Es ist eine Liaison, die den Radsport maßgeblich verändern könnte – mindestens die Kräfteverhältnisse zwischen den Teams, wenn nicht sogar den ganzen Sport in seiner Vermarktung. Red Bull steht vor dem Einstieg als Mehrheitseigner des deutschen Radrennstalls Bora-hansgrohe. Das ging aus einer Mitteilung der österreichischen Bundeswettbewerbsbehörde (BWB) am Mittwoch (03.01.2024) hervor, die Bora später bestätigte.
Eine Überraschung für einige, aber nicht unbedingt für Branchenkenner wie Hans-Michael Holczer. Er sagt im Dlf-Interview: "Wenn man das beobachtet hat, konnte man sogar schon über Jahre hinweg eine gewisse Anbahnung feststellen zwischen dem Rennstall von Ralph Denk und den Red Bullern aus Salzburg." Red Bull und Bora-hansgrohe kooperieren schon länger im Jugendbereich, etwa bot Anfang 2023 das "Junior Brother"-Programm jungen Athleten die Chance, sich um einen Bora-U19-Profivertrag zu bewerben.
Red Bulls Einstieg könnte Radsport revolutionieren
Sehr wohl käme die Nachricht aber mit einer relativ starken Wucht, erklärt Holczer: "Denn 51 Prozent eines Unternehmens im Sportbetrieb zu unternehmen heißt: Man hat da die volle Kontrolle." Der ehemalige Manager des Teams Gerolsteiner bezeichnet den bevorstehenden Red-Bull-Einstieg als beispiellosen Vorgang im Radsport:
Es ist ein Meilenstein in der Entwicklung des Radsports. Und zwar weltweit. Red Bull ist – und da gibt's keine Diskussion – einer der Big Player des Sportmarketings, des Sportbusinesses.
Hans-Michael Holczer über die Bedeutung des Einstiegs von Red Bull
Holczer sieht in den Mitarbeitenden des Getränke-Giganten "absolute Marketingspezialisten, Top-Strategen, vielleicht die besten oder mit die besten, die es überhaupt gibt".
Was passiert mit mittelständischen und kleineren Sponsoren?
Zwangsläufig stellt sich nun die Frage, was der Einstieg eines Riesen für die mittelständischen bis kleinen Sponsoren im Radsport bedeutet. Holczer kennt die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, die für Teams im Profibereich gelten. Er führte zwischen 1999 und 2008 das Team Gerolsteiner. Der Manager gab damals seinen Rückzug bekannt, nachdem mit Bernhard Kohl der zweite Gerolsteiner Fahrer des Dopings überführt worden war.
Holczer erinnert sich an die Wasser-Marke als Hauptsponsor zurück: "Eine ganz tolle Firma, die in der Eifel sitzt und den Radsport genutzt hat, um letztendlich das Image der Marke zu verändern, um ein Stück weit mehr Bekanntheitsgrad zu schaffen. Kann so einer nochmal einsteigen in den Radsport?"
Es bleibe demnach abzuwarten, ob der Radsport im Allgemeinen vom Red-Bull-Einstieg profitiert – oder nur das direkt gesponserte Team. Denn Holczer erwartet zwei Entwicklungstrends: "Die eine Richtung wird die sein: Es gibt mehr Awareness, mehr Zuschauer, es wird ganz anders präsentiert sein. Das wird sicherlich dem Radsport im Allgemeinen nützen."
Aber es gebe auch eine andere Seite: "Ob es dem Radsport nutzt, wenn immer die ganz Großen dabei sind, was die finanzielle Kapazität anbetrifft, dann tut es sicherlich dem Sport selbst und den Top-Fahrern gut. Aber die Möglichkeit, neue Mannschaften zu gründen, die dann auch noch eine Rolle in der Öffentlichkeit spielen, die man wahrnimmt – das wird, glaube ich, ein Stück schwieriger."
Holczer beobachtet Auswirkungen des Deals mit Spannung
Erster und offensichtlicher Profiteur des Deals ist natürlich das Team von Ralph Denk, Bora-hansgrohe. Holczer erwartet mit Spannung, wie es nun weitergeht: "Ich denke, die Verträge sind langfristig geschlossen. Es muss ja nicht unbedingt heißen, dass Red Bull vom ersten Tag an als Hauptsponsor des Teams auftritt. Es kann durchaus auch einen schleichenden Übergang geben, dass vielleicht auch Bora sich ein Stück weit zurücknimmt – mit hansgrohe, das wird man langfristig sehen."
Dabei unterstreicht Holczer nochmal mit Nachdruck: "Es geht natürlich um die Grundintention dieser ganzen Geschichte: Man will dieses eine Radrennen in Frankreich [Tour de France, d. Red.] gewinnen." Dafür hat Bora-hansgrohe-Manager Denk bereits Hebel in Bewegung gesetzt. Jüngst verpflichtete er den Giro-d'Italia-Sieger von 2023, Primoz Roglic (Slowenien, Jumbo-Visma), für seine Mannschaft.
jti