Dr. Christiana Gerbracht, ist die Selbstbeobachtung. Die Ernährungswissenschaftlerin vom Deutschen Institut für Ernährungsforschung in Potsdam rät den Betroffenen, ein "Esstagebuch" zu führen:

    "Vertragen sie Milch, vertragen sie Joghurt, vertragen sie probiotischen Joghurt, wie sieht’s denn bei den Käsesorten aus? Wenn man festgestellt hat, dass man zum Beispiel nach Milchprodukten Beschwerden bekommt, Blähungen oder auch Durchfall, ist es mal ganz günstig, diese Produkte auch wegzulassen, um mal zu gucken, ob dann die Beschwerden auch wirklich abrupt auch aufhören. Das reicht eigentlich ein paar Tage, wenn man das mal probiert."

    So kann man sich an die Lebensmittel und auch die Laktosemenge "herantasten", die man verträgt. Dabei kann für Betroffene der Einkauf im Supermarkt allerdings kompliziert werden.

    Milch geht gar nicht, denn sie enthält mit 50 Gramm pro Liter auf jeden Fall zu viel Laktose. Aber auch Schlagsahne, Pudding, Kakao, Eis, Joghurt, Butter, Käse sind Milchprodukte. Doch die Ernährungswissenschaftlerin beruhigt: Es handelt sich in der Regel nicht um eine Alles-oder-nichts-Unverträglichkeit.

    "Es gibt wirklich Abstufungen, je nach der Ausprägung der Symptomatik, viele Personen vertragen Käse. Also alle Sorten, auch Weichkäse, viele Schnittkäse, besonders auch den Hartkäse. Wo viel Laktose noch drin ist, das ist zum Beispiel im Kochkäse, im Schmelzkäse, im Frischkäse, und das wird von dem einen oder anderen nicht vertragen. Man kann es dann aber auch selber ausprobieren, also dann würde ich mit einer kleinen Menge anfangen."

    Laktose findet sich jedoch auch in Fertiggerichten, als "Füller" in fettreduzierten Lebensmitteln und auch in manchen Brot- oder Wurstsorten. Auch hier muss die Verträglichkeit individuell getestet werden. Immerhin müssen seit November 2005 zumindest bei verpackten Lebensmitteln alle Zusatzstoffe aufgeführt sein.

    Man kann das fehlende Enzym Laktase auch als Kautabletten oder Kapseln aus der Drogerie oder Apotheke zu sich nehmen. Aber die Dosierung ist häufig schwierig, denn sie muss ja dem Laktosegehalt der Nahrung angepasst werden. Die Krankenkassen ersetzen diese Ausgabe übrigens nicht. Eine Lichtblick sind dagegen laktosefreie Milchprodukte, sagt Ernährungswissenschaftlerin Christiana Gerbracht:

    "Das sind richtige Kuhmilchprodukte, bei denen die Laktose eben schon gespalten worden ist. Deshalb schmecken die auch etwas süßer als die normalen Milchprodukte. Und sie haben aber ansonsten alle Bestandteile, die die Milch auch hat. Das heißt, da ist genauso viel Kalzium drin oder genauso viel Vitamin B2, also von der Seite her sind sie vergleichbar, nur sie haben eben die Laktose nicht mehr drin."

    Und das ist wichtig, denn wenn man eine ausgeprägte Laktoseintoleranz hat und auf alle Milchprodukte verzichten muss, kann es zu einem Kalziummangel kommen.

    "Man versucht es natürlich zuerst über die normalen Lebensmittel, indem man zum Beispiel aufs Mineralwasser achtet, wie viel Kalzium da drin ist, dass es dann mindestens 150 Milligramm pro Liter haben sollte, ansonsten ist Kalzium auch noch in grünem Gemüse drin, und dann muss man wirklich noch mal probieren, ob nicht zumindest Hartkäse vertragen wird. Wenn es jetzt überhaupt nicht geht, dann kann man auch Kalzium-Supplemente nehmen."

    Solche Tabletten sind sicherlich angenehmer, denn wollte man den Tagesbedarf von einem Gramm Kalzium über Gemüse aufnehmen, müsste man zum Beispiel 800 Gramm Spinat essen oder zwei Kilo grüne Bohnen. Und das bringt den Bauch unter Umständen auch zum Grollen.