Es lief schon richtig gut für Roger Kluge: Im vergangenen Sommer eskortierte er seinen Kapitän im Lotto-Soudal-Team, den Australier Caleb Ewan zu drei Etappensiegen bei der Tour de France, bei der Tour Down Under in Australien waren es auch schon wieder drei Tagessiege. Die Tour de France – also einer der Saisonhöhepunkte auf der Straße - steht auch in diesem Jahr auf Roger Kluges Jahresplan. Direkt danach geht es zu den Olympischen Spielen nach Tokio wieder auf die Bahn:
"Es wird eine höherwertige Saison als die Letzte", sagt Kluge. "Die Letzte war schon erstklassig: eine super Straßensaison und auch eine WM. Aber dieses Jahr wird mit Olympia das Ganze nochmal getoppt. Und dazu die Heim-WM. Es ist immer schön zu Hause eine WM zu haben, passiert nicht so oft.
Und dennoch startete Roger Kluge in dieser Woche in Südaustralien in die Straßensaison und verzichtete dafür auf einen Einsatz beim Bahnrad-Weltcup-Finale in Kanada und auch auf das lukrative Sechstagerennen in seiner Heimatstadt Berlin. Mit dieser Vita kann Roger Kluge wie kaum ein anderer auch zwei Welten des Sports vergleichen: Hier der hochprofessionelle Straßenradsport der Männer mit Markenteams, die zwischen 15 und 40 Millionen Euro pro Saison umsetzen. Und dort der klassische olympische Bahnradsport, in Deutschland sportlich erfolgreich, aber nur bedingt professionell:
"Klar – wenn man einfach aufs Geld guckt, was halt immer die große Rolle spielt, wie professionell man agieren kann, hängen wir in Deutschland anderen Nationen sicherlich hinterher. Ich glaube schon, dass zum Beispiel die Briten und Australier deutlich mehr haben", sagt Kluge.
"Nachwuchs ein bisschen ausgestorben"
Dem deutschen Bahnradsport auf der Hochleistungssportebene stellt Roger Kluge trotzdem ein gutes Zeugnis aus. Den großen Unterschied zu Nationen wie Großbritannien oder Australien und auch zum Straßenradsport sieht er in der Förderung des Nachwuchses und auf der Vereinsebene:
"Ich glaube, man müsste wahrscheinlich nicht oben anfangen sondern in der Vereinsarbeit. Der Nachwuchs an sich ist in den letzten Jahren doch ein bisschen ausgestorben. Viele kleinere Rennen, lokale Rennen sind nun mal ausgefallen. Es ist schwierig, Nachwuchs nach oben zu bringen. Und dann ist es natürlich in dem Elitebereich, wo wir uns befinden, der große Unterschied zu den anderen Nationen, wo glaube ich einige Jugendliche und Junioren mehr hochkommen und es eine viel größere Breite an Sportlern gibt."
Und in denen auch Bahnradsportler - vereinfacht gesagt – reich und berühmt werden können. Gerade von den Ausdauerfahrern, also jenen aus dem Bahnvierer, erwartet oder befürchtet auch Roger Kluge nach Olympia den Wechsel auf die Seite des Sports, in der das Geld fließt:
"Die wollen natürlich alle Profi werden aktuell. Weil die Bahn nicht interessant genug ist, wie es vor 20 Jahren war als wir Olympiasieger geworden sind und vielleicht noch viel mehr auf die Bahn wollten. Und dann sind sie über die Bahn, wie ich es auch gemacht habe, zum Straßenprofi geworden oder gereift."
Meisterschaften für Straße und Bahn wieder gemeinsam
Gerade die vergangenen Monate mit der kräftezehrenden Olympia-Qualifikation mit Weltcups auf vier Kontinenten und wochenlangen Trainingslagern auf der Bahn haben gezehrt: "Das war für die Jungs auch nicht leicht, soviel Reisen und soviel Training. Bis jetzt haben sie alles gut gemeistert, aber ich weiß natürlich, dass es nicht leicht war. Jetzt mit Tokio kommt noch mal ein Ziel, wo sie sich alle festbeißen und die Opfer bringen, viel unterwegs zu sein, viel zu trainieren und viele Radrennen zu machen. Aber irgendwann ist auch mal Schluss und dann gehen die halt auch mental kaputt oder brauchen halt auch mal ein bisschen Pause."
Gefordert ist der Weltverband UCI, der tatsächlich eine Reform des Bahnradsport-Kalenders anstrebt, um ihn zum einen zu entzerren und zum anderen mit gemeinsamen Bahn- und Straßenveranstaltungen attraktiver zu machen für Straßenprofis und deren Teams. So werden die Europameisterschaften 2021 und 2022 sowie die Weltmeisterschaften 2023 – wie bis Mitte der 90er Jahre praktiziert – für beide Sparten zur selben Zeit am gleichen Ort stattfinden.
Zunächst aber gibt es in fünf Wochen in Berlin erstmals seit 16 Jahren wieder eine Bahnrad-WM in Deutschland. Im Velodrom an der Landsberger Allee, in dem gerade jeden Abend Zehntausend Zuschauer das Sechstagerennen verfolgen, tun sich die Veranstalter unglaublich schwer, die WM standesgemäß vor vollen Rängen auszurichten. Roger Kluge erinnert sich mit Kopfschütteln an die leeren Ränge bei den Europameisterschaften 2017 und einem Weltcup 2018:
"Richtig! Da war es noch ein bisschen mager, sagen wir es mal so. Ich erwartete auch jetzt nicht am Donnerstag oder Freitag volles Haus. Klar, die Leute müssen auch arbeiten. Es wäre trotzdem schön, wenn sie kommen. Es geht ja nicht so lange wie beim Sechstagerennen. Also wenn sie es trotzdem nach der Arbeit schaffen ins Stadion zu kommen, und den Vierer anzugucken, der hoffentlich neuen Rekord fährt und der definitiv auch Fortschritte macht und auf einem sehr guten Weg ist, vielleicht für eine Überraschung in der Heim-WM zu sorgen."
Die er selbst als Zweiermannschafts-Weltmeister 2018 und 2019 mit seinem Partner Theo Reinhardt mit dem höchstmöglichen Ziel angeht:
"Ja logisch. Wir wollen wieder gewinnen. Es wäre historisch – dreimal in Folge, dass hat bis jetzt keiner. Von daher ist es schon ein kleines Ziel, speziell bei der Heim-WM natürlich gut auszusehen und mit Medaillen zu glänzen, im besten Fall mit Gold."
Das gilt auch für die Olympischen Spiele in Tokio. Und danach heißt es auch für ihn erst mal: Auf Wiedersehen Bahnradsport. Ende des sportlichen Doppellebens.