Es ist die Zeit der Symbolpolitik. Bei der Flandernrundfahrt letzte Woche nahm der neue Chef der niederländischen Supermarktkette Jumbo Platz im Teamfahrzeug von Jumbo-Visma. Das ist derzeit das erfolgreichste Team des Straßenradsports. Es führt auch die Teamrangliste an. Aber die Nachricht, dass sich Jumbo, Hauptsponsor des Teams, komplett aus dem Radsport zurückziehen will, sorgte für Tubulenzen.
Deshalb setzte sich Ton van Veen, neuer Geschäftsführer der Supermarktkette, ganz demonstrativ ins Auto zu den sportlichen Leitern und erlebte das Rennen hautnah. Er wollte vor allem Bedenken ausräumen. "Die Antwort ist, dass wir eine Reihe von Dingen überdenken. Das bezieht sich nicht nur auf das Sponsoring von Jumbo", sagte er Reportern am Rande der Flandernrundfahrt. Wirklich beruhigen konnte er die Gemüter nicht.
„Sponsoring hat immer einen gewissen Lebenszyklus. Wir haben die Top-Weltmeister in der Formel 1, im Radsport, im Eisschnelllauf. Jetzt denken wir darüber nach: Wollen wir so weitermachen mit dem Sponsoring? Steht es an erster Stelle? Oder werden wir einige Dinge tun, etwa zu den Themen Gesundheit oder auch Nachhaltigkeit gegenüber unseren Kunden und Mitarbeitern? Das sind die Überlegungen, die wir anstellen.“
Schwarzgeld- und Steueraffäre um Frits van Eerd
Das klingt nach einer generellen Überprüfung der Sponsoringpolitik. Betroffen davon sind neben Tour de France-Sieger Jonas Vingegaard und Paris-Roubaix-Favorit Wout van Aert auch die Olympiasieger im Eisschnelllauf Thomas Krol und Sven Kramer sowie Formel-1-Weltmeister Max Verstappen.
Hinzu kommt im Hintergrund aber auch eine Schwarzgeld- und Steueraffäre, in die ein Mitglied der Eignerfamilie der Supermarktkette Jumbo verwickelt ist. Frits van Eerd wurde bereits im letzten Jahr festgenommen, weil er Lieferanten von Jumbo unter Druck gesetzt haben soll, das Motorsportteam seines alten Kumpels Theo Eggens mit mehr als drei Millionen Euro zu unterstützen.
Bekannt als „Autohändler der Unterwelt“
Eggens, früher selbst ein Motocross-Pilot, ist eine schrille Figur. Er betrieb auch die Autoverleihfirma Total Trust. Die verlieh Fahrzeuge der Luxusklasse anonym. Und deshalb galt Eggens in der Szene als „Autohändler der Unterwelt“. Zahlreiche Kriminelle, darunter auch Auftragsmörder, gehörten zu den Kunden. Eggens wurde bereits 2008 wegen Geldwäsche und Steuerhinterziehung verurteilt.
Jumbo-Vizechef Frits van Eerd hielt ihm dennoch die Treue. Und schmückte sich und sein Unternehmen gern mit den Erfolgen der Top-Sportler. "Sponsoring ist uns nicht so wichtig. Wir sehen das viel mehr als Marketing. Wir arbeiten natürlich mit Max Verstappen und sind im Radsport und im Eisschnelllauf aktiv. Diese Athleten dort können unsere DNA, unsere Philosphoie gut verbreiten. Unternehmertum und Siegen wollen passen sehr gut zusammen. Denn den Spitzensportlern geht es ja um die Siege", sagte van Eerd anlässlich des 100jährigen Jubiläums des Familienunternehmens. Damals, 2021, schien die Jumbo-Welt noch in Ordnung.
Wahrscheinliche Ausstieg des Hauptsponsors sorgt für Unruhe
Nach seiner Verhaftung Ende letzten Jahres trat Frits van Eerd von allen offiziellen Positionen bei Jumbo zurück. Miteigentümer ist er noch immer. Aber das Sportsponsoring, das er vor allem für den Motosport und sein Ende letzten Jahres im Alter von 84 Jahren verstorbener Vater Karel, vor allem für den Radsport voller Leidenschaft betrieben hatten, wird nun ganz prinzipiell überdacht.
Einen Ausstieg vor 2024 schloss der neue Firmenchef Ton van Veen letztes Wochenende immerhin aus. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass wir Jumbo-Visma aufgeben werden. Es wird keinen Abschied geben. Wir werden der Hauptsponsor für die kommenden Jahre bleiben.“
Für Aufregung im Radsport sorgt der ab der Saison 2025 ziemlich wahrscheinliche Ausstieg des Hauptsponsors aber dennoch. Ralph Denk, Chef des deutschen Rennstalls Bora hansgrohe. "Mich wundert es ein bisschen, dass das Schöne, das Emotionale, wenn eine Mannschaft sich so entwickelt und dann oben angekommen ist, dass man dann das vielleicht nicht noch ein, zwei, drei, vier Jahre weitermacht.“
Die Geldgeber bestimmen die Teamnamen
Denk begrüßt immerhin, dass die Signale, auszusteigen, frühzeitig kamen. Sie lassen Jumbo-Visma Zeit, sich nach Alternativen umzuschauen.
Der Ausstieg von Sponsoren ist ein Klassiker im Radsport. Zu Beginn jeder Saison ändern sich die Namen von Teams aufgrund der wechselnden Geldgeber. Deceuninck Quickstep wurde zu Soudal Quick Step, Alpecin Fenix im Gegenzug zu Alpecin Deceuninck. Team BikeExchange ist jetzt Jayco AlUla, Team Sky änderte vor einigen Jahren komplett Farben und Namen und wurde zu Ineos Grenadiers.
Deshalb ist man bei Jumbo-Visma gegenwärtig vom Panikmodus auch weit entfernt. Teamchef Richard Plugge: „Nein, dieses Projekt läuft weiter. Wir haben es gestartet, und jetzt stehen wir an der Schwelle zur nächsten Phase. Das ist es, was wir miteinander besprechen werden. Und, nein, ich mache mir keine Sorgen.“
Sponsorensuche wird zum Überlebenskampf
Jumbo-Visma steht vielleicht tatsächlich vor dem Schritt, zu groß, zu international für einen Sponsor zu werden, der es hauptsächlich auf den Markt in den Niederlanden abgesehen hat. Knapp die Hälfte der Rennfahrer kommt zwar aus den Niederlanden. Die Topstars aber sind Dänen wie Tour-Sieger Vingegaard, Slowenen wie der dreifache Vuelta-Sieger Primoz Roglic und Belgier wie Wout van Aert. Der frühere Sieger des Klassikermonuments Mailand – Sanremo gilt am Sonntag auch als ganz heißer Anwärter auf einen Sieg bei Paris – Roubaix.
Van Aert fährt jetzt auch darum, neue Sponsoren für den eigenen Arbeitgeber zu gewinnen. Gelingt es dem Rennstall nicht, bis Anfang der nächsten Saison einen neuen Hauptsponsor präsentieren, setzen sich die gnadenlosen Mechanismen des Marktes in Gang: Spitzenfahrer werden abgeworben, Eigeninteressen vergiften das Klima. Der Ritt über die Pflastersteine läutet den finanziellen Überlebenskampf des derzeit erfolgreichsten Radsportteams ein.