Gerade einmal 27% der Rennradfahrenden in Deutschland sind Frauen. Zu diesem Ergebnis kommt eine Marktforschungsstudie aus diesem Jahr. Das deckt sich mit der Mitgliederstatistik des Bund Deutscher Radfahrer. Bernd Schmidt ist dort Vizepräsident Breitensport. In diesem Anteil sieht er erstmal kein Problem: "Ich gehe davon aus, dass da gar nichts fehlt. Die Anzahl der Frauen wird kontinuierlich mehr. Und die sind in unsere Sportarten voll integriert. Das heißt, wir treiben Sport gemeinsam und nicht getrennt wie es beim Radrennen zum Beispiel der Fall ist. Grundsätzlich wäre es eine Frage, die man den Frauen stellen sollte: Warum fahrt ihr kein Fahrrad? Es ist doch das beliebteste Sport-Instrument der Deutschen."
"Für mich war das auch eine Riesenüberwindung. Wo ich dahin gefahren bin und die Gruppe gesehen habe, ich wäre am liebsten gleich wieder umgedreht", antwortet Julia Wagner aus dem Vorstand vom RV Pfeil Tübingen. Ihrer Einschätzung nach braucht es Gelegenheiten, bei denen man nicht die einzige Frau in einer Gruppe ist.
Sie organisiert deshalb in ihrem Verein Ausfahrten nur für Frauen. "Es ist ein geschützter Rahmen, es ist eine andere Atmosphäre. Muss man wirklich sagen. Die Frauen trauen sich dann eher dorthin zu gehen. Man kann auch über Themen reden, die für Männer vielleicht nicht so interessant sind, oder die frauenspezifisch sind. Gerade so Trainingsfragen auch. Es wird ja gerade auch immer mehr Mode, dann auch den Zyklus der Frau da mit einzubeziehen, weil es dann ein ganz anderes Training ist als bei Männern."
"Männer haben eine Hemmung zu sagen, dass sie nicht mehr so schnell fahren können"
Alex Jontschew hat das ganz ähnlich erlebt. Sie hat in 2019 das Cyclits Cycling Collectiv in Köln gegründet. Ein Verein für Flinta und mit Männerquote. Flinta steht für weiblich, lesbisch, non-binär, inter-, trans, oder asexuell. Sie beobachtet, dass Männer und Frauen sich im Sattel anders verhalten.
Wenn frau von „kürzer“ spricht, meint sie damit „langsamer“ - ein klassischer Radsportbegriff. "Männer haben da eine Hemmung 'kürzer' zu rufen, verausgaben sich entweder total, oder lassen sich im Zweifel heimlich zurückfallen. Frauen sind da viel ehrlicher und rufen mal 'kürzer'. Männer haben eine totale Hemmung zu sagen, dass sie nicht mehr so schnell fahren können. Die haben Hemmungen zu sagen, dass sie noch nie so weit gefahren sind, dass sie im Zweifel auch noch keine Gruppenerfahrung haben."
Mansplaining ein großes Thema
Was beim Fahren unharmonisch sein kann, ergänzt Julia Wagner, kann auch persönlich unangenehm werden. Dabei sieht sie Mansplainig als ein großes Thema. "Einige wenige Männer haben dann so den Anspruch, sie müssten der Frau dann die Welt erklären. Und das ist im Radsport auch ein ganz großes Thema und es nervt sehr. Dein Sattel ist zu hoch, dein Sattel ist zu tief. Du musst so sitzen. Ohne dass ich gefragt hätte und solche Sachen. Oder: Oh, da musst du das und das machen. Also wenn ich etwas wissen will oder nicht weiter weiß, dann gehe ich auf jemanden zu, wo ich weiß, der hat Ahnung. Und er kennt sich aus und frage nach. Vielleicht einfach mal darüber nachdenken und überlegen, was sage ich jetzt einfach zu dieser Frau oder zu dieser Person? Muss ich das jetzt wirklich so formulieren? Oder darüber nachdenken: Würde ich das auch zu einem Mann sagen?"
Ausfahrten nur für Frauen sind kein übliches Angebot der Radsportvereine. Doch sowohl Julia Wagner aus Tübingen, als auch Alex Jontschew aus Köln berichten von deren Erfolgen. Das Cyclits Cycling Collective beispielsweise zählt inzwischen rund 100 Mitglieder. "Wir machen das jetzt seit 2019 und bei all unseren Ausfahrten haben wir immer wieder neue Gesichter dabei, die sich überwinden, die sagen, ich wollte eigentlich schon letztes Jahr, aber habe mich nicht getraut in einer Gruppe, weil ich mich noch nicht tough genug gefühlt habe, die mit einem Lächeln nach Hause gehen, weil sie so glücklich sind mitgefahren zu sein und uns am nächsten Tag eine Nachricht schreiben: Ich habe immer noch das Grinsen im Gesicht."
Die Erfahrungen von Bernd Schmidt vom Bund Deutscher Radfahrer sehen anders aus. Er hat in diesem Jahr im Rahmen eines Freizeit-Events eine Fahrt nur für Frauen organisiert. Die wurde aber kaum angenommen: "Das heißt nicht, dass an dem Tag keine Frauen unterwegs waren, sondern dass die normal gestartet sind mit den Männern zusammen in einer Gemeinschaft. Es hat uns eigentlich gezeigt, dass die Frauen so was eigentlich gar nicht wollen und vielleicht auch gar nicht brauchen. Akzeptierter Sport in der Gemeinschaft ist vielleicht manchmal wichtiger, als irgendetwas zu separieren."
Unterschiede zwischen Männer und Frauen auf dem Rad gering
Damit spricht er einen Punkt an, der nicht zu unterschätzen ist. Als Ausdauersport ist gerade der Radsport eine Disziplin bei der die Unterschiede zwischen den Geschlechtern körperlich geringer sind als in anderen Sportarten. Schmidt: "Es gibt die gleichen Leistungsunterschiede im männlichen wie im weiblichen Bereich. Auch da gibt es Radfahrer, die superschnell fahren, genauso wie es Radfahrerinnen gibt, die superschnell fahren. Und es gibt auch die, die langsamer fahren wollen. Das ist nicht geschlechterspezifisch."
Alex Jontschew kommt zu einem versöhnlichen Schluss: "Ein Fahrrad unterscheidet nicht das Geschlecht, wie viel Spaß es macht und wie gut du sein kannst. Auf dem Rad ist jeder willkommen und gern gesehen. Und vor allen Dingen sollte nicht unterschieden werden, wem was aufgrund seines Geschlechts angeboten wird oder welche Optionen man hat."