Radsport
Der Dopingfall Michel Heßmann wird zum Marathon

Der Dopingfall des Radprofis Michel Heßmann stellt jede Grand Tour in den Schatten. Weil die Verteidigung von einer Verunreinigung ausgeht, könnte sich das Verfahren bis ins nächste Jahr ziehen - genau wie die Zweifel am Rennstall Jumbo Visma.

Von Tom Mustroph |
Michel Heßmann fährt seit 2020 für Jumbo Visma.
Michel Heßmann fährt seit 2020 für Jumbo Visma. (imago images / Beautiful Sports / BEAUTIFUL SPORTS / Nagel via www.imago-images.de)
Im Mai war die Welt von Michel Heßmann noch in Ordnung. Platz 33 bei seiner ersten großen Rundfahrt als Radprofi, bei der er Kapitän Primoz Roglic zum Gesamtsieg verhalf. Sein sportlicher Leiter Marc Reef war des Lobes voll: "Er hat heute und auch die letzten Tagen einen wirklich starken Job gemacht. Im Flachen ist er einer der Stärksten, beim Positionieren ist er zur Stelle. Und nun legt er auch noch in den Bergen ein solches Tempo vor, dass einige Jungs richtig leiden müssen."
Heßmann war beim Giro als Helfer eine Art Rundumsorglospaket: Auf jedem Terrain eine Bank, und das trotz der erst 22 Jahre. Er wurde im Vorjahr auch Dritter der Tour de l’Avenir, der Tour de France der Nachwuchsfahrer und war Deutscher Zeitfahrmeister der U23.

Entwässerungsmedikament bei Heßmann festgestellt

Eines der größten deutschen Radsport-Talente und dann das: Bei einer Trainingskontrolle im Juni, gut zwei Wochen nach dem Giro, wurde bei Heßmann ein verbotenes Mittel festgestellt, ein Entwässerungsmedikament. Nach Bekanntgabe der positiven A-Probe im August suspendierte ihn umgehend sein Team.
Die Kommentare waren aber schmallippig. Teamchef Richard Plugge am Rande der Vuelta, die sein Team ebenfalls gewann: "Wir haben uns dazu geäußert, als die Nachricht unmittelbar kam. Jetzt gibt es keine Neuigkeiten. Wir warten auf offizielle Benachrichtigungen."
Inzwischen wurde der Fahrer von der positiven B-Probe informiert. Sein Team wollte auf Nachfrage von Deutschlandfunk aber keine neue Stellungnahme abgeben.

Heßmanns Anwalt geht von Verunreinigung aus

Heßmanns Anwalt Rainer Cherkeh teilte dem Deutschlandfunk mit, dass er von einer Verunreinigung ausgehe, durch die die Substanz in den Körper seines Mandanten gelangt sei. Mit einem Entwässerungsmittel kann das Gewicht künstlich reduziert werden. Man kann mit ihm auch Dopingpräparate oder deren Abbauprodukte aus dem Körper schwemmen, um deren Konzentration unterhalb der Nachweisgrenzen zu halten. Allerdings ist diese Manipulation auch erschwert, weil es inzwischen Grenzwerte für die Dichte der Urinproben gibt.
Hoffnung dürfte Heßmann der Fall zweier französische Fechter im Jahr 2015 machen. Sie wurden freigesprochen. Eine Analyse des Kölner Dopingkontrolllabors zeigte auf, dass sich unter bestimmten Bedingungen die Substanz im Körper selbst bilden könne.

Glaubwürduigkeit von Jumbo Visma steht infrage

Und weil das Kontaminationsrisiko ebenfalls sehr hoch ist legte die Welt-Anti-Doping-Agentur WADA 2021 Mindestgrenzen für Entwässerungsmittel fest.
Ob der Fall Heßmann darunter fällt, dürfte zum Schlachtfeld von Experten beider Seiten werden. Bis dahin muss auf eine Bewertung der ethischen Glaubwürdigkeit des Sportlers selbst und seines weltbesten Rennstalls gewartet werden.