Ein spannender Giro. Er wird auf der Straße, im Kopf und ein wenig auch mit dem Mund entschieden. Vor allem zwischen Vincenzo Nibali, Tom Dumoulin und Nairo Quintana gibt es Kontroversen. Als "etwas großspurig" bezeichnete Titelverteidiger Nibali den lange führenden Dumoulin. Der hatte die Taktik seiner Rivalen kritisiert: "Ich war nicht glücklich damit, wie sie fuhren. Sie wollten ganz allein mich verlieren lassen."
Natürlich wollen Nibali und Quintana Dumoulin verlieren sehen. Denn er erwies sich bei diesem Giro bislang als härtester Rivale. Als dann Nibali Dumoulins Worte in einer längeren Rede selbst hart verurteilte, konterte Dumoulin: "Und er nennt mich großspurig? Gut. Aber das sind auch ziemlich viel große Worte von seiner Seite."
Alles begann am Dienstag. Da war Dumoulin das erste Mal sauer. Denn als er ausgerechnet auf dem Anstieg zum Stilfser Joch von Durchfall geplagt wurde und schnell in die Büsche ging, attackierten die Teams von Nibali und Quintana. Nibali gewann die Etappe, Dumoulin verlor über zwei Minuten, behauptete aber das Rosa Trikot des Gesamtführenden.
"Persönliches Bedürfnis kam zu unglücklichem Zeitpunkt"
Im Lager von Nibali konnte man wiederum nicht verstehen, warum Dumoulin überhaupt auf die Idee kam, dass die anderen wegen einer Toilettenpause warten müssten. "Meiner Meinung nach, wenn Dumoulin gestürzt wäre oder eine Panne gehabt hätte, dann hätte man das Rosa Trikot respektieren müssen. Aber Dumoulin hat ein persönliches Problem gehabt. Es waren nur 15 Kilometer Anstieg. Die Etappe war in der entscheidenden Phase. Sein persönliches Bedürfnis kam zu einem unglücklichen Zeitpunkt.", sagte Nibalis Trainer Paolo Slongo.
Slongo legte noch ein wenig nach, erteilte Dumoulin und dessen deutschen Team Sunweb Nachhilfeunterricht in Sachen Grand-Tour-Managment: "Ich sage immer, in einer großen Rundfahrt muss man sich im Rennen, aber auch außerhalb des Rennens gut managen. Und wenn einer ein zu kaltes Getränk zu sich nimmt, oder einen anderen Fehler macht, dann zahlt er. Das gehört zum Rennen." Ein Energieriegel war die Ursache von Dumoulins Malheur. Der Niederländer gab am Ende zu, dass die anderen Recht hatten, nicht zu warten.
Die nächste Auseinandersetzung kam am Donnerstag. Quintana und Nibali, zu diesem Zeitpunkt Zweiter und Dritter hinter Dumoulin, setzten nicht hinterher, als der damalige Gesamtvierte Thibaut Pinot attackierte. Dumoulin wollte nicht ganz allein die Nachführarbeit machen. Es gab ein absurdes Steherrennen des Führungstrios. Keiner wollte nach vorn. Die anderen Klassementfahrer machten Zeit gut. Und Dumoulin kritisierte seine Hauptrivalen.
"Im Finale war ich nicht richtig glücklich mit der Situation. Ich wäre lieber mit den anderen Klassementfahrern zusammengeblieben. Wir waren auf dem Gipfel alle zusammen. Und dann waren es nur noch vier flache Kilometer bis zum Ziel. Es wäre für Quintana, Nibali und für mich gut gewesen, alles zusammenzuhalten." Er ging sie regelrecht an: "Deshalb habe ich ihre Taktik nicht verstanden. Und ich war ein bisschen frustriert und enttäuscht, dass sie immer nur hinter mir blieben. Deshalb war ich etwas sauer. Ich verstehe das nicht."
Quintana: "Immer respektvolle Worte für meine Rivalen"
Das war der Moment, in dem Nibali Dumoulin als "großspurig" beschimpfte - und ebenfalls zu einer Nachhilfestunde einlud; dieses Mal zu Taktikfragen. "Er darf nicht davon ausgehen, dass wir, wenn der Vierte und Fünfte des Klassements attackieren, hinterhergehen. Dann würden wir ihn in der Kutsche nach Mailand begleiten, und er würde sagen: Danke. Meiner Meinung nach soll er in die Pedale treten, wie er das wirklich gut macht. Ich hatte niemals eine so große Klappe. Man muss mit den Füßen auf dem Boden bleiben. Und es gibt Karma. Alles kommt irgendwie zurück."
So kam es auch. Einen Tag später, am Freitag, gingen Dumoulin die Kräfte aus. Er verlor das Rosa Trikot an Quintana. Und auch Nibali rückte näher. Meldete sich da tatsächlich das Karma? "Es scheint so. Wenn das das Karma ist, dann ist das gut. Denn wenn das mein schlechter Tag war und ich morgen wieder gute Beine habe, dann bin ich glücklich."
Nairo Quintana hingegen versuchte sich komplett aus den verbalen Schlachten herauszuhalten. Der Kolumbianer hat ja auch noch mehr vor. Er will nicht nur den Giro, sondern danach gleich noch die Tour gewinnen. Da spart man besser Energie. "Mir gefällt es nicht, in ein Spiel mit Worten einzutreten. Ich respektiere ihre Taten. Ich habe immer ernsthafte und respektvolle Worte für meine Rivalen gehabt."
Gar nicht geäußert hat sich bisher Thibaut Pinot. Der Franzose erwies sich in der dritten Woche als aktivster Kletterer und könnte lachender Vierter in diesem Dreierstreit sein. Diese 100. Ausgabe des Giro d'Italia hat enorm viele Facetten.