Momentan kämpfen Primoz Roglic und Richard Carapaz um das rote Trikot der Vuelta. Das Rennen selbst scheint gut geschützt, findet als eine Art Geisterrennen statt. Wie aber soll es 2021 weitergehen?
Die Hubschrauber kreisen am Himmel, Motoren der Begleitfahrzeuge starten. Auch die Radprofis sind da, kommen zum Einschreiben. Sie fühlen sich sicher bei dieser Vuelta a Espana.
Pascal Ackermann, Sprinter von Bora Hansgrohe und bislang Sieger einer Etappe der Spanienradrundfahrt: "Ich würde behaupten, wir sind hier sicherer als zu Hause. Zu Hause würde man sich mit Leuten treffen. Hier ist man nur in seiner Bubble. Und wir sind ja weit abgeschottet vom normalen Leben hier. Wir haben im Hotel keinen Kontakt, wir haben generell keinen Kontakt zu Außenstehenden."
Die Vuelta ist massiv abgeschirmt. Zuschauer waren offiziell nicht zugelassen an der Strecke. Die Region Asturien, die die Vuelta in diesen Tagen empfängt, übertraf in der letzten Woche mit dem zahlenmäßigen Zuwachs an Infizierten sogar noch die Metropole Madrid.
Alles dicht in Pola de Somiedo
In Pola de Somiedo, dem Ort unterhalb des finalen Anstiegs der heutigen 11. Vuelta-Etappe, war aus Angst vor Corona alles dicht: Hotels, Gaststätten, selbst das Rathaus hatte wegen Covid-Fällen am Freitag schon die Tore geschlossen gehalten.
Diese Angst vor dem Coronavirus steht in starkem Kontrast zur Vuelta. Für die einen ist sie Zeichen der Normalität. Für andere nur ein Symbol für die Rücksichtslosigkeit des Profisports.
Die Vuelta ist das letzte Radrennen dieser Saison und natürlich stellt sich die Frage: Wie kann es weitergehen? Gibt es 2021 den normalen Rennkalender? Pascal Ackermann nimmt diese Ungewissheit pragmatisch.
"Ich meine, ich fahre bis Mitte November Rennen, wo ich normalerweise wieder anfangen würde zu trainieren. Jetzt nehme ich mir erst mal die Zeit, frei zu machen. Und ich gehe davon aus, dass ich nächstes Jahr etwas später in die Saison einsteige. Weil sonst wird es einfach zu viel. Und von daher mache ich mir darüber jetzt noch gar keine Gedanken."
Ralph Denk: "Leistungssport kreiert Vorbilder"
Sein Teamchef Ralph Denk nimmt es kämpferisch. Er will nicht nur, dass alle Rennen so stattfinden wie 2019, auch die in Übersee, in China, Australien, Kanada und dem Nahen Osten. Denk wirbt regelrecht für die Relevanz das Leistungssports.
"Aber eines ist sicher, und da habe ich auch eine ganz klare Meinung, dass der Leistungssport unbedingt stattfinden muss. Denn der Leistungssport kreiert Vorbilder. Ich erlebe das am eigenen Leib. Mein ältester Sohn ist neun Jahre. Sein Zimmer ist voll gepostert mit Peter Sagan. Der identifiziert sich mit Radsport, der fährt selbst Rad, der geht raus in die Natur, der hängt nicht vorm Computer. Und wenn die Jugend keine Vorbilder mehr hat, dann hängen die nur noch vorm Computer rum. Und das ist gefährlich."
Der Profiradsport entdeckt sein Bildungspotenzial. Die Probleme aus der Pandemiesaison nimmt er allerdings auch mit in die Zukunft. Zwei Hauptsponsoren haben sich bereits aus dem Radsport zurückgezogen. Die Lizenz des Rennstalls CCC übernimmt der belgische Zweitdivisionär Circus - Wanty Gobert. Bei NTT allerdings ist die Zukunft völlig ungewiss.
Langzeitfolgen des Coronavirus müssen noch erforscht werden
Zudem drohen ein, zwei Jahrgänge junger Sportler im Corona-Karriereloch zu versinken. Das befürchtet jedenfalls Marc Reef, sportlicher Leiter vom Rennstall Sunweb: "Am herausforderndsten ist es für die U23-Generation, die noch keine Profis sind. Sie können sich den Profiteams nicht präsentieren und haben es schwer, den nächsten Schritt zu machen. Die meisten Teams werden auch mehr auf Sicherheit setzen. Man kennt die Fahrer, die man hat, weiß um deren Potential. Und deshalb wird man eher geneigt sein, deren Verträge zu verlängern als jemanden zu verpflichten, den man nicht so gut kennt. Für die Junioren und die U23-Kategorie ist es am schwersten."
Völlig ungeklärt sind bisher auch die Folgen, die Corona für Leistungssportler hat. Radprofi Fernando Gaviria war bereits zweimal positiv getestet worden. Welche Langzeitwirkungen kann die Erkrankung für die hochgetunten Athletenkörper haben?
"Da muss man ehrlich zugeben, Corona ist ja noch relativ neu, und um Langzeitfolgen wissenschaftlich gut zu beschreiben, ist der Zeitraum auch tatsächlich zu kurz", meint Christopher Edler, Teamarzt bei Bora Hansgrohe. Er hält diese Langzeitfolgenforschung für ein wichtiges neues Thema der Sportmedizin.
"Es werden verschiedene Organsysteme untersucht. Führend ist da mit Sicherheit das Herz, der Herzmuskel, weil man ja weiß, dass generell Virusinfektionen oder auch andere Infektionen bei Sportlern schon Auswirkungen auf den Herzmuskel haben können."
Auch die Untersuchung von Auswirkungen auf das zentrale Nervensystem nennt Edler als Forschungsfeld in dieser aktuellen Pandemie.