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Radiolexikon Lavendel

Lavendel ist jene Pflanze, die mit ihrer typisch blauen Farbe und dem intensiven Geruch gern auch als Seele der Provence bezeichnet wird. Sie spielt in der Naturheilkunde heute eine große Rolle, ist aber keine reine Arzneipflanze.

Von Andrea Westhoff |
    "Der echte Lavendel ist warm und trocken, er nützt dem Menschen nichts zum Essen, hat aber doch einen starken Duft. Und wenn ein Mensch, der viele Läuse hat, oft am Lavendel riecht, sterben die Läuse an ihm. Und sein Duft macht die Augen klar, weil er die Kraft sehr starker und auch die Nützlichkeit sehr bitterer Spezereien in sich hat, und daher fesselt er viele üble Dinge."

    So hat Hildegard von Bingen vor gut 900 Jahren die Wirkungen des Lavendels beschrieben – jener Pflanze, die mit ihrer typisch blauen Farbe und dem intensiven Geruch gern auch als "Seele der Provence" bezeichnet wird. Sie spielt in der Naturheilkunde heute eine große Rolle, ist aber keine reine Arzneipflanze, erklärt Matthias Melzig, Professor für Phytopharmakologie an der Freien Universität Berlin:

    "Die lateinische Bezeichnung heißt Lavandula angustifolia - da steckt das lateinische lavare drin, das bedeutet waschen, und man benutzte die Blüten und das ätherische Öl, was in Blüten ist, sehr gern als Zusätze zum Bade- und zum Waschwasser, wie es auch heute noch benutzt werden kann."

    Mit Lavendelsträußchen in Schränken oder auf die Fußböden gestreute Blüten in mittelalterlichen Schlössern wollte man Ungeziefer fernhalten. Der Geruch nach Frische vermittelt ein Gefühl von Sauberkeit, von Reinheit, deshalb wurde Lavendel im Mittelalter als "Zauberkraut" verehrt: Es sollte den Teufel vertreiben und galt als Mittel gegen die Pest. Bald entdeckte man aber auch spezielle Wirkungen dieses "Riechkrautes" auf den Körper: Lavendel wurde als "Schwindelkraut" benutzt, das man Frauen unter die Nase hielt, wenn sie in Ohnmacht gefallen waren. Und im Volksmund hieß er auch "Nervenkraut" wegen des beruhigenden Effektes. Der Wirkstoff im Lavendel ist vor allem das ätherische Öl, das für den typischen Geruch verantwortlich ist:

    "Es gab ja auch immer das Lavendelkissen, was es eigentlich bis heute in der Volksheilkunde gibt, was man zur Einschlafförderung einsetzen kann, das ätherische Öl selbst ist in reiner Form heute als ein Phytotherapeutikum auf dem Markt bei ängstlicher Unruhe und auch zur Förderung des Einschlafens."

    Aufgrund seines intensiven Geruchs ist Lavendel heute vor allem in der sogenannten Aromatherapie sehr beliebt, sagt Andreas Michalsen, Internist und Professor für Klinische Naturheilkunde an der Berliner Charité:

    "Die klassische und immer noch hauptsächliche Anwendung ist die der Einreibung, der äußerlichen, mittels des Öles. Das ist auch das, wo es traditionellerweise die meiste Erfahrung und auch Studiendaten gibt. Die Aromatherapie kommt ja aus Frankreich, da hat man angefangen, Unruhezustände, Angstsyndrome mit Lavendelmassagen und Lavendeleinreibungen sehr erfolgreich zu behandeln, und da gibt es auch sehr interessante Studien, auch in der Krankenpflege, wo man schon sagen kann, die Aromatherapie mit Lavendel ist eine gute Sache. Und jetzt in letzter Zeit gibt es einen Trend, dass man auch Extrakte, pharmazeutisch herstellt und dann als Tablette, als Kapsel innerlich anwendet. Das ist aber eine neuere Entwicklung."

    Mit Lavendelöl oder Lavendelextrakten lassen sich außerdem Umschläge zur äußeren Therapie von Gelenkentzündungen machen, allerdings sind die Effekte hier schwächer als bei anderen Phytotherapien, etwa mit Weidenrinde. Und auch innerlich angewendet kann Lavendel noch mehr als die Nerven beruhigen:

    "Man kann einen Tee aus den Blüten herstellen, den man einsetzen kann sowohl zur Einschlafförderung, aber er wirkt auch spasmolytisch bei Bauchgrimmen oder eben Spasmen im Magen-Darm-Trakt sowohl bei Kindern als auch bei Erwachsenen, wir haben auch in den Lavendelblüten und auch im Lavendelkraut, Polyphenole, Gerbstoffe und Flavenoide enthalten, die auch für die Wirksamkeit dieser Arzneidroge verantwortlich sind."

    Aber: Keine Wirkung ohne Nebenwirkung, das gilt auch beim Lavendel. Andreas Michalsen:

    "Generell gibt es keine spezifischen Nebenwirkungen, die man jetzt als klassische Warnhinweise geben sollte. Natürlich, wie bei jeder Arzneipflanzentherapie, hat man eine gewisse Häufigkeit an Allergien, die sich entwickeln können, das merkt man dann aber letztlich."

    Der Pharmakologe Matthias Melzig gibt allerdings noch zu bedenken:

    "Gerade bei der Anwendung dieses Phytotherapeutikums gegen ängstliche Unruhe, das ist ausgesprochen nur für Erwachsene zugelassen, nicht bei Kindern. Nicht, weil Kinder das nicht vertragen, aber Angststörungen bei Kindern gehören immer in die Hand des Arztes, und da sollte man das nicht selbstständig da therapieren, das hat nichts mit der Nebenwirkung zu tun des Lavendels, sondern dass man was übersehen könnte, was eigentlich fachärztlich zu behandeln wäre."

    Pflanzliche Arzneien, wie der Lavendel, werden in der Regel genutzt, ohne den Arzt oder Apotheker zu fragen. Diese "Selbstmedikation" ist immer ein bisschen ambivalent, sagt Professor Michalsen, der auch Chefarzt am Zentrum für Naturheilkunde des Berliner Immanuel-Krankenhauses ist:

    "Natürlich achten wir als Ärzte immer darauf zu sagen, man sollte, wann auch immer ein warnendes Symptom oder eine Beschwerde ausgeprägt ist, zum Arzt gehen, damit Schlimmeres nicht übersehen wird und damit kein Zeitverzug entsteht. Andererseits haben wir in Deutschland inzwischen ein anderes Problem, nämlich dass wir quasi überhaupt nicht mehr in der Lage sind, auch kleinere Befindlichkeitsstörungen ohne Arzt auszuhalten, und da ist die Pflanzentherapie sicherlich so: Die ist geeignet für die Selbstbehandlung, und da wird einfach der Mittelweg, der Königsweg noch ein bisschen zu beschreiben sein."

    Und er ergänzt noch:

    "Es ist immer gut und wichtig, wenn der Patient seinen Arzt informiert darüber, was er macht, egal ob es um Tees, um pflanzliche, freiverkäufliche Arzneimittel geht, wenngleich natürlich die Kenntnisse der Ärzte noch nicht flächendeckend so groß sind, dass der Arzt immer mit dieser Information was anfangen kann. "