In südlichen Ländern ist eine Mittagsruhe fester Bestandteil der Lebensart. Der Begriff "Siesta" kommt aus dem Lateinischen "sexta" und bezeichnet die sechste Stunde nach Sonnenaufgang. Auch die arbeitsamen Japaner betrachten das kurze Tagesschläfchen in aller Öffentlichkeit als Selbstverständlichkeit. Und viele amerikanische Unternehmen bieten ihren Mitarbeitern Pausenräume mit bequemen Liegesesseln. In Deutschland dagegen gilt der Mittagsschlaf im Betrieb meist als Zeichen von Faulheit.
Nur kleinen Kindern gesteht man hier zu, am Tag zu schlafen. Das ist biologisch unabwendbar, allerdings auch individuell verschieden, sagt der Kinderarzt und Schlafmediziner Professor Bernhard Hoch von der Augsburger Klinik Josefinum:
"Die Gesamtschlafenszeit ändert sich natürlich auch im Laufe des Lebens, bezogen auf den Mittagsschlaf kann man sagen, dass Kinder in den ersten zwei Lebensjahren durchaus noch zwei, manchmal sogar drei Schläfchen am Tag machen, Kleinkinder ein, manchmal auch noch zwei, aber es gibt auch Kleinkinder, die keinen Mittagsschlaf mehr machen, und Schulkinder und Jugendliche eigentlich nicht mehr."
Neben dem Tag-Nacht-Rhytmus gibt es auch den Vier-Stunden-Rhythmus
Mit zunehmendem Alter steigt das Schlafbedürfnis dann für eine Weile wieder an, aber auch Erwachsene haben einen Wechsel von wachen und müden Phasen, betont der Schlafforscher Professor Ingo Fietze von der Berliner Charité:
"Der erwachsene Mensch hat ja mehrere Rhythmen in sich, das eine ist der Tag-Nacht-Rhythmus. Dann gibt es noch einen sogenannten Diurnalen Rhythmus, wir haben am Tage noch ein Tief, das ist so um die Mittagszeit, aber es gibt noch einen anderen Rhythmus, und der ist eigentlich stärker, das ist der Vier-Stunden-Rhythmus. Das heißt, wenn wir in Deutschland um 6 Uhr aufstehen, dann sind wir das erste Mal zwischen 9 und 10 müde, das zweite mal zwischen 12 und 14 Uhr, das ist das Mittagstief, das dritte mal zwischen 16 und 18 Uhr, na ja und dann wird’s abends, dann gehen wir ins Bett."
In der Mitte des Tages, wenn zudem noch mehr Energie für die Verdauung benötigt wird, erlebt fast Jeder das Tief, die Müdigkeit. Aber hierzulande herrschen noch falsche Vorstellungen davon, wie ein Mittagsschlaf aussehen sollte:
Mittagsschlaf heute heißt Minischlaf
"Weil Mittagsschlaf: Denkt jeder tatsächlich daran, sich in ein Bett hinlegen, zudecken, Licht aus, schlafen – und das möglichst 1, 2, 3 Stunden, wenn wir von Mittagsschlaf sprechen heute, dann meinen wir eigentlich den Minischlaf oder den Kurzschlaf, 20 bis 30 Minuten reichen aus für einen Minischlaf, er sollte aber nicht länger als 40 Minuten sein, wenn man danach weiter arbeiten möchte, weil die Gefahr sehr groß ist, dass man nach 40 Minuten in den Tiefschlaf kommt und dann Schwierigkeiten hat aufzustehen."
Also nur ein kurzes kraftspendendes Nickerchen – hier trifft es ein Anglizismus, "Powernapping", einmal genau. Vorsichtshalber sollte man sich einen Wecker stellen – schon alleine, damit man nicht vor lauter Angst vorm Verschlafen keine Ruhe findet. Auch der Trick, direkt vor dem Mittagsschlaf eine Tasse Kaffee zu trinken, ist laut Professor Fietze durchaus begründbar:
"Wir wissen, dass die Koffeinwirkung erst nach 20, 30 Minuten einsetzt, warmer Kaffee, Blut Richtung Magen, weg aus dem Gehirn, man wird müde, eigentlich ein guter Zeitpunkt für einen Minischlaf, und wenn die Koffeinwirkung nach 20 Minuten wirkt, dann kann sie einen wach machen."
Kann, muss aber nicht bei jedem funktionieren, es kommt auch drauf an, wie man sonst auf Koffein reagiert. In jedem Fall aber hat ein kurzer Mittagsschlaf positive Wirkungen auf Körper und Geist, wie weltweit verschiedene Studien gezeigt haben.
"Wir erreichen das Schlafstadium 1 und 2, also den mitteltiefen Schlaf und zumindest das vegetative Nervensystem, was uns ja so aufgeregt macht am Tage, fährt runter. Und das hat einen schonenden, einen erholenden Effekt, zumindest fürs Herz-Kreislauf-System."
Nach 20 Minuten Mittagsruhe sind positive körperliche Reaktionen messbar. Der Blutdruck sinkt, die Muskeln entspannen sich, Stresshormone werden abgebaut. Die amerikanische Weltraumbehörde NASA hat herausgefunden, dass nach einem Powernapping Aufmerksamkeit und geistige Leistungsfähigkeit deutlich ansteigen und die Fehlerrate sinkt. Aber Experten haben Mühe, deutschen Arbeitgebern diese Erkenntnisse deutlich zu machen, berichtet der Schlafforscher Ingo Fietze:
"Es ist ein mühsames Geschäft, tatsächlich den Minischlaf oder Kurzschlaf in die Betriebe zu bringen, oder dazu zu bringen, sich einen kleinen Ruheraum zu gönnen."
Siesta für Mitarbeiter von BASF, Hornbach, Opel und Lufthansa
Die Gewerkschaften haben ebenfalls die Unternehmen aufgefordert, ihren Arbeitnehmern einen Mittagsschlaf zu ermöglichen, und inzwischen gibt es auch positive Beispiele: bei BASF, bei der Baumarktkette Hornbach, bei Opel in Kaiserslautern, und bei der Lufthansa – klar, dass dies hier nur für das Bodenpersonal gilt.
Im Betrieb ist dafür kein großer Aufwand nötig. Es sollte nur akzeptiert, besser gefördert werden, in der Mittagszeit einfach Kopf und Arme auf dem Schreibtisch legen zu dürfen. Oder sich entspannt im Büro-Sessel zurücklehnen, vielleicht Füße hoch, Augen zu, kurz einnicken, ohne als faul zu gelten. Allerdings: Kurzschlaf gelingt meist nicht auf Anhieb, er will gelernt sein:
"Müdigkeit an sich ist noch nicht die Fähigkeit einzuschlafen, man kann es trainieren, sicherlich, aber Voraussetzung ist, dass man es die ersten Male tatsächlich zulässt, wenn man schläfrig wird."
Solches Training sollte schon im Kindesalter beginnen. Darauf weist der Augsburger Professor Bernhard Hoch hin, Spezialist für kindliche Schlafprobleme.
"Entscheidend ist die Situation am Tage, wie sich die Kinder fühlen, auch Eltern, wenn sie gut beobachten, merken genau, der ist jetzt müde, muss sich hinlegen der heutigen Zeit ist das Problem aber, dass Kinder sehr, ich will schon sagen, auch schon gestresst sind; und das Thema Regeln, strukturierter Tagesablauf:
Wenn wir uns mehr an natürlichere Verhältnisse anpassen würden: Weniger Medien, weniger Hektik im Alltag, sondern auch mal die Ruhe als solches genießen lernen würden und auch mittags nur mit den Kindern Bilderbuch angucken und da schon runterfahren, könnten wir alle, denke ich, sehr viel mehr profitieren."
Powernapping schützt auch Erwachsene vor Überreizung
Die Angst vieler Eltern, dass ein Mittagsschlaf das abendliche Zubettbringen der Kleinen erschwert, hält der Pädiater durchaus für berechtigt. Auch hier hilft jedoch ein fester Tagesrhythmus.
"Was man unbedingt aufpassen muss, vor allem aber beim Kleinkind und im Säuglingsbereich, dass die Kinder dann abends zur richtigen Zeit ins Bett gehen und auch morgens zur üblichen Zeit aufstehen. Weil sonst kommt es zu einer Tag-Nacht-Umkehr und dann hat man echt ein Problem."
Kinder brauchen auf jeden Fall mehr Schlaf, um neue Eindrücke, Informationen zu verarbeiten. Und Powernapping schützt auch Erwachsene vor Überreizung. Allerdings gibt es Menschen, die lieber auf einen Mittagsschlaf verzichten sollten, sagt Schlafmediziner Professor Ingo Fietze von der Charité:
"Wenn wir von Minischlaf oder Kurzschlaf sprechen, sprechen wir von zwei Drittel der Deutschen, die sich den Minischlaf leisten können. Ein Drittel der Deutschen, nämlich die, die sensibel oder schlecht schlafen, die dürfen tatsächlich keinen Mittagsschlaf machen, das macht den nächtlichen Schlaf kaputt, das bringt Probleme beim Einschlafen am Abend und deswegen: Mittagsschlaf tatsächlich nur für die "guten Schläfer" unter uns."