Tadej Pogacar schreibt Rundfahrtgeschichte. Nicht nur, weil er drauf und dran ist, bei seinem Debüt auch den Giro d’Italia zu gewinnen, der am Sonntag (26.05.2024) in Rom endet. Die Tour de France gewann er ja bereits bei seinem Debüt. Und als er zum ersten Mal bei der Spanienrundfahrt auftauchte, wurde der Jungprofi gleich Dritter. Nein, Pogacar schreibt Rundfahrtgeschichte vor allem deshalb, weil er sich nicht in traditioneller Klassementfahrermanier hinter seinen Helfern versteckt und erst im Ziel attackiert. Ganz im Gegenteil. Viele Kilometer vor dem Zielstrich geht er schon in den Wind und kommt als Solist ins Ziel.
"Natürlich ist es der beste Sieg, wenn man alleine ankommt. Aber man weiß nie, was passiert. Wir werden es aber immer versuchen", erklärte Pogacar, der für UAE Team Emirates in die Pedale tritt. Drei Bergetappen gewann er bislang auf diese Art. Zwei Mal reichte es nicht ganz, da wurde er Zweiter und Dritter. Aber er belebte das Rennen. Und die Rivalen gab sich früh damit zufrieden, nur noch um die Plätze hinter Pogacar zu kämpfen.
Pogacars Konkurrenz übt sich beim Giro früh in Realismus
"Wir wollen ganz klar das bestmögliche Resultat. Der zweite Platz ist in Reichweite, und das würden wir gern schaffen", meinte Geraint Thomas, der zwei Wochen lang mal auf dem zweiten, mal auf dem dritten Platz rangierte. Auch Daniel Martinez, kolumbianischer Kapitän des Rennstalls Bora-hansgrohe, erwies sich früh als Realist. Er wechselte sich mit Thomas auf Platz zwei und drei ab. "Mit diesem Rückstand auf Pogacar ist es schwer. Denn sie haben auch ein starkes Team. Ich glaube, der Giro ist schon zu Ende und es wird nur noch einen großen Kampf um den zweiten und den dritten Platz geben", bilanzierte er bereits am zweiten Ruhetag.
Er sollte Recht behalten. Martinez und Thomas duellierten sich um Platz 2. Meist allerdings konservativ, mit dem Auge darauf, den Spatz in der Hand nicht zu gefährden. Pogacar lieferte derweil seine Soloshows ab. Er freute sich über Fanzuspruch und slowenische Fahnen bei den Etappen im Nordosten Italiens.
"Heute habe ich, glaube ich, 90 Prozent der Leute meiner Heimatstadt an der Strecke gesehen. So viele slowenische Fahnen. Auch das Pogi-Team war da. Es war einfach brilliant", sagte er nach der 19. Etappe. Die gewann er mal nicht. Er rollte mit dem Hauptfeld eine Viertelstunde nach den Ausreißern ins Ziel. Er wartete sogar, bis Rivale Thomas nach einem Sturz wieder zur Gruppe aufschließen konnte. Ganz ein Gönner eben.
Vingegaard, Roglic und Evenepoel schauen auf Tour de France
Dass Pogacar so überlegen wirkte, hatte allerdings auch mit der schwachen Konkurrenz zu tun. Männer, die ihm gefährlich werden könnten, fehlten bei diesem Giro. Jonas Vingegaard, Primoz Roglic und Remco Evenepoel bereiten sich ausschließlich auf die Tour de France vor. Vorausgesetzt natürlich, sie kommen nach ihren schweren Stürzen im Frühjahr überhaupt wieder in Form.
Und die Fahrer, die beim Giro waren, setzten ihre Mannschaftskollegen gar nicht erst ein, um Pogacar unter Druck zu setzen. Das jedenfalls kritisierte Marc Reef, sportlicher Leiter von Visma-Lease A Bike. Seine Equipe hatte im letzten Jahr bei der Tour de France Pogacar mit fortwährender Tempoarbeit regelrecht zermalmt. Reef sagte: "Es gab, denke ich, keine einzige Attacke gegen Pogacar. Sie lassen ihn tun, was er will. Sie warteten, überließen ihm die Verantwortung. Das ist auch ein Grund, warum der Abstand so groß ist."
Pogacar will das erste Double seit Pantani
Pogacar bereitete sich auch extrem auf diesen Giro vor. Er reduzierte radikal seinen Wettkampfkalender, hielt sich viel in der Höhe auf. Großes Ziel ist das Double aus Giro und Tour. Zuletzt war dies Marco Pantani 1998 gelungen. Das sorgt natürlich für noch mehr Motivation, noch präzisere Detailarbeit – und im Ergebnis für die bestechende Verfassung, in der sich der Slowene in Italien präsentierte.
"Er sollte in optimaler Form hier sein, um die Belastungen mit klarem Kopf meistern zu können und aus dem Giro zwar müde, aber nicht zu müde herauszukommen. Dann gibt es einen Monat Zeit zur Erholung, um sich danach bei der Tour in guter Verfassung zu zeigen. Den ganzen ersten Teil der Saison haben wir auf diese Art Training ausgerichtet", meinte Mauro Gianetti, Teamchef von Pogacar.
Teamchef Gianetti denkt schon an Tour de France
Gianetti betreute früher Dopingsünder wie Riccardo Ricco – so kommen stets Fragen auf, ob bei seinem aktuellen Schützling alles mit rechten Dingen zugeht. Die Fragen sind da, zuweilen werden sie auch Pogacar gestellt. Der kann die Zweifel sogar verstehen. Belege dafür, dass er sich unlauterer Mittel bedient, gibt es bislang aber nicht.
Und so wird am Ende dieses Giro der Blick von Rom aus schon nach Florenz gerichtet, dem Grand Départ der Tour de France. Teamchef Gianetti gab zu: "An die Tour denken wir ab Montag, vielleicht auch ab Sonntagabend. Zuerst müssen wir aber in Rom ankommen."
Das wäre dann der erste Teil des Doubleprojekts. Bleibt für den Spannungsbogen der Tour de France zu hoffen, dass Pogacar dort nicht ähnlich dominant auftritt und die Konkurrenz die richtigen Schlüsse aus diesem Giro d'Italia zieht.