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Radsport
Giro-E - das elektrische Baby

Der Giro d’Italia ist 114 Jahre alt. Seit 2019 hat er einen jungen Ableger: den Giro-E, ein Radrennen mit E-Bikes. Sogar Ex-Profis wie Giro-Gesamtsieger Damiano Cunego machen mit. Der Straßenradsport soll so auch klimafreundlicher gemacht werden.

Von Tom Mustroph |
Die sechste Etappe der Giro-E 2023. Mir dabei ist auch Italiens einstiger Nationaltrainer Davide Cassani (vorne).
Die sechste Etappe der Giro-E 2023. Mir dabei ist auch Italiens einstiger Nationaltrainer Davide Cassani (vorne). (IMAGO / LaPresse / IMAGO / Alessandro Garofalo / LaPresse)
Daniele Bennati hat bei allen großen Landesrundfahrten Etappen gewonnen, war einst einer der besten Sprinter der Welt. Und auch mit 42 Jahren ist er noch beim Giro D’Italia dabei – allerdings dem Giro-E, der Italienrundfahrt auf E-Bikes. Bei den Sprints um den Etappensieg hält er sich mittlerweile zurück: "Nein, es ist nur fair, denen etwas Ruhm zu lassen, die nicht die Möglichkeit hatten, früher Rennen zu fahren.“
Das E-Bike-Rennen genießt er jedoch, vor allem wegen der sozialen Aspekte: „Ich bin hier als Gast, wie schon im letzten Jahr. Und es ist eine schöne Art und Weise, mit vielen alten Freunden und Kollegen zusammen zu sein.“

Ex-Profis sorgen für mehr Popularität

Dass Ex-Profis wie Bennati oder der frühere Giro-Gesamtsieger Damiano Cunego und auch Italiens einstiger Nationaltrainer Davide Cassani an der E-Bike-Version teilnehmen, hat zur Popularität des Events beigetragen. Man sieht es an den Menschen, die zujubeln, wenn das elektrifizierte Peloton etwa anderthalb Stunden vor den Profis ins Ziel kommt.
Rennorganisator Roberto Salvador merkt es auch an steigenden Teilnehmerzahlen: „Im ersten Jahr hatten wir 15 Starter. Heute fuhren 150 Personen. Im letzten Jahr nahmen 13 Teams teil, jetzt 22. Es gibt so viel Interesse, dass wir sogar die Einschreibung schließen mussten, weil es zu viele Nachfragen für unsere Kapazitäten gab. Ja, das ist sehr schnelles Wachstum.“

E-Bikes auf 25 km/h beschränkt

Die Teilnehmer werden von den Teams aufgestellt. Und die tragen Firmennamen, ähnlich wie im echten Rennsport. Oft handelt es sich um Unternehmen, die in das Geschäftsfeld E-Mobilität investieren. Die Automarke Toyota ist dabei, Reifenhersteller Continental, die italienische Eisenbahn Trenitalia und der Energiekonzern ENEL. Die Leistung der E-Motoren ist allerdings begrenzt: „Die E-Bikes müssen innerhalb der gesetzlichen Vorgaben liegen. Sie schaffen nur maximal 25 km/h, es sind keine Motorräder", sagt Salvador.
Als Erleichterung sind auch die Etappen auf 70 bis 100 km verkürzt. Und ohnehin kommt es nicht drauf an, wer der Schnellste ist. „Das ist ein Kollektivevent. Es gibt während des Rennens Mannschaftswettkämpfe. Die sollen den Zusammenhalt untereinander stärken. Unter den Kapitänen sind ehemalige Profis, die den Teilnehmern helfen. Manche unter ihnen sind leidenschaftliche Radsportler, andere kommen von ganz anderen Sportarten oder verfolgen komplett andere Aktivitäten.“
Einer dieser Kapitäne, die helfen, ist der frühere Giro-Sieger Damiano Cunego. Auch er hebt den Reiz des gemeinsamen Erlebnisses hervor: „Es ist eine schöne Erfahrung, aber auch ganz anders als der Radsport, wie wir ihn kennen. Er gibt denen die Möglichkeit, die sich dem Radsport erst annähern und vielleicht auch zweifeln. Die E-Bikes unterstützen sie, vor allem bei den langen Anstiegen."
Die Spezialwettbewerbe sehen auch vor, dass jedes Team möglichst geschlossen einzelne Teilstücke absolviert oder eine bestimmte Durchschnittsgeschwindigkeit einhält.

Motiv: Straßenradsport klimagerechter machen

Pate stand beim Giro-E die Formel E im Automobilrennsport. Und auch das Bemühen, den Straßenradsport klimagerechter zu machen, ist ein Motiv.
Giro-E-Direktor Salvador war zuvor lange Jahre Logistik-Chef des klassischen Giro: “Der Giro-E will so nachhaltig wie möglich sein. Über den Versuch hinaus, die Bevölkerung für E-Bikes und andere nachhaltige Transportformen zu gewinnen, nutzen wir selbst als Organisation E-Autos. Wir erhöhen die Nachhaltigkeit auch, indem wir nachwachsende Materialien benutzen. Das Startvillage zum Beispiel ist komplett aus Holz. Und im Gästebereich nutzen wir Materialien, die Kohlendioxid aufnehmen, um so unsere Emissionen zu reduzieren.“
Der Einsatz von Solaranlagen versteht sich da schon fast von selbst. Und auch die Firmen, die sich am Giro-E beteiligen, wollen grüner werden. Toyota stellt die E-Autos für die Organisation. Continental stattet einige Teams mit Reifen aus, die aus Löwenzahn gefertigt werden.

Giro trotzdem klimaschädlich

Das sind schöne Ansätze. Doch der Giro mit seiner immensen Fahrzeugkarawane und den Fans an der Strecke, die auch nur teilweise mit dem Rennrad anreisen, ist trotzdem ziemlich klimaschädlich.
Und ganz hat der E-Bike-Sport unter den Radsport-Cracks sein Image als Hobby für nicht mehr ganz fitte Grauköpfe auch noch nicht überwunden. Fährt Daniele Bennati zum Beispiel auch privat E-Bike? "Nein, niemals. Bis jetzt klappt es noch mit dem normalen Rad.“
Der Giro-E ist ein Baby, das sich von seinem nicht-elektrischen Elternteil erst emanzipieren muss. Aktuell ist es noch im niedlichen Krabbelalter. Aber es wird sicher wachsen.